Landestheater Detmold 12.Mai. 2012 – Der Ring des Nibelungen -Vorabend – Rheingold
Warum kommt ein gestandener Wiener Opernbesucher nach Ostwestfalen-Lippe? Das ist ja nicht gerade um die Ecke, denn nach dem Düsseldorfflug wartet noch eine zweistündige Autofahrt ins idyllische Detmold. Schuld daran war eindeutig das Buch „Walküre in Detmold“ von Ralph Bollmann , eine journalistische Reisebeschreibung über Deutschlands Opernhäuser (das übrigens auf die Geschichte der deutschen Fürstenhäuser und die aktuelle regionale Kulturpolitik mehr eingeht als auf die kulturellen Details der besuchten Opernaufführungen). Denn als ich den Programmplan des Landestheaters Detmold für die Saison 2011/12 las, war mir klar: Den „Ring des Nibelungen“ im Teutoburger Wald musste ich sehen! Bereits zum dritten Mal wird heuer Richard Wagners Opern-Tetralogie in der Inszenierung Kay Metzgers und unter der musikalischen Leitung von Erich Wächter aufgeführt. Nachdem die ersten beiden zyklischen Aufführungen am Landestheater bei vielen Musiktheater-Fans enthusiastisch aufgenommen wurden, ging diese Produktion auch als „rollender Ring“ auf die Reise und begeisterte das Publikum an Gastspielorten wie Wolfsburg oder Paderborn.
Den Ausgang nahm der gesamte Ringzyklus (der in der heutigen Form ursprünglich gar nicht geplant war) im Jahr 2006 mit besagter „Walküre“, die später als Buchtitel Berühmtheit erlangen sollte. Die „Götterdämmerung“ des Jahres 2009 finalisierte dann das Projekt. Vorweg die Grundidee des Regisseurs: Er siedelt die vier Abende an geschichtlich wichtigen Umbruchsphasen an, beginnend in einer Rokoko-Idylle kurz vor der französischen Revolution und endend mit einem Science-Fiction-Zukunftsszenario.
Und gleich der erste Abend bewies, dass die bisherigen enthusiastischen Stimmen über diesen „Ring“ sehr wohl ihre Berechtigung haben. Denn so schlüssig und ins Detail gehend, gleichzeitig den Ideen Richard Wagners zu 100 % Rechnung tragend, gehen auch größere Häuser selten ans Werk. Wenngleich natürlich ein Orchester in den Dimensionen von Detmold (das Haus fasst lediglich 648 Besucher) nicht alle klangmalerischen und schwelgenden Effekte der Partitur komplett umsetzen kann, GMD Erich Wächter holte stets das Maximum heraus. Der gleichzeitige Vorteil: Man braucht in keiner Sekunde den Text eingeblendet sehen, denn die Artikulation und die Akustik des Hauses gestatten es, der Oper wie einem Sprechstück zu folgen.
Der Zufall wollte es auch, dass die Eindrücke des legendären Rings Boulez/Chereau-Rings aus Bayreuth (lief in der letzten Woche im österreichischen Fernsehen) und des Thielemann-Rings aus der Wiener Staatsoper im Vorjahr (war auf dem Radiosender Ö1 zu hören) noch frisch im Ohr des Rezensenten waren. Aber die Detmolder Eindrücke hielten bereits am ersten Tag mit den großen Vorbildern mit. Was mich am meisten begeisterte war die Tatsache, dass im „Rheingold“ nicht weniger als sieben Partien mit Mitgliedern des örtlichen Ensembles besetzt werden konnten. Dazu kamen mit dem in Wiesbaden engagierten Joachim Goltz und dem Bonner Ensemblemitglied Mark Morouse zwei hochkarätige Gäste.
Bleiben wir gleich bei den gesanglichen Leistungen, denn hier muss wohl an erster Stelle Joachim Goltz hervorgehoben werden: Sein Alberich hatte alles, was diese Bariton-Partie braucht: Textverständlichkeit, Erotik und Dämonie, klare Höhen! Wie er seinen Werdegang vom ursprünglichen Lüstling, der Buben und Mädels gleichermaßen nachstieg, zum verschmähten Besitzer des Rheingoldes darstellte, der schließlich von Loge hereingelegt wurde, das war mehr als beachtlich. Und Mark Morouse ließ mit seinem Wotan ebenfalls keinen im Publikum unberührt. Ihm zur Seite komplettierten Andreas Jören (ein kultivierter Donner), Florian Simson (als dandyhafter Froh), Monika Waeckerle (eine überhebliche Adelige in jeder Sekunde) und Marianne Kienbaum-Nasrawi (ich habe selten eine so toll spielende Freia gesehen, die nach der Ermordung Fasolts reif fürs Irrenhaus ist) das Göttergeschlecht.
Etwas zwiespältig die Besetzungspolitik des Loge: Johannes Hartens heldentenoraler und stets forcierter Gesang passte nicht so recht zur Gestaltung des Strippenziehers Loge, der als in Purpur gewandeter Bischof auch die Rolle der Kirche als Machthaber zeigen sollte. Wie sehr die Inszenierung des Detmolder Intendanten Kay Metzger (Ausstattung Petra Mollerus) auch Witz und Humor hatte zeigten etwa der allseits bewährte Dirk Aleschus (als naiv verliebter Fasolt) und Patrick Simper (als goldhungriger Fafner), die alleine durch ihren Größenunterschied unterschiedlicher nicht hätten sein können. Markus Gruber war eine sichere Bank für den unterdrückten Mime. Der Anfang und das Ende des Rheingolds gehören den Rheintöchtern und waren bei Catalina Bertucci (Woglinde), Beate von Hahn (Wellgunde) und Evelyn Krahe (Floßhilde) in den besten Händen, wobei der letztgenannten ein besonderes Kompliment gemacht werden muss. Sie schlüpfte nämlich im Mittelteil auch noch in die Rolle der Erda und ließ dort einen so gewaltigen und in der Tiefe unheimlich sinnlichen Alt erklingen, dass man ihr eine große Karriere wünschen und wohl auch prophezeien kann.
Gewöhnungsbedürftig war natürlich der Beginn des Stückes, als in den 136 Takten Vorspiel der Vorhang bereits geöffnet war und Wotan beim Trinken aus dem Brunnen der Weisheit gezeigt wurde (was ihm das eine Auge kostete) und er dann den Ast der Weltesche abbrach, um in ihn die Runen (Gesetze) zu ritzen. Vielleicht litt dadurch etwas das Hörvergnügen des pastoralen Es-Dur-Dreiklangs, dem Verständnis der Story tat dieser Einfall aber gut. Und auch einige anderen szenischen Details können hier verraten werden, da dies nach Auskunft der Dramaturgie des Hauses definitiv die letzte Aufführungsserie des Rings ist. So sieht man etwa zu Beginn auch Wotan den Mädels an die Wäsche rücken, womit auch sein Seitensprungverhalten schlüssig wird. Die Riesen wiederum sind Vertreter des neuen Bürgertumes und werden vom Adel, der seine Macht um jeden Preis erhalten will, entsprechend herablassend behandelt. Hinter den Riesen marschieren aber auch gleich die Bauarbeiter, welche Walhall errichteten, mit und unterstützen die Forderung nach der Bezahlung eindringlich, aber vergeblich. Und auch das Finale lässt einen dann noch ein wenig schmunzeln, gar nicht so übel nach 2 ½ Stunden! Denn beim Einzug nach Walhall enthüllt Wotan ein Bauwerk, welches sich als das Hermannsdenkmal herausstellt, das sich in wenigen Kilometer Luftlinie befindet! Jubelstürme für alle Beteiligten, der bei Glotz, Krahe und Wächter noch eine Steigerung erfährt.
Ernst Kopica