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DESSAU: DIE WALKÜRE. Premiere

28.09.2014 | KRITIKEN, Oper

Dessau: „DIE WALKÜRE“ –  Premiere. 27.9.2014

 Es ist ärgerlich, wenn man erst über Politik reden muss, bevor es um Kunst geht. Doch kann man die Leistung des Anhaltischen Theaters nicht würdigen, ohne den eisigen politischen Gegenwind zu erwähnen, der die ganze letzte Spielzeit aus der Landeshauptstadt Magdeburg wehte. Immerhin war der Dessauer Widerstand nicht ganz umsonst. Ich zitiere dazu die Einschätzung von Oliver Thust aus dem Theaterbrief des Theater-Freundeskreises: „Das Minimalziel ist erreicht. Das unermüdliche Streben der Theaterleitung, der Stadt Dessau-Roßlau und der Bürgerschaft hat bewirkt, dass das Kultusministerium den Vorschlag der Stadt zur Erhaltung des 4-Sparten-Theaters angenommen hat. Möglich wurde das nur durch die Solidarität der Mitarbeiter des Anhaltischen Theaters, die mit der Akzeptanz eines Teilzeitvertrags überhaupt eine Finanzierung möglich machten. Auch die Stadt Dessau-Roßlau wird deutlich mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stellen müssen. (…) Das Ensemble des Schauspiels und des Balletts werden um die Hälfte reduziert, das weitere Ensemble wird durch Altersabgänge und Fluktuationen abgeschmolzen. Es bleibt dringend zu mahnen, dass sich die Anerkenntnis der Arbeit der Theater und Orchester in Sachsen-Anhalt langfristig ändern muss, wenn es nicht zum Kollaps der Theaterlandschaft kommen soll.“

Zu ergänzen bleibt: Der Vertrag von Intendant André Bücker wird nicht über Sommer 2015 hinaus verlängert. Auch Generalmusikdirektor Antony Hermus wird das Anhaltische Theater verlassen, um in seine niederländische Heimat zurückzukehren. Damit ist klar: Es bleibt ihnen nur noch diese Spielzeit, um mit „Walküre“ und „Rheingold“ den Dessauer „Ring“ fertigzuschmieden. Beim internationalen Richard-Wagner-Kongress im Mai soll er vollständig zu sehen sein.

 Besonders spannend an diesem Dessauer Wagner-Projekt sind drei Aspekte: 1. versucht das Anhaltische Theater, an seinen alten Ruf als „Bayreuth des Nordens“ mit entsprechender musikalischer Qualität wiederanzuknüpfen,  2. bemüht man sich in Dessau als einem der Geburtsorte der klassischen Moderne (Stichwort „Bauhaus“) um eine moderne Bühnenästhetik, und 3. spielt man den „Ring“ so, wie ihn Wagner  entwarf, vom Ende her. (Was nebenbei den Vorteil hat, dass endlich einmal die „Götterdämmerung“ häufiger zu sehen ist als das „Rheingold“.) Interessant ist, wie sich nun  auch die Inszenierung „von hinten erfindet“.  War die „Götterdämmerung“ geprägt von geometrischen Formen und den Hauptdarstellern als maschinenartigen Figurinen, so tauchte man im „Siegfried“ in die Welt der Computerspiele ein. In der „Walküre“ schält sich nun die Idee heraus, die zunehmende Inbesitznahme des Menschen durch technische Medien zu zeigen – was ja nun endlich einmal eine wirkliche Idee wäre statt eines Sammelsurium von mehr oder weniger plausiblen Regieeinfällen.

 Konkret heißt das: Die Dessauer „Walküre“ soll zurückführen ins Zeitalter des Films. Das gelingt allerdings André Bücker als  Regisseur, seinem Bühnenbildner Jan Steigert und den für die Projektionen zuständigen Mitarbeitern Frank Vetter und Michael Ott im 1. Aufzug kaum, im 2. grandios und im 3. mittelmäßig. Zu Beginn irrt Siegmund (als Gast: Robert Künzli) in einem groß dimensionierten Computerdatenspeicher mit einem Kabelbaum in der Mitte herum. Sieglinde (Angelina Ruzzafante) arbeitet hier anscheinend als Angestellte. Getrunken wird aus Aluminiumdosen, gespeist aus zugeschweißten Plastikverpackungen. In diesem Szenario erscheint nun Hunding (als Gast: Stephan Klemm) mit seinem Schwert wie ein Zeitreisender aus dem Mittelalter, allerdings begleitet von vier schwarzgekleideten Bodyguards, die die meiste Zeit reglos herumstehen. Manchmal deutet ein altertümlicher Schwarz-weiß-Film die Kindheitserinnerungen Sieglindes und Siegmunds an, aber es ist  kaum etwas zu erkennen.

Im 2. Aufzug erblicken wir Wotan (Ulf Paulsen) als Filmregisseur auf einem erhöhten Beobachtungsposten, neben sich Filmrollen und ein Filmdrehbuch, zu Füßen die Lichter von Los Angeles. Die jugendlich beschwingte, schlanke Brünnhilde (Iordanka Derilova) wird instruiert, dass der bevorstehende Zweikampf zugunsten Siegmunds ausgehen solle, doch da erscheint  Fricka (Rita Kapfhammer) wie eine beleidigte Filmdiva und nötigt Wotan, sich zugunsten Hundings zu entscheiden. Mit diesem Auftrag nimmt die Walküre am Set Platz. Wir sehen dann Sieglinde und Siegmund, später auch Brünnhilde direkt auf der Bühne abgefilmt. Und während das liebende Geschwisterpaar melodramatisch in Schwarzweiß vor verschiedenen Filmkulissen erscheint, spürt man, wieviel Wagner in Hollywood steckt – oder, umgekehrt, wieviel Hollywood schon in Wagner. Pünktlich wie geplant tritt Brünnhilde in Aktion, doch je mehr Siegmund sich gegen das ihm zugedachte Schicksal wehrt, desto mehr läuft auch der geplante Film aus dem Ruder. Und erstaunlich: Indem die Kamera das Mienenspiel aller Beteiligten einfängt, desto mehr gewinnt die Auseinandersetzung an Intensität und desto mehr zerbricht das Hollywood-Klischee. Siegmund und Brünnhilde wehren sich gegen den gnadenlosen Blick der sie verfolgenden Linse, und die Wotanstochter reißt die entscheidenden Seiten aus dem Drehbuch des Vaters heraus. Doch der erscheint erst drohend auf dem Bildschirm im Hintergrund, dann in Person auf der Bühne, hält mit seinem teleskopartigen Speer Siegfrieds Schwert fest und schaltet die Kamera aus. Zuletzt lässt er sich vom Kameramann die Speicherkarte aushändigen.

 Im 3. Akt feiern die einfallsreich aufgetakelten Walküren eine vergnügte Sektparty an dem  treppenartig verschiebbaren schwarz-weißen Kubus, den wir schon aus der „Götterdämmerung“ kennen. Die eine oder andere führt ein kleines Stoffpferd mit sich, manche auch einen Miniaturhelden. Sie bieten ein Bild fröhlicher Dekadenz, das  durch das wiederkehrende „Hahahaha“ in Wagners Partitur seine Plausibiltät gewinnt. In ihrer Ernsthaftigkeit und Sensibilität,  aber auch in den von Kostümbildnerin Suse Tobisch bewusst gestalteten Kleidungs- und Ausstattungsnuancen hebt sich Brünnhilde deutlich gegen diese Schwestern ab. Zunächst sehen wir die Flüchtige auf dem Bildschirm in einer filmtypischen Verfolgungsjagd: Nervös fangen sich ihre Augen im Rückspiegel eines Autos, parallel zu Wotans Gesicht im Verfolgerwagen.Und während sie den Walkürenfelsen erreicht, staunt man über Ulf Paulsens reichhaltiges Repertoire an grimmiger Mimik. Später, als er nach öffentlich verkündeter Strafe doch noch mit seiner ungehorsamen Tochter ins Gespräch kommt, wird er für Momente sehr viel weicher. Der dann von Fotos der beiden dominierte Bildschirm wirkt leicht surrealistisch. Auch werden geometrische Formen projiziert wie schon in der „Götterdämmerung“. Doch die Bebilderung wirkt mehr wie eine inszenatorische Pflichtübung. Der Aufführung schadet sie nicht.

Denn spannend ist vor allem, was zwischen den Personen auf der Bühne geschieht. Und das ist – mit Ausnahme von Hundings künstlich versteiftem Wachpersonal – in Sprache und Ton, in Mimik und Gestik ganz unaufgesetzt und dermaßen subtil entwickelt, dass die langen Dialoge keinen Augenblick langweilen – mit anderen Worten: ganz dicht an Wagner. Anrührend ist schon Sieglindes und Siegmunds langsame Annäherung, witzig ist Wotans allmähliche Kapitulation vor Fricka, ergreifend das Reifen von Brünnhildes Gewissensentscheidung. Am stärksten aber fesseln die Szenen zwischen Wotan und Brünnhilde, in denen das Ungesagte spürbar wird: Wie sehr steckt in Wotans Wut auf Brünnhilde sein Zorn über die eigene Feigheit! Wie klug und wie aufopfernd ist Brünnhilde, dass sie Wotans ureigenes Projekt des freien Menschen vor dem tobenden Urheber selbst rettet! Und wie bewegend ist der versöhnliche Abschied, nachdem Wotan in der degradierten und verstoßenen  Tochter sein eigenes besseres Ich erkennt! 

Wagners psychologischem Scharfblick lässt sich gut folgen. Selten überdeckt das Orchester den Gesang, die Artikulation der Sänger ist – bei vorhandener Übertitelung –  bemerkenswert deutlich, die Diktion sprechend. Organisch und unangestrengt (!)  tragen die Stimmen die Satzmelodie – mit leichter Einschränkung bei einigen der Walküren. Die Pausen, in denen der Dialog stockt und das Orchester Verschwiegenes ausspricht, wirken unter Antony Hermus‘  feinfühligem und geschmeidigen Dirigat lebendig und beredt. Immer wieder fallen sorgfältig durchgehörte und gestaltetete Details auf: Hier eine ungewöhnlich schmeichelnde Trompetenfanfare, da ein leise bohrender Orgelpunkt, dort ein ruhig ausschwingendes Solo der Bassklarinette, und all dies eingewoben in einen über drei Akte tragenden Spannungsbogen. Und immer wieder blüht in der Musik die illusorische Hoffnung auf, die üble Geschichte mit dem Ring könne doch noch zu einem guten Ende kommen.

 Enthusiastisch feierte das Premierenpublikum Orchester und GMD, enthusiastisch auch die Darsteller, allen voran Paulsen und Derilova.  Für das Regieteam  gab es viel Beifall, für Regisseur André Bücker auch vernehmliche Buhrufe. Tatsächlich überzeugt diese „Walküre“ von der Bühnenästhetik deutlich weniger als die ersten beiden Etappen des „Rings“. Die hatten allerdings bessere Voraussetzungen. Es galt nicht, nebenbei noch einen Spielplan umzustellen und ein Theater zu retten.  

Andreas Hauff

 

 

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