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DETMOLD: PARSIFAL – Premiere

12.03.2012 | KRITIKEN, Oper

Detmold: „PARSIFAL“ – Pr.10.3. 2012

Der Intendant des Detmolder Landestheaters, Kay Metzger, war Assistent von Hans-Peter Lehmann. Lehmann war Assistent von Wieland Wagner. Diese Vertrauen erweckende Konstellation hat mich immer wieder nach Detmold gezogen. Auf den wunderbaren „Ring“, der 2009 fertig geschmiedet, mehrfach auf Tournee geschickt wurde und im Mai dieses Jahres noch einmal gezeigt wird, folgte nun eine Neuinszenierung des „Parsifal“ und nächste Saison werden es Tristan und Isolde sein, mit denen sich der Intendant persönlich als Regisseur auseinander setzen wird. Originalität, gepaart mit gesunder Theaterpranke und viel Gespür für alles, was sich aus Sängern herausholen lässt, sind damit garantiert. Ausrutscher, wie sie an Staatstheatern immer wieder passieren, kann sich eine so kleine Bühne ja sowieso nicht leisten. Hier kann nur Qualität überleben. Dass die großen Stücke fast ausschließlich aus dem Ensemble besetzt werden können, ist ein weiterer Bonus.

Die Kardinalfrage für den Regisseur war nach Kay Metzgers eigener Aussage: „Was kann ich nach Herheims Bayreuther Parsifal noch Neues sagen?“ Es wurde ihm bald klar, dass er einen einfacheren Weg gehen müsse, beschränkt auf eine klare Linie.  Die fand er im katholischen Ritus, nach welchem das Geschehen um die Gralssuche in Detmold schlicht und logisch abläuft. Gurnemanz im einfachen  grauen Mönchs-Outfit, die Ritter und Knappen als Ministranten, Amfortas als König, der sich für die rituellen Handlungen mit roter Schärpe und Krone schmückt. Der alte Titurel als weiße Mumie – nicht übel. Dass sich auch Klingsor mit Pfaffenkäppchen, Weihwasserkessel schwingend, präsentiert, entbehrt nicht der Ironie. Die Blumenmädchen sind zunächst als leichte Damen schwarz und recht aufreizend kostümiert, und erscheinen noch einmal m 3.Akt, nun züchtig bekleidet, mit Büßermiene, und werden durch den eben gesalbten und in sein neues Amt eingeweihten Parsifal von aller Sünde erlöst. Damit ersparen sich Regisseur und Bühnenbildner eine Frühlingsaue. Es passiert alles auf menschlicher Ebene.

Die Balance zwischen Bewegung und würdevoller Ruhe ist perfekt. Und obwohl es weder einen Wald noch einen Gralstempel gibt, nur eine weiße, zweigeschoßige  Einheitskulisse, mit einem drehbaren Rundturm und einer geschwungenen Freiteppe, passt alles. (Ausstattung, wie schon im „Ring“: Petra Mollérus) Kundry ist mit weißer Bluse und langem schwarzem Trägerrock, zumeist in ein schwarzes Tuch gehüllt,  ganz das rätselhafte Wesen, das immer wieder in diese geschlossene Welt einkehrt, und der Titelheld in weißem Hemd und Trägerhose wird optisch allein schon dadurch zum Außenseiter, ehe er im schwarzen Priesterhabitus sein heil’ges Amt verrichten darf.

Der langjährige, hervorragende Detmolder GMD Erich Wächter musste sich unmittelbar vor der Hauptprobe einer dringlichen Augenoperation unterziehen und Uwe Sandner, der kurz vorher in Kaiserslautern „Parsifal“ dirigiert hatte, sprang kurzfristig ein  – laut Aussage Kay Metzgers, ohne jeglichen weiteren Anspruch, als auszuhelfen, so gut er konnte, und sich den bereits erarbeiteten Gegebenheiten anzupassen. Solcher Altruismus trägt allemal Früchte. Das Zusammenspiel von Bühne und Orchester hätte nicht homogener sein können. Das Symphonische Orchester  hat mittlerweile viel Wagner-Erfahrung einzubringen und musiziert anstandslos, mit großer Tonschönheit und dramatischer Akkuratesse das 5 ½ stündige Werk. Damit ist die Basis geschaffen, auf der sämtliche Sänger eigentlich nur noch gut sein können. Natürlich will ich damit nicht sagen, dass sie alle Weltstimmen haben, was Volumen und Klangqualität betrifft, aber alle setzen das vorhandene Material im Dienst ihrer Rollen vortrefflich ein und können diese glaubwürdig gestalten.

Das Detmolder Landestheater hat sogar einen echten Heldentenor im Ensemble. Der junge Hamburger Johannes Harten singt dort seit 10 Jahren vom 1. Geharnischten bis zum Siegfried alles, was für seine Stimmlage anfällt. Und noch dazu hervorragend! Sein kraftvoller, ausgeglichener, wohlklingender Tenor kennt keine technischen Probleme, bewältigt locker jede Herausforderung, ist primär ein Legato-Sänger, hat aber genügend Attacke für heroisches Auftrumpfen und kann ohne Anstrengung die Stimme ins Parlando zurücknehmen oder klangvolle piano-Phrasen singen. Harten spielt zu Beginn einen richtig rührenden großen (physisch sehr großen!) Jungen, dem man Parsifals Naivität voll abnimmt, reift aber bis zum 3.Akt zu einer starken Persönlichkeit heran, die sich ihrer großen Lebensaufgabe voll bewusst ist. Jetzt wäre dem sympathischen, sehr musikalischen Sänger zu wünschen, dass man auch außerhalb Detmolds auf ihn aufmerksam wird!

Eine Kundry, die „nebenbei“ auch Operetten- und Musicalrollen singt, kann sicher nicht jedes Theater vorweisen. Brigitte Bauma (im Privatleben Parsifals Ehefrau) ist ein echtes Bühnentier. Als Kundry kann sie sich so richtig ausleben. Mag es für die Zwischenfachsopranistin (die im „Ring“ Sieglinde und Gutrune singt) eine Grenzpartie sein – da diese seltsame vielgesichtige Gralsbotin und Verführerin ja auch in allem, was sie tut, an ihre Grenzen geht, darf die Sängerin im 2. Akt schon mal mit letzter Kraft ihre Extremtöne herausschleudern. Die volle, warme Mittellage hilft ihr, die frauliche, mütterliche Seite der Figur in Klang umzusetzen. Eine kluge Regieidee war es, den beiden ihre Kussszene im Stehen absolvieren, was ihnen ein möglicherweise peinliches Wälzen auf dem Boden ersparte und sie schnell zum Weiterspielen mobilisierte. Kundrys rotes Haar kam ohne jede Peinlichkeit auch beim Trocknen von Parsifals Füßen im 3. Akt vorteilhaft zum Einsatz. Die Wandlung der Figur zur selbstlosen Gralsdienerin schien vollkommen natürlich.

Christoph Stephinger brachte als Gurnemanz das Kunststück zuwege, dass wirklich jedes Wort (und es sind bekanntlich deren viele!) plastisch und entsprechend eindringlich über die Rampe kam. Dazu bedarf es nicht unbedingt einer Balsamstimme. Stephingers eher robuster Bass, mit viel Energie eingesetzt, vermittelte uns die Botschaften des Gralshüters auf fesselnde und berührende Weise.

Der groß gewachsene, hagere Andreas Jören konnte die körperliche Beeinträchtigung  des sündigen Gralskönigs optisch ebenso gut vermitteln wie durch die Intensität seines Gesanges. Noch hintergründiger gestaltete James Tolksdorf den zum heuchlerischen Pfaffen gewandelten Klingsor. Und der über 2 m große Dirk Aleschus war als immer noch machtvoller alter Titurel eine originelle Besetzung.

Es war schön, einmal wieder die Gralsritter und Knappen nicht veralbert zu sehen. Sie waren alle dienstbeflissene, vom Bewusstsein ihrer verantwortungsvollen Aufgabe erfüllte Männer. Bruno Gebauer und Jundong Kim waren die Solo-Ritter, Catalina Bertucci, Evelyn Krahe (auch eine Blume, die Stimme aus der Höhe und – die Dalila des Hauses!), Markus Gruber und Michael Klein stellten die ministrierenden Knappen ohne Fehl und Tadel.

Sogar die Blumen hatten individuelle Charaktere und Kostüme und verdienen daher, einzeln genannt zu werden: Neben den Damen Bertucci und Krahe sangen noch Marianne Kienbaum-Nasrawi, Ki Sun Kim, Britta Strege und Sarah Davidovic.

Seltsam, wie vertraut uns auch die Chormitglieder dünkten. Man konnte alles nachvollziehen, was sie bewegte. Ihr Leiter Marbod Kaiser hatte ganze Arbeit geleistet.

Dass einen der gesamte “Parsifal“ nicht unberührt ließ, hängt natürlich auch mit der körperlichen Nähe der Bühnenkünstler und der Orchestermusiker zum Publikum eines so kleinen Theaters zusammen. Man fühlt sich einfach persönlich angesprochen. Und – alte Weisheit: Ein gutes Klima im Haus fördert die Leistungsfähigkeit aller Beteiligten.

Möge es erhalten bleiben!

Sieglinde Pfabigan

 

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