Thomas Huber-Frischeis / Rainer Valenta / Nina Knieling / Hans Petschar (Hg.)
DIE FAMILIEN-FIDEIKOMMISS-BIBLIOTHEK DES HAUSES HABSBURG-LOTHRINGE 1835-1918
Metamorphosen einer Sammlung
1072 Seiten, Böhlau Verlag, 2021
Ein gewaltiges Unternehmen hat seine zweite Stufe erreicht. 2015 erschien, damals 520 Seiten dick, die Geschichte der Privatbibliothek von Kaiser Franz› I. von Österreich 1784-1835. Nun liegt, mit fast dem doppelten Umfang (aber es geht ja auch um zwei Kaiser, Ferdinand I. und Franz Joseph) der nächste Band vor. Die Geschichte einer kaiserlichen „Privatbibliothek“, auf der heute ein Großteil der bibliophilen Schätze der Republik beruhen, die von der Österreichischen Nationalbibliothek gehütet werden.
Kaiser Franz I. muss eine Ahnung gehabt haben: Einen Tag vor seinem Tod im Jahre 1835 bestimmte er, dass seine lebenslang zusammen getragene Sammlung von Büchern (25.375 gedruckte Werke einschließlich 774 Inkunabeln). Landkarten (3.318), Porträts (66.709). sonstigen Kupferstichen (9.407), Handzeichnungen /(2.453) und Münzen (934) als untrennbarer und unveräußerlicher Besitz des Hauses Habsburg-Lothringen zu gelten habe und jeweils in die Obhut des ältesten Sohnes weiter gegeben werden sollte.
In seinem Fall war das Kaiser Ferdinand I., in diesem Buch ausführlich behandelt und als durchaus unterschätzt dargestellt: Denn zumindest seine intellektuellen Interessen waren bedeutend, wie seine eigene Bibliothek zeigte, die dann mit der seines Vaters vereinigt wurde.
Die Verwaltung solcher Bestände bringt einen wahren Koloß von Bürokratie mit sich, der dann aber auch sein Gutes hat, weil den heutigen Wissenschaftlern eine Unzahl von Dokumenten zur Verfügung steht, von denen viele in diesen Band Eingang fanden. Denn die Beamten verzeichneten alles, und so rücken auch viele Männer, derer niemand gedenken würde, mit ihrer verdienstvollen Arbeit an der Tradition des Hauses in den Mittelpunkt. Sie hatten sich mit Lagerung, Katalogisierung, Ergänzung der Bestände, mit Budget und Wünschen der Kaiser zu befassen, und die meisten haben diese Aufgabe vorbildlich und mit aller Ambition, teilweise auch Innovation gelöst. Immer wieder hat man für die breite Bevölkerung Ausstellungen aus den Beständen der Bibliothek gestaltet – auch als Habsburg-Huldigung natürlich. Apropos – gerade die hier selbstverständlich penibel gesammelten Huldigungsadressen, die aus allen Kronländern zu allen großen Ereignissen eintrafen, waren oft künstlerische Meisterstücke.
Darüber hinaus ist es sehr interessant, wie sich die Geschicke ihrer Bibliotheken in die Biographien der hier im Zentrum stehenden Kaiser einfügen lässt. Und in Bezug auf Ferdinand I. haben die Autoren etwa die Gelegenheit benützt, in Bezug auf diese vernachlässigte Persönlichkeit Lücken zu schließen, die in bisherigen Darstellungen (die ohnedies nicht sehr zahlreich sind) fehlen. So erfährt man zum Bespiel, welch organisatorischen Aufwands es bedurft hat, nach dessen Abdankung den Wohnort und den Hofstaat nach Prag zu verlegen.
Kaiser Franz Joseph, der nach heutigen Maßstäben weder ein Intellektueller noch ein großer Leser war, war sich des Wertes der Familienbibliothek wohl bewusst und beauftragte die besten Leute mit ihrer Leitung. Nach dem Tod von Kaiser Franz Joseph hatte Kaiser Karl wenig Zeit, sich in den beiden Kriegsjahren, die ihm als Chef des Hauses verblieben, um sich um die Bibliotheksschätze der Familie zu kümmern. Das Buch führt bis zum Ende der monarchistischen Ära. Ein dritter Band wird folgen, um den Übergang der kaiserlichen Bibliotheken in den Besitz der Republik und ihr weiteres Schicksal zu schildern.
Immer wieder werfen eingefügte Bilder ein optisches Schlaglicht auf im Text erwähnte Objekte und Personen (es könnten ruhig noch mehr sein). Bücher sind nicht nur Papier – Bücher erzählen Geschichten. Von Büchern und Menschen, wie hier.
Renate Wagner