UNSER MITTELALTER!
DIE ERSTE JÜDISCHE GEMEINDE IN WIEN
Hg. Astrid Peterle, Adina Seeger, Domagoj Akrap und Danielle Spera
Eine Publikation des Jüdischen Museums Wien
203 Seiten, Böhlau Verlag, 2021
Der Judenplatz im Herzen Wiens, gar nicht weit von den anderen Zentren der Stadt (Graben, Am Hof), blickt auf eine lange Geschichte zurück. Hier befindet sich die Dependance des Jüdischen Museums, das mit seinem Hauptgebäude im Palais Eskeles in der Dorotheergasse beheimatet ist. Der Platz hat im Jahr 2000 mit dem „Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Schoah“, gestaltet von Rachel Whiteread, ein unübersehbares Zentrum erhalten.
Im Museum, im „hinteren Eck“ des Platzes, wurde nun eine neue Dauerausstellung über Wiens Jüdische Gemeinde gestaltet. Das dazu erschienene Buch arbeitet das Thema in vielen Facetten auf.
Es handelt sich um Einzelartikel, die der jüdischen Geschichte Wiens bis zu den Anfängen nachgehen – bis zurück zu jenem Münzmeister Schlom, den man als ersten Wiener Juden mit Namen kennt. Das stand im Zusammenhang mit jener Unmenge von Silber, die der Babenberger-Herzog Leopold V. als Lösegeld für den englischen König Richard Löwenherz erhalten hatte – und nicht wusste, was er damit anfangen sollte. Zu sagen, dass die Juden sich mit Geld auskannten, ist kein Vorurteil und keine negative Konnotation, sondern Tatsache, die daraus erwuchs, dass man ihnen „bürgerliche“ Berufe versagte, Geld galt als schmutzig, die Juden sollten sich damit befassen. Und viele Juden haben vielen Herrschern unverzichtbar als Finanzverwalter gedient.
So werden Juden in Wien ab 1200 greifbar, aber ihr Schicksal war wechselhaft. Ließ man sie in Ruhe, mussten sie es sich teuer erkaufen, wollte ein Herrscher ihr ganzes Geld, konnte es zu Exzessen kommen wie zu jener „Wiener Gesera“ von 1421, derer sich der Habsburger Albrecht (später sogar römisch-deutscher König) schuldig gemacht hat. Unter den religiösen Vorwänden, die aus tradierten Vorwürfen der Katholischen Kirche gegen Juden bestanden (u.a. „Hostienfrevel“), mussten Hunderte den Scheiterhaufen besteigen (damit man ihren Besitz einziehen konnte)… Dabei ist es in diesem Zusammenhang besonders interessant, vier verschiedene Fachleute auf jeweils dieselbe Frage zu dem Thema antworten zu lassen: Es ergibt sich dabei eine Fülle von Interpretationen und Überlegungen zur Überlieferung.
Von Maria Theresia, die ihren Antisemitismus von eifrigen Priestern mitbekommen hatte, bis zu ihren Sohn Joseph II. und seinem Toleranzpatent, von der Zeit des Liberalismus unter Kaiser Franz Joseph und der damit verbundenen Hochblüte geistiger und künstlerischer Leistungen der Juden in der Monarchie bis in die Vernichtungslager der Nationalsozialisten… ein langer Weg.
Das Buch zur jüdischen Geschichte Wiens behandelt in einzelnen Kapiteln auch flankierende interessante Einzelaspekte, ob es um die Baugeschichte des Judenplatzes geht, wo noch Reste einst bedeutender Gebäude gefunden wurden, oder um jüdisch-christliches Zusammenleben im Mittelalter, wo sich die Wiener Juden zweifellos der deutschen Umgangssprache bedienten, wenn sie mit ihrer nichtjüdischen Mitwelt kommunizierten. Man liest von „Hansüß, Rifka und Joseppin“, tüchtigen Frauen des Mittelalters, die nicht selten nach dem Tod der Gatten die Geschäfte weiter führten.
Besonders interessant auch die Ausführungen zu den antijüdischen Stereotypen, die von „arischen“ Generationen immer wieder tradiert wurden – und die Juden einerseits zwanghaft mit Geld und Verschwörungstheorien (immer auf die Vernichtung der Christen abzielend) in Zusammenhang brachten, so wie man ihnen körperliche Eigenschaften nachsagte, wie sie später im „Stürmer“ (und auch davor schon) bösartig karikierend ausgestellt wurden. Die Idee, Juden zu „kennzeichnen“, stammt übrigens schon aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Damals musste man einen gelben Ring an der linken Brust tragen (aber man konnte sich natürlich auch davon freikaufen…)
Ein anderes Thema sind die jüdischen Familiennetzwerke, die sich bis in die jüdischen Friedhöfe verfolgen lassen, und natürlich kann dieses Buch jedes Thema reichlich bebildern. Wer es gerade nicht ins Museum schafft, bekommt einen guten Eindruck von der Fülle von archäologischen Resten, Dokumenten, Handschriften, Bildern aller Art und Fotos, die tief ins jüdische Leben der Stadt hinein führen.
Renate Wagner