Landestheater Detmold 20. Mai 2012: Der Ring des Nibelungen – Dritter Tag – Götterdämmerung
Foto: Copyright Landestheater/Hörnschemeyer
Mit einer grandiosen Götterdämmerung ging der Detmolder Ring spektakulär zu Ende. Intendant Kay Metzger gab in der anschließenden Derniere-Feier bekannt, dass diese dritte Aufführungsserie definitiv auch die letzte war, lediglich mit der Walküre will man nächste Saison noch gastieren. Der Abend selbst wurde zum Triumph von Sabine Hogrefe, deren Brünnhilde in jeder Hinsicht überzeugte. Sei es nun mit ihrer intelligenten und emotionalen Rollengestaltung, bei der sie mit jeder Geste ihre Gefühle im Sinne des Librettos ausdrückte (etwa als sie mit einem spöttischen Lächeln Hagen zu erkennen gibt, dass er es nie mit Siegfried aufnehmen könne und er für dessen Tod ihrer Hilfe bedarf), sei es mit ihrem bis zum Schluss makellosen Gesang, nie unnötig forcierend, mit profunder und erotischer Tiefe, aber auch mit klaren Spitzentönen. Eine Weltklasse-Brünnhilde der neuen Generation!
Ihr zur Seite steigerte sich Johannes Harten als Siegfried nach wohldosiertem und zurückgenommenem Beginn bis zu seiner Ermordung immens. In seiner letzten Szene ließ er nach den immer besser gelingenden Strahletönen auch ein so subtiles piano in der Waldvogelerzählung erklingen, dass man sich auf die Weiterentwicklung dieses Künstlers wirklich freuen kann. Der Siegmund liegt ihm derzeit zwar sicher noch besser, aber allein die körperliche Leistung in der Serie (Loge im Rheingold, Siegmund in der Walküre und Siegfried in der Götterdämmerung) verdient Respekt.
Von Regie, Dramaturgie und Ausstattung wurde die Götterdämmerung in einer nicht allzu fernen Science-Fiction-Umgebung angesiedelt, was wahrscheinlich der Grund dafür war, dass mir deren ersten beiden Akte als die am wenigsten überzeugendsten der gesamten Produktion schienen, denn solchen Zukunftsplots kann ich leider in keiner Form etwas abgewinnen. Aber rein rational betrachtet war das Konzept in sich schlüssig: Die Gibichungen repräsentierten die herrschende Klasse mit roboterhaft agierendem Gefolge, deren Handlungen immer vom Eintippen an einer Computertastatur begleitet wird – wir sind ja nicht allzu weit davon entfernt, beobachtet man nur die Theatergäste in den Pausen, wenn sie mit ihren Smartphones ähnlich unterwegs sind. Die Natur ist in der Götterdämmerung bereits am Kippen oder danach, es herrscht eine Eiszeit, in der die Rheintöchter und auch das übrige Volk verzweifelt in Kloaken nach Essbarem fischen und sich an Heizungsrohren wärmen, die Weltesche zeigt sich abgestorben und eingemauert. Auch wenn diese Bilder aus anderen Inszenierungen bekannt sind, die besonders geglückte bühnenbildmäßige Umsetzung und die tollen Kostüme (beides Petra Mollerus) gefielen sehr.
Als Drahtzieher spielt Hagen inmitten dieser Szenerie (in der einzig die Bedeutung der Opfertiere des zweiten Aktes nicht ganz schlüssig erschienen) sein intrigantes böses Spiel, immer wieder seiner Mutter Grimhild begegnend (Rita Gmeiner gestaltete diese stumme Rolle mit Nachdruck), am Ende ersticht sie ihn sogar. Christoph Stephinger agiert in dieser Bass-Paraderolle abseits des Üblichen: Sein Hagen ist ein cooler Technokrat, der sich seine Halbgeschwister Gunther und Gutrune als nützliche Werkzeuge sorgfältig ausgewählt hat. Stephingers Stimme passt sehr gut zu dieser Darstellung, aber insgesamt hätte er es ruhig etwas dämonischer anlegen können.
Köstliche Charaktere waren hingegen Andreas Jören, der als etwas durchgeknallter Gunther dieser oft farblosen Partie klare Konturen gab und manchmal sehr witzige Pointen setzte. Eine Luxusbesetzung bot man mit Brigitte Bauma für die Gutrune auf. Ihre Stimme, die bereits als Sieglinde gefiel, gab der künftigen Braut Siegfrieds die nötige Dramatik. Der Alberich von Joachim Goltz brachte mit seiner archaischen Figur ein ganz anderes Zeitalter in dieses Zukunfts-Szenario (wie übrigens auch der als Hippie in die Giebichungenhalle kommende Siegfried und die anfangs weiterhin in bräutlichem und bürgerlichem Weiß agierende Brünnhilde, die später ins schwarze Trauerkleid schlüpfte). Der in Wiesbaden engagierte Goltz wartete mit ganz feiner Diktion und übersprühendem Temperament auf.
Besonders stolz kann man in Detmold darauf sein, dass auch die drei Nornen und Rheintöchter aufs feinste mit eigenen Sängerinnen besetzt werden konnten: Brigitte Bauma (neben Gutrune auch als 2. Norn sattelfest), Beate von Hahn (3. Norn und Wellgunde), Catalina Bertucci (Woglinde) und Evelyn Krahe (neben 1. Norn und Floßhilde auch als Waltraute im Einsatz). Wobei es mir besonders Letzgenannte angetan hat, deren samtenes Timbre einen so gefangen nimmt, dass man sich heute schon auf ihre Carmen in der nächsten Saison freuen kann.
Ein Extralob verdient natürlich das Orchester des Landestheaters Detmold, welches in einem Mammutprogramm an den vier Abenden im Einsatz war und am Finalabend zeigte, dass auch pathetische Größe zu seinem Repertoire gehört. GMD Erich Wächter hatte dabei vorzügliches Personal zur Verfügung und viele heiklen Solostellen gingen ohne Wackler und Rumpler ab, der Klang aus dem (unter die Bühne) erweiterten Orchestergraben war vorzüglich. Und Wächter hatte die Partitur im kleinen Finger, auch wenn es etwa im Siegfried bei einigen Ensembles Abstimmungsprobleme gab. Aber Perfektion ist nicht alles! Das gilt auch für den Chor, der nicht gerade vorteilhaft gewandet war und etwas uneinheitlich wirkte, gesanglich gab es aber nichts auszusetzen.
Resümee einer Woche Detmold im Teutoburger Wald: Abseits der Debatte um die Finanzierung von Kultureinrichtungen des Landes und der Kommunen in Deutschland bewies Kay Metzger und sein engagiertes Team des Landestheaters Detmold, dass sich ihr Mut bezahlt gemacht hatte eine Inszenierung des gesamten Ringes zu wagen. Trotz beschränkter räumlicher und technischer Mittel (keine Hydraulikbühne etc.) gelang eine wirklich gelungene Umsetzung des Wagner’schen Meisterwerks, wobei die Zeitreise vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in eine Zukunftsgesellschaft zwar nicht neu, aber durchaus schlüssig anmutete. Kleinere Bühnenpannen sollten den positiven Gesamteindruck nicht trüben (als etwa Wotans Speer im Siegfried nicht zerbrach und Mark Morouse improvisieren musste, was am Ende aber gar nicht so übel gelang) und drei nahezu ausverkaufte Aufführungsserien sprechen auch eine sehr positive ökonomische Sprache. Die Lösung für das Weltendrama konnte und wollte natürlich auch dieser Ring nicht bieten, aber eine kurzweilige, intelligente Regie ließen beim Besucher nie den Eindruck von Langeweile oder Fadesse aufkommen – und das ist schon was, denn auch in größeren Häusern passiert das gerade beim Ring hin und wieder. Der Kerngedanke Wagners, dass Althergebrachtes immer wieder überwunden werden muss, ist auch in der Detmold’schen Interpretation gültig. Wie dieser Weg auszusehen hat, das muss jeder der Besucher selber herausfinden. Allerdings gelingt dies leichter, wenn man nach einer Woche in so guter Stimmung ist und wenn die Sängerinnen und Sänger so überzeugend waren wie hier im Ostwestfalenland.
Ernst Kopica