Martin Preineder (Hg)
Regina Grabenweger / Günter Fuhrmann
DAS TAL DER KÖNIGE IN NIEDERÖSTERREICH:
DER GEHEIME KÖNIGSHOF DER BOURBONEN
256 Seiten, KRAL, 2022
Wer „Tal der Könige“ hört oder liest, denkt unweigerlich an Ägypten, aber das ist in diesem Fall eine Irreführung. Hier hat man es in einem Semmering-Tal mit einem „geheimen Königshof der Bourbonen“ zu tun, und da dies durchaus nicht allgemein bekannt ist, stellt das prächtig aufgemachte, aufwendig gestaltete Buch für Freunde der lokalen Geschichte einen echten Gewinn dar.
Einst haben die Bourbonen die Habsburger aus Spanien und aus zahlreichen ihrer italienischen Besitzungen vertrieben. Als Napoleon kam, drehte sich der Spieß um – nun waren die Bourbonen auf der Flucht, schließlich machte sich Napoleon nicht nur an ihrer Stelle zum Kaiser der Franzosen, sondern auch noch seinen Bruder Joseph zum König von Spanien und seinen Schwager Murat zum König von Neapel. Seinen kleinen Sohn, der später als unbedeutender Herzog von Reichstadt in Wien eines wenig beachteten, frühen Todes sterben sollte, erklärte er zum „König von Rom“… Kein Platz also mehr für die früheren Potentaten.
Wohin wendet man sich auf der Flucht? Natürlich zu Verwandten. Maria Theresia hatte nicht weniger als fünf ihrer Kinder mit bourbonischen Partnern verheiratet – hier gab es also jede Menge familiärer Beziehungen. Und dass auch die Bourbon-Parmas nach Niederösterreich kamen – das verschaffte ihrer Tochter Zita die Möglichkeit, Österreichs letzte Kaiserin zu werden…
Herausgeber Martin Preineder (er ist der Begründer des niederösterreichischen „Bourbonenweges“) sowie Günter Fuhrmann und Regina Grabenweger als Autoren verfolgen Bourbonen-Schicksale vor allem an zwei Schauplätzen – in Schloß Frohsdorf und Schloß Schwarzau, wo sich viele royale Flüchtlinge zusammen fanden.
Es gibt eine große Anzahl von Schlössern im südlichen Niederösterreich, große, repräsentative Anwesen, die sich einst im Besitz von adeligen Familien befanden, also gekauft werden konnten. Schloß Frohsdorf (heute in Privatbesitz) und Schloß Schwarzau (heute eine Justizanstalt für weibliche Häftlinge) wurden Zentren für die Ankommenden, die noch einiges an Vermögen in der Hinterhand hatten.
Günter Fuhrmann widmet sich den Ereignissen um Schloß Frohsdorf, wobei er zuerst gut 50 Seiten braucht, um auf die lange und wechselvolle Habsburgisch-Bourbonische Beziehungsgeschichte zurück zu blenden. Dann ist der Sturz der Monarchie durch die Französische Revolution angesagt, Ludwig XVI. und seine österreichische Gattin Marie Antoinette, die Tochter Maria Theresias, starben auf dem Schafott. Ihr Sohn, der nie als Ludwig XVII. regieren sollte, starb im Alter von zehn Jahren, ein zweiter Sohn, eine zweite Tochter hatten das Kindesalter nicht überlebt.
So blieb als einziger Spross dieser Ehe die älteste, als „Madame Royal“ betitelte Tochter des Paares, Marie Therese, die (nach entsetzlichen Erlebnissen) von den Revolutionären aus dem Gefängnis entlassen und nach Österreich abgeschoben wurde, wo ihr Cousin Franz II. (sein Vater und ihre Mutter waren Geschwister) als (damals noch letzter) Kaiser des Heiligen Römischen Reichs regierte.
Stammbäume am Ende des Buches sind dankenswert, sonst hätte man Schwierigkeiten, durch die Verästelungen der bourbonischen Familie durchzusteigen. Marie Thereses zehnjährig verstorbener Bruder hatte den nie erlebten Titel „Ludwig XVII.“ geführt, nach seinem Tod kam ein Bruder ihres Vaters als „Ludwig XVIII“ nach Napoleons Sturz auf den Thron. Nach seinem Tod 1824 folgte ihm sein Bruder als Karl X. , der allerdings durch die französische Juli-Revolution 1830 gestürzt wurde.
Dennoch war dieser König für die „Madame Royale“ enorm wichtig, denn sie war seit 1799 mit Karls ältestem Sohn, ihren Cousin ersten Grades Louis Antoine d’Artois, Duc d’Angoulême, verheiratet, der nun als „Dauphin“ und – allerdings nur für die Legitimisten – nach dem Tod des Vaters als Ludwig XIX. galt. Aber da war der Bourbonen-Herrschafts-Traum schon ausgeträumt. Nur die Familie selbst wollte es einfach nicht wahrhaben…
Madame Royale nämlich etablierte in Schloß Frohsdorf eine Art königliches Hofleben und war durch all die Jahre damit beschäftigt, sich an der Restitution der Bourbonen zu beteiligen. Da sie mit ihrem oft abwesenden Gatten keine Kinder hatte, kümmerte sie sich um Neffen und Nichte – Heini, der Graf von Chambord, wurde von den Legitimisten tatsächlich kurz zu „Heinrich V.“ ausgerufen, aber es war Chimäre. Die Nichte Louise hingegen, die den Herzog von Parma heiratete, wurde Großmutter jener Zita, die das Geschehen hinüber zu dem im Steinfeld gelegenen Schloß Schwarzau führt.
Hat Günter Fuhrmann bis dahin in aller Breite und Ausführlichkeit erzählt, mit geradezu phantastischem historischem Bildmaterial, folgt nun der magerer Teil des Buches, der die letzten 50 Seiten umfasst. Die Autorin Regina Grabenweger kennt das Anwesen gut, ist sie schließlich seit 1991 in der dort untergebrachten Justizanstalt als Wachebeamtin tätig. Sie listet vor allem Fakten zu dem Schloß auf, in dem sich interessanterweise ein „Flüchtling“ der anderen Art einfand – Napoleons Schwester Caroline Murat, die kurze Zeit Königin von Neapel gewesen war, suchte nach dem Sturz des Bruders hier Unterschlupf. Auf einen ungarischen Grafen folgte dann die über die Maßen umfangreiche Familie von Herzog Robert von Bourbon-Parma, dessen zahlreiche Kinder (jene aus der ersten Ehe waren großteils behindert) hier auch aufgelistet werden. Zita, später Österreichs letzte Kaiserin, und ihre Brüder Sixtus und Franz Xaver, die für Schwager Kaiser Karl im Ersten Weltkrieg einen heimlichen Frieden aushandeln wollten, sind ja später berühmt-berüchtigt geworden.
Am Ende steht die Hochzeit von Karl und Zita auf Schloß Schwarzau (wovon es ja auch die berühmten kurzen Filmaufnahmen mit dem greisen Kaiser Franz Joseph gibt) – und solcherart ist das Buch auch unverzichtbar für Habsburg-Fans, beinhaltet es doch einen wahren Schatz an historischen Assoziationen, die nicht allgemein bekannt sind.
Renate Wagner