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DEUTSCHE ERINNERUNGSORTE

08.01.2023 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

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DEUTSCHE ERINNERUNGSORTE
Drei Bände
Hg. Etienne Francois und Hagen Schulze
Ausgezeichnet mit dem Preis Das Historische Buch, Kategorie Zeitgeschichte 2001
Verlag C.H.Beck

Wenn ein Buchwerk – so muss man es angesichts seiner drei Bände nennen – seit über 20 Jahren ununterbrochen am Markt ist und offenbar stets vom Publikum nachgefragt wird, muss es schon Besonderes leisten. So wie die „Deutschen Erinnerungsorte“ des C.H.Beck Verlags, die anderes und mehr bieten, als dem Bedürfnis kulturbeflissener Reisender zu folgen, Orte von historischer Relevanz aufzusuchen. Schnell stellt sich schon beim Studium der Inhaltsverzeichnisse heraus, dass es sich nicht  um eine dezidierte Orts-, sondern um eine deutsche Geistesgeschichte handelt.

Schwerpunkt-Begriffe fassen Einzelthemen zusammen, und viele der Hauptkapitel müssen in ihrer Vorgabe als „typisch deutsch“ erachten werden – von Volk bis Reich, von Dichter und Denker bis Erbfeind, von Schuld bis Disziplin, von Leistung bis Gemüt. Eine Phalanx von Wissenschaftlern befasst sich in ausführlichen Essays mit ihren Fachgebieten.

Wie sehr hat sich die Welt seit der Jahrtausendwende geändert – oder gilt in Deutschland immer noch das Gedächtnis als „gegenwärtige Vergangenheit“? So lange dem so ist, ist nicht alles verloren. Und da gibt es Gutes ebenso wie Böses zu gedenken. Wenn der erste Paragraph von Band 1 mit „Reich“ umrissen wird, gilt das ebenso dem Kampf der Germanen gegen die Römer wie der Gestalt Karls des Großen, und ist man beim Dritten Reich angelangt, dann wird nicht nur der Führerbunker in Berlin, sondern auch der Heldenplatz in Wien berücksichtigt, wo einst der „Anschluß“ von Hitlers Anhängern gefeiert wurde: Auch das ist deutsche Geschichte, wenngleich der Autor (der Historiker Ernst Hanisch, vordringlich mit der NS-Zeit befasst) auch stark den österreichischen Aspekt einbringt. Wien kommt übrigens mit den „Türken vor Wien“ noch einmal vor – dass die geplante Invasion der Osmanen dort zweimal gestoppt wurde, betraf wahrlich auch die Deutschen.

Immer wieder geht es um Einzelpersonen, die für Schwerpunktkapitel symptomatisch sind, wobei Napoleon, der Kaiser der Franzosen, genügend „deutsche“ Relevanz besitzt, um unter „Revolution“ ebenso zu figurieren wie Rosa Luxemburg. Schiller steht für Freiheit, Heine für Zerrissenheit, Königin Luise für Disziplin, Marlene Dietrich für die Moderne.

„Nachdenken über“ ist das Motto von Beiträgen wie „Am deutschen Wesen …“ oder „Auslandsdeutsche“, und wie breit die Interessen gefächert sind, zeigen Beiträge über den Volkswagen oder den „Weißwurstäquator“. So gut wie alles leuchtet ein, ob es „Die Mauer“ ist oder „Der Kniefall“ (Willy Brandt ist hier am Titel des ersten Bandes  zu sehen).

Als die Bücher erschienen sind, gab es bei der Kritik manche Zweifel an der Auswahl der Hauptkapitel, die natürlich dem einen oder anderen willkürlich erscheinen können. Auch mag dem kritischen Leser dieses und jenes fehlen – nun, auch nach Jahrzehnten sind Fortsetzungsbände schließlich nicht ausgeschlossen… Die Qualität jeder einzelnen Ausführung zu beurteilen, wird in dem Voraus-Wissen liegen, das der Leser zu den Themen mitbringt.

Grundsätzlich wird kaum jemand alle Artikel auf einmal und sicher auch nicht in der gebotenen Reihenfolge, sondern nach persönlichen Interessen lesen. Wer sich entschließen könnte, für sich selbst die Beiträge chronologisch zu ordnen, der würde ein recht komplexes Bild über Schwerpunkte deutscher Geschichte erhalten.

Renate Wagner

 

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