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DESSAU: DIE WALKÜRE- grandios! Premiere

28.09.2014 | KRITIKEN, Oper

Grandiose „Walküre“ in Dessau – 27.9.

 Das Anhaltische Theater in Dessau kann auf eine fast 250jährige Geschichte zurück blicken. Zu den Kapellmeistern gehörten bedeutende Musiker wie August Klughardt. Das Haus pflegt eine langjährige Wagner-Tradition und wird manchmal auch als „Bayreuth des Nordens“ gesehen. Nach mehreren Zerstörungen wurde das Theater in der jetzigen Form in den 1930er-Jahren wieder aufgebaut. Die damaligen Ansprüche an Größe und Monumentalität sind kein leichtes Erbe; die über 1.000 Sitze zu füllen, scheint trotz der Nähe zu Berlin in der strukturschwachen Region keine triviale Aufgabe. Auch Diskussionen um die Kürzung öffentlicher Mittel sind eine Belastung; da ist es umso erfreulicher, dass die Kulturschaffenden darauf eine künstlerische Antwort finden und mit einer beeindruckenden Regie und Ensembleleistung nachdrücklich für das Haus werben.

 Seit 2012 wird in Dessau an einem neuen „Ring“ geschmiedet, und zwar – wohl aus fördertechnischen Gründen, da parallel in Halle ebenfalls ein „Ring“ entstanden war – rückwärts. Über die „Götterdämmerung“ konnte schon Positives berichtet werden (s. Merker xxx), und nach einem ebenfalls recht gelungenen „Siegfried“ fand nun die Premiere der „Walküre“ statt. Mit dieser ist Regisseur André Bücker sein Meisterstück gelungen, nicht nur, weil sich sein Gesamtkonzept allmählich besser erahnen lässt. Diese „Walküre“ überzeugt auch für sich genommen, mit einem grandiosen Bühnenbild von Jan Steigert (immer wieder von der Bauhaus-Tradition in Dessau inspiriert), intelligenter Personenregie und vielen bewegenden Momenten. Das Sängerensemble bot eine durchgängig homogene Leistung auf hohem Niveau, mit schönen Stimmen und vorzüglicher Textverständlichkeit; Es ist immer wieder beeindruckend, welche Kräfte „in der Provinz“ heranwachsen.

Robert Künzli und Angelina Ruzzafante begeistern als Wälsungen-Paar. Sie passten auch optisch (nicht nur durch die weißen Kostüme) hervorragend zusammen. Beide setzten ihre Stimmen ökonomisch intelligent ein, so dass Siegmund seine „Wälse“-Rufe und das „blühende Wälsungenblut“ sowie Sieglinde ihr „hehrstes Wunder“ mit durchschlagender Kraft in den Saal schleudern konnten. Stephan Klemm war ein stimmgewaltiger Hunding, dessen Stimme auch noch in größeren Häusern tragen würde. Wie im Berliner Götz-Friedrich-„Ring“ hatte er seine Mannen mit dabei, die von Sieglinde mit Cola und Nudeln vom Trolleywagen verköstigt wurden. Die Liebesszene im 1. Aufzug war wunderbar inszeniert – tatsächlich wichen die Winterstürme einem Sternenhimmel, durch den dann ein wunderbarer „Wonnemond“ von rechts nach links über die Bühne glitt und Gänsehautgefühle erzeugte.

 Im 2. Aufzug hatte ich das Gefühl, dass sich das Regieteam etwas vom aktuellen Bayreuther „Ring“ hatte inspirieren lassen, aber nach dem Prinzip „Jetzt zeige ich Euch mal, wie man das richtig macht“: Auch hier gab es einen Mount Rushmore und zahlreiche Videoprojektionen, aber im Gegensatz zum umstrittenen Castorf-Ring war hier ein dramaturgisches Konzept erkennbar und die Projektionen sorgten für zusätzliche und zur Geschichte passende Erkenntnisse. (Wobei hinzugefügt sei, dass das Grundkonzept von Bücker sicher schon seit mindestens zwei Jahren steht und er keinen Castorf nötig hat…) Zu Beginn ist die nächtliche Skyline von Los Angeles, passend fotografiert vom Observatorium aus, zu sehen, vor der die großen Wotan-Monologe stattfinden. Wotan wird grandios von Ulf Paulsen verkörpert, der vor allem in den tiefen Lagen eine wunderbar wohlklingende Stimme hat (in der Höhe wirkt er leider etwas dünn) und mit ausdrucksvoller Mimik die Entwicklung des Gottes, der sich in seinen eigenen Stricken gefangen hat, aufzeigt. Sehr schön fand ich den Regieeinfall, dass Wotan einige Erkenntnisse erst während der Handlung gewinnt: So wird ihm, als er sich „das Ende“ wünscht, bewusst, warum er dies tut (durchaus passend zum Text: „Jetzt versteh ich den stummen Sinn des wilden Wortes der Wala“). Und als ihn Brünnhilde später informiert, dass Sieglinde einen Wälsungensohn gebären wird, ist er überrascht und überlegt sofort, was das für den Fortgang der Geschichte heißt und dass er jetzt nicht eingreifen darf (deshalb dann auch „Nie suche bei mir Schutz für die Frau noch für ihres Schoßes Frucht“).

 Fricka, genauso attraktiv wie zickig, wird überzeugend von Rita Kampfhammer gespielt und gesungen. Brünnhilde ist, wie schon bei den späteren Teilen der Tetralogie, Kammersängerin Iordanka Derilova, die mit der Rolle weiter gewachsen ist und stimmlich wie emotional überzeugt. Dass sie Wotan nicht konzentriert zuhört, vermag zu erklären, warum sie später in der „Götterdämmerung“ nicht schneller die Zusammenhänge um den Ring begreift. Besonders gelungen sind Siegmunds und Sieglindes Flucht sowie die Todesverkündung. Hier arbeitet Bücker mit den angesprochenen Videoprojektionen (Frank Vetter, Michael Ott), wobei die Flucht als ein Hollywood-Film gezeigt wird – das Ganze nach einem Drehbuch von Wotan, der die Inszenierung an Brünnhilde übergibt. Als diese sich von der Drehbuchvorgabe löst und Siegmund zu retten beschließt, sehen wir im Hintergrund in der Projektion, wie Wotan dies erzürnt mitbekommt und seine Augenklappe abnimmt – das fehlende Auge in perfekter Maske zum Fürchten gut erkennbar.

 Dass beim Walkürenritt Musik und Handlung korrekt umgesetzt werden, erwarte ich in keiner Inszenierung mehr. Hier servieren einige Jünglinge Alkohol und Drogen an 8 poppige Mädels, die sich dann aber durchaus als mitfühlend gegenüber Brünnhilde und Sieglinde erweisen – und alle erfreulich gut singen können. Als Bühnenbild dient ein großer Würfel, schon aus den Folge-Opern bekannt, der zunächst aufgefächert ist, und am Ende zum Feuerzauber vollständig zusammen geschoben wird. Wotans Abschied gelingt emotional sehr berührend, und die körperliche Statur der beiden Akteure erlaubt, dass Wotan Brünnhilde auf die Arme nimmt und in ihr Schlafgemach im Würfel trägt. Wünschen wir dem Dessauer „Ring“ nicht nur deshalb, dass beide Sänger den Folgeaufführungen erhalten bleiben!

 Gleiches gilt für den hervorragenden jungen Chefdirigenten Antony Hermus, der mit der Anhaltischen Philharmonie Dessau wirklich Großes geleistet hat. Außer wenigen, Tagesform abhängigen Wacklern in den Trompeten, konnte das Orchester durchweg begeistern, spielte durchhörbar und nicht zu laut, mit charmantem Holz, samtigen Streichern und dramatischen Pauken. Damit rundete es eine Ensembleleistung ab, in der es keinerlei Ausfälle und viele erfreuliche Höhepunkte gab.

 Für alle Beteiligten gab es Bravo-Stürme, auch für die Regie; für letztere durchsetzt von einigen wenigen Buhrufen von Zuschauern, die sich wohl mit den Videoprojektionen schwer taten. Einziger Verbesserungsvorschlag an die Regie: Auch nach dem 1. und 2. Aufzug kann man durchaus den Vorhang noch mal für die Sänger öffnen, anstelle den Beifall verhallen zu lassen!

 Abschließend sei darauf hingewiesen, dass es – nach der „Rheingold“-Premiere im Januar 2015 – im Mai und Juni 2015 zwei geschlossene „Ring“-Zyklen geben wird, für die noch wenige Karten erhältlich sind. Begeisternden Wagnerianern, und erst recht solchen, die von jüngeren Regiearbeiten enttäuscht sind, kann der Besuch uneingeschränkt ans Herz gelegt werden.                                                                                                        

Tom Reinhold

 

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