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DESSAU: ESCLARMONDE von Jules Massenet

30.06.2013 | KRITIKEN, Oper

Französische Opernrarität in Dessau: „Esclarmonde“ von Jules Massenet (Vorstellung: 29. 6. 2013)


Das Liebespaar Esclarmonde und Ritter Roland, dargestellt von Angelina Ruzzafante und Sung-Kyu Park (Foto: Claudia Heysel)

 Im Anhaltisches Theater Dessau fand die Deutsche Erstaufführung der nur selten gespielten Oper „Esclarmonde“ von Jules Massenet statt, die im Jahr 1889 in Paris uraufgeführt wurde. Die Titelfigur dieser „opéra romanesque“ in vier Akten, deren Libretto Edouard Blau und Louis de Gramont verfassten, war einst eine Paraderolle von Joan Sutherland, die sie 1974 in San Francisco, 1976 in New York und 1983 in London verkörperte.

 Jules Massenet komponierte diese romantische Oper, deren Handlung einem französischen Ritterroman des Mittelalters entnommen wurde, für die Weltausstellung in Paris, wo sie einen beeindruckenden Erfolg feierte. Nicht zuletzt deshalb, weil Jules Massenet „den außergewöhnlichen stimmlichen Möglichkeiten von Sybil Sanderson Rechnung trug“, wie man dem Reclam-Opernführer entnehmen kann.

 Die Handlung der Oper, die in Dessau in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln gezeigt wird, in Kurzfassung: Als der oströmische Kaiser Phorcas abdankt, gibt er die Krone seines Reiches und seine Zauberkräfte an seine Tochter Esclarmonde weiter. Doch sie betrachtet die Krone als Bürde, da ihr auferlegt ist, keusch zu bleiben. Dennoch geht sie eine Liaison mit dem Ritter Roland ein, wobei die Treffen des ruhmreichen Helden und der Kaiserin im Geheimen stattfinden. Als Roland dem König von Frankreich erfolgreich im Kampf gegen die eigedrungenen Sarazenen hilft, soll er dessen Thronfolger werden und die französische Königstochter heiraten, doch er lehnt ab. Der Bischof von Blois beobachtet Roland argwöhnisch und bezichtigt ihn der Zauberei. Bei einem Rendezvous werden die Liebenden von den Häschern des Bischofs entdeckt. Esclarmonde glaubt sich verraten und zieht sich enttäuscht zurück. Als Kaiser Phorcas von den Vorgängen in Frankreich erfährt, zwingt er seine Tochter, einen Bräutigam seiner Wahl zu heiraten, wobei dieser in einem Turnier gefunden werden soll. Es gewinnt ein schwarzer Ritter, der vor Esclarmonde zunächst nicht das Visier öffnet und sich als „Die Verzweiflung“ vorstellt. Doch sie hat ihren Geliebten bereits an der Stimme erkannt – und ihr Vater willigt nun großzügig in die Verlobung ein.

 Roman Hovenbitzer, der sich bereits am Stadttheater Gießen und am Theater Erfurt durch gut durchdachte Regiearbeit einen Namen machte, inszenierte das romantische Werk sehr dramatisch und mit guter Personenführung, wobei er mit Tilo Steffens, der für Bühne (mit magischem Riesenauge und mehrere Meter hohem Podest für den König) und Kostüme (in mittelalterlichem Stil gehalten) verantwortlich zeichnete, einen kongenialen Partner hatte. Mit einfachen Mitteln und dennoch gut gelöst der Kampf um die Stadt Blois, die von den Sarazenen belagert wird. Eine optisch gelungene Idee waren die Filmeinspielungen bei den Liebesszenen zwischen Esclarmonde und Roland (Video: Barbara Janotte). Spektakulär auch die Idee, das Ritterturnier um die Hand Esclarmondes vom Rang aus durch den Herold und durch Posaunen ankündigen zu lassen.

 Nicht unbedingt schlüssig das Ende der Oper, als Ritter Roland auf den Treppen zu seiner großen Liebe aus Erschöpfung zusammenbricht – stirbt er oder wird er als heldenhafter Ritter auch seinen körperlichen Schwächeanfall besiegen können? Der schnell heruntergelassene Vorhang lässt das Publikum im Unklaren. In mir keimt der Verdacht, dass deutsche Regisseure für Romantik in Opern nur wenig übrig haben. Immer wieder ändern sie den Schluss, um ein tragisches Ende zeigen zu können.

 In der Titelrolle der orientalischen Kaiserin Esclarmonde brillierte die niederländische Sopranistin Angelina Ruzzafante mit höhensicheren Koloraturen. Sie bewältigte ihre schwere Rolle, die ihr stimmlich enorm viel abverlangte, auf virtuose Art und Weise. Ebenso eindrucksvoll der koreanische Tenor Sung-Kyu Park als Ritter Roland. Mit seiner stämmigen Figur stellte er auch ohne Brustpanzer einen heldenhaften Ritter glaubhaft auf die Bühne, wobei er seine helle Tenorstimme mit unglaublicher Kraft einsetzte. Ein Mienenspiel darf man von einem asiatischen Sänger kaum erwarten. Er allerdings zeigte dem Publikum am Schluss, als er für seine Leistung bejubelt wurde, ein glückstrahlendes Lachen.

 Als Bischof von Blois beeindruckte der niederländische Bassbariton Nico Wouterse mit kraftvoller, dunkel gefärbter Stimme und starker Bühnenpräsenz. Eine Idealbesetzung für diese zwiespältige Rolle. Mit ausdrucksstarkem Spiel glänzte auch der Bassbariton Ulf Paulsen als Kaiser Phorcas, der seine Vaterrolle mit brutaler Härte durchzusetzen versuchte, und die Mezzosopranistin Rita Kapfhammer als seine zweite Tochter Perséïs, die mit breitgefächerter Stimme aufwartete. Als Cléomer, König von Frankreich, konnte der koreanische Bass Kyung-Il Ko stimmlich wie auch darstellerisch gefallen.

 Für die gute Ensembleleistung des Anhaltischen Theaters Dessau sorgten in kleineren Rollen noch der polnische Bass Pawel Tomczak als Gesandter der Sarazenen, der Tenor David Ameln als byzantinischer Ritter Énéas, der seiner Verlobten Perséïs im Streit mit ihrem Vater helfend beisprang und der russische Tenor Alexander Dubnow als byzantinischer Herold. Mit außergewöhnlicher Stimmpracht wartete der stark besetzte Chor auf, der sich aus dem Opernchor, dem Extrachor und dem Kinderchor des Anhaltischen Theaters sowie dem Freien Opernchor „coruso“ zusammensetzte.

 Das Publikum, das seine Begeisterung auch durch oftmaligen Zwischenapplaus mit Bravorufen bekundete, zollte am Schluss allen Mitwirkenden mit besonderer Ausdauer frenetischen Beifall, wobei Angelina Ruzzafante und Sung-Kyu Park mit vielen Bravorufen bedacht wurden. Ein Kompliment dem Generalintendanten André Bücker für die Deutsche Erstaufführung dieses musikalischen Meisterwerks von Jules Massenet, das in der kommenden Spielsaison ab Dezember 2013 wieder aufgenommen wird.

 Udo Pacolt, Wien

 PS: Vor der Aufführung und in der Pause wurden rote Postkarten mit dem knalligen Titel „5 vor 12“ ans Publikum verteilt, die an den Ministerpräsidenten des Landes Sachsen-Anhalt gerichtet waren und in denen er aufgefordert wurde, „den sinnlosen Sparkurs zu beenden und stattdessen in Kultur und Bildung zu investieren“.

 

 

 

 

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