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DIE EPHRUSSIS

01.11.2019 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

DIE EPHRUSSIS
EINE ZEITREISE
Herausgegeben von Gabriele Kohlbauer, Fritz und Tom Juncker
216 Seiten, Verlag Zsolnay, 2019

Unter den großen jüdischen Familien, die in Österreich eine besondere Rolle gespielt haben, finden sich die Ephrussi. Die Geschichte ihrer legendären Netsuke-Sammlung (kleine, ungemein kostbare Figuren, die ab dem 17. Jahrhundert in unendlicher Vielfalt in Japan gefertigt wurden) hat ein Nachkomme, Edmund de Waal (Enkel einer in Wien aufgewachsenen Ephrussi-Tochter), in Buchform geschildert, wobei er sich auf die Spuren der Familie setzte. Das war ein viel beachteter Bestseller. Im Jänner 2018 erhielt das Jüdische Museum in Wien das Familienarchiv geschenkt sowie zusätzliches Material als Dauerleihgabe.

Das Ergebnis ist nun eine Ausstellung, für alle Zeiten festgehalten in dem Buch-Katalog, der auch die Augenlust bereitet, viele der Netsuke-Stücke zumindest im Foto betrachten zu können. Der Rest ist Familiengeschichte, wobei sich vieles im Ringstraßenpalais der Familie abspielte, das Theophil Hansen 1872/73 im Neo-Renaissancestil am damaligen Franzensring baute, heute per Adresse Universitätsring 14 noch immer zu sehen.

Das Buch erzählt nun die Familiengeschichte der Ephrussi, die ursprünglich griechische sephardische Juden aus Odessa waren und als Geschäftsleute einen tadellosen Ruf genossen (sogar die Zeitungen in Wien berichteten darüber) – In- und Export, Bau- und Verkehrswesen und schließlich eine Bank.

Es zog die Familie von Russland nach Zentral-Europa. In Frankreich wurde Charles Ephrussi zu einem legendären Kunstsammler. Wie immer heiratete man in den jüdischen Familien möglichst untereinander, die Ephrussi knüpften Ehebande etwa mit den Rothschilds oder den Schey-Koromla, denen in Wien das „Ringstraßenpalais“ neben dem Goethe-Denkmal gehörte,

Ignaz von Ephrussi (1828-1899) begründete in Wien eine Bank, wurde geschätzt und nobilitiert, und als einer der reichsten Männer Österreichs konnte er sich das überdimensionale Ringstraßenpalais leisten… Sein Sohn Viktor (1860–1945) lebte mit seiner Gattin und den Kinder in dem Palais, geriet aber mit seiner Familie schon in den Wahnsinn des Nationalsozialismus. Er war fast 80, als ihm die Flucht gelang. Seine Tochter Elisabeth war es, die in die niederländische Familie de Waal heiratete. Als sie nach dem Krieg nach Wien zurückkehrte, geschah das Wunder, dass ein ehemaliger Dienstbote die Netsuke-Sammlung gerettet hatte und ihr die 264 Stücke übergab… Die Identität der edlen Retterin, von der man nur den Namen „Anna“ kennt, konnte (was fast unglaublich scheint) bis heute nicht gelüftet werden.

Das Buch, das neben den erläuternden Texten auch reichlich Bild-und Dokumentationsmaterial bietet, folgt den verstreuten Ephrussis auch noch in die Emigration, nach England, Mexiko, in die USA.

Das Einzige, was dem Buch fehlt, ist ein Stammbaum und übersichtliche Kurzbiographien der Familienmitglieder. Aber womöglich ist das Thema Ephrussi ja noch nicht ausgeschöpft. Hier jedenfalls bekommt man die „Zeitreise“ über rund zwei Jahrhunderte Familiengeschichte geboten.

Renate Wagner

 

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