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DER DIRIGENT HANS SWAROWSKY (1899–1975)

24.05.2022 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

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Markus Grassl /  Reinhard Kapp (Hg.)
DER DIRIGENT HANS SWAROWSKY (1899–1975)
MUSIK, KULTUR UND POLITIK IM 20. JAHRHUNDERT
Wiener Veröffentlichungen zur Musikgeschichte, Band 15
1052 Seiten, Böhlau Verlag, 2022 

Das Buch ist, salopp gesagt, ein „Riegel“, 1052 Seiten dick, der Anhang beginnt auf Seite 919. Man sollte meinen, bei solchem Umfang ließe sich alles über eine Persönlichkeit erzählen, aber dennoch erscheint den Herausgebern unvollständig, was sie über Hans Swaroswky zusammen getragen haben, es gäbe noch viel mehr Quellen, heißt es im Vorwort des von zwei Professoren der Musikgeschichte herausgegebenen Werks, Markus Grassl und Reinhard Kapp (emeritiert).

Hans Swarowsky (1899–1975) wurde 1999, anlässlich seines hundertsten Geburtstags, ein Symposion gewidmet – viele der damaligen Beiträge sind (mit einem Respektabstand von mehr als zwei Jahrzehnten) nun endlich hier gesammelt. Swarowsky selbst ist mittlerweile Gegenstand eines groß angelegten Forschungsprojekts, einerseits seiner Vielfältigkeit wegen – er war Dirigent und einer der berühmtesten Pädagogen in seinem Fach, daneben Autor und Übersetzer, hat zahllose Vorstellungen in Opernhäusern (u.a. in der Wiener Oper) und weltweit in Konzertsälen geleitet, Schallplatten aufgenommen.

Andererseits ist er Zeitzeuge wichtigster Ereignisse sowohl in der Musikgeschichte (nicht nur Schönberg, Webern oder vor allem Richard Strauss kreuzten seinen Weg) wie auch der Weltgeschichte, wie man ihr im 20. Jahrhundert schon gar als Künstler nicht entkommen konnte. Dass seine halbjüdische Herkunft seine Karriere im Dritten Reich nicht störte, lag daran, dass seine Mutter (wie viele andere Frauen auch)  den bekannten Meineid leistete, nicht ein Jude, sondern ein Arier sei sein Vater gewesen.

Swarowskys Tätigkeit in Polen während des Kriegs  (und seine damalige Nähe zu Hans Frank, „dem Schlächter von Polen“) kann auch in manch fragwürdigem Aspekt gesehen werden (dazu gibt es ein eigenes Kapitel). Aber Swarowskys Karriere lief auch danach erfolgreich bis zu seinem Lebensende.

Dabei behandeln die zahlreichen Kapitel des Buches, das sein Leben mit größter Ausführlichkeit nachzeichnet, auch neuralgische Punkte dieses Künstlerlebens, beispielsweise die ewige Herabwürdigung des Dirigenten, weil man angeblich nur ein so guter Lehrer sein konnte, wenn man selbst nicht die Spitze erreicht hätte…

Das alles ist an sich sehr spannend, aber in dieser bis ins Detail dokumentierten Breite nur für Spezialisten interessant. Eine handliche Biographie von etwa 300 Seiten, die alle Ecken und Kanten dieses Lebens so dramatisch darstellen würde, wie sie waren (auch im Privaten, vom jüdischen Vater bis zu seiner eigenen letzten Vaterschaft im Alter von 70 Jahren), wäre einem Durchschnittspublikum besser gedient.

Altere Musikfreunde haben Swarowsky noch in der Oper und im Konzertsaal in Erinnerung – in der Weltgeschichte der Musik steht er jedenfalls als  die Persönlichkeit, aus dessen Handen die Dirigentenstars nach Karajan, von Abbado bis Mehta und Sinopoli, hervorgegangen sind (von der Phalanx von best ausgebildeten Dirigenten, die in den letzten Jahrzehnten das Musikleben bestritten haben, ganz zu schweigen).

Renate Wagner

 

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