Matthias Marschik/ Gabriele Dorffner
DAS MEER VON WIEN
AN DER SCHÖNEN ALTEN DONA.
Ein Bilderalbum
114 Seiten, Breitformat, Verlag Edition Winkler-Hermaden, 2024
Damals, am Gänsehäufel…
Was man heute die „Alte Donau“ nennt, war einst die richtige, aber damals noch ein für die Stadt Wien hoch problematischer, ungezähmter Fluß. Vor 150 Jahren, exakt im April 1875. haben sich die Stadtväter entschlossen, die Donau – die mit Überschwemmungen oder Eisstaus immer wieder eine Gefahr für die Bevölkerung dargestellt hatte – zu regulieren. Die nunmehrige „Alte Donau“ wurde ein beruhigter Nebenarm und als ungefährliches Binnengewässer nach und nach zum Ausflugsliebling der Bevölkerung, die gerne die Strandbäder (das bekannteste ist das Gänsehäufel) stürmten.
Die Edition Winkler-Hermaden hat ihren singulären Status in der österreichischen Verlagslandschaft damit erworben, historisches Material aus der Vergessenheit zu holen und zwischen Buchdeckeln einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dabei handelt es sich nicht unbedingt um die Hochkultur, sondern um Einblicke in Lokales, in die Vergangenheit, dort, wo sie halb noch Erinnerung, halb schon Geschichte ist.
Die Autoren Matthias Marschik und Gabriele Dorffner, die sich als „Floridsdorfer“ definieren, sich also in Wien „jenseits“ der Donau von Kindheit her auskennen, in der Welt von Floridsdorf, Kagran, Donaustadt, die alle ihren Anteil an der Alten Donau haben. Nebenbei sind sie Historiker (mit Schlagseite Lokalhistorie) und haben nun 130 Dokumente aller Art zur Alten Donau zusammen getragen, die sie „Das Meer von Wien“ nennen – man könnte auch sagen, die Riviera oder die Adria von Wien, wenn auch nicht ganz so elegant. Sehr informativ sind übrigens die Bildlegenden zu jedem einzelnen Foto.
Ende des 19. Jahrhunderts, als die Reichen nach Nizza oder Abbazia reisten, entdeckte das „Volk“, wie schön man an der Alten Donau baden, sporteln und sich unterhalten konnte. Die Zeitschrift „Die Bühne“, damals für das mondäne Leben zuständig, besprach die Freuden der Alten Donau immer wieder und setzte sie aufs Titelbild.
Das Buch geht nach Themenschwerpunkten vor – städtehistorisch (die Regulierung), topographisch (die einzelnen Teile des Alte-Donau-Biotops), schließlich thematisch nach Aktionen: Fotos zeigen die Menschen in Booten, in Badeanzügen (auch mit Schlittschuhen, im Winter ging hier auch Eislaufen) und natürlich auch an Tischen beim Essen und Trinken, denn ohne Gastronomie geht es (zumal in Wien) nicht. Da waren dann auch Karikaturisten unterwegs, um hier und da über den gebotenen Anblick gewichtiger Herren zu spötteln…
Da marschierten die Sportvereine auf, der „Polizei SV“ ebenso wie der jüdische SC Hakoah, da kam „die rote Erzherzogin“ (die mit einem sozialistischen Funktionär verheiratete Tochter von Kronprinz Rudolf) als Zuschauerin in das Arbeiterstrandbad, da suchte sich der eine oder andere eine stille Ecke zum Zeitunglesen, während es rundherum hoch herging.
All das verweist auch auf Zeiten, wo Menschen mit Freuden, die wir heute als bescheiden empfinden, zufrieden waren – vielleicht zufriedener als jene, die hektisch nur bei gigantischen und extrem teuren Pop-Konzerten glücklich sein können. Es war eine einfachere Welt, aber sicherlich keine schlechtere.
Epilog: Persönliche Erinnerungen der Rezensentin beziehen sich darauf, als kleines Kind mit den Eltern oft zum Gänsehäufel gefahren zu sein, sich dort als wahre „Wasserratz‘“ erwiesen zu haben, so dass man sie mit Gewalt aus dem Wasser holen musste, und dass dann die Wiener Schnitzel aus dem Staniolpapier und der Erdäpfel- und Gurkensalat, den meine Mutter in leere, sorglich vorher gereinigte Marmeladegläser gesteckt hatte, so gut schmeckte, dass die Erinnerung bis heute nachhält…
Renate Wagner