Das GYÖRI BALETT zum 40jährigen Jubiläum: Neue Visionen unter neuer Leitung
Nahe Wien, ganz anders als wie es in der Staatsoper in den letzten Jahren gepflegt worden ist: Man kann ein arriviertes Ballettensemble auch ausschließlich (jedenfalls beinahe) nur mit eigenem heimischen Tänzernachwuchs zu internationaler Reputation führen. So wie in Győr, dem habsburgischen Raab. Dort hat sich das Győri Balett als kulturelles Aushängeschild für Ungarn und seine breit geschichtete Tanzszene etabliert.
Ensemble Ballet Company of Győr in „Anna Karenina”. Photo: László Ambrus
Zum 40jährigen Jubiläum der Kompanie steht nun ein Wechsel in der Leitung der inklusive der Tänzer, der technischen Crew und des Managements 53köpfigen Compagnie bevor. Es ist keine große Änderung, es ist ein mit Bedacht eingeleiteter Übergang. Ein Schritt weiter mit Schwerpunkt auf schöpferische Ambitionen. Iván Markó, Solist in Maurice Béjarts legendärem „Ballett des 20. Jahrhunderts“, gründete vor vier Jahrzehnten die Kompanie im damals neuen großen Theater von Győr. Für seine interessanten modernen Choreographien stellte sich rasch internationale Aufmerksamkeit ein. Nach Markos eher unerfreulichem Abgang 1991 hat János Kiss, führender Solotänzer der Kompanie, in drei Jahrzehnten das Győri Balett auf neuen Erfolgskurs geführt. Ganz sachte werden nun im Jubiläumsjahr die Weichen neu gestellt. Nach dem großen alljährlichen Ungarischen Tanzfestival in Györ im Juni übernimmt ab Juli der aus dem Ensemble kommende Choreograph László Velekei die Direktion. Und András Lukács, langjähriger Halbsolist im Wiener Staatsballett mit Meriten als Choreograph mit Stil („Bolero“ in der Volksoper, „Movements to Stravinsky“ demnächst im Haus am Ring) wird als künstlerischer Leiter nach Györ kommen.
János Kiss
László Velekei
Jánós Kiss, ein kollegialer wie aufnahmebereiter Chef, streicht hervor: „Wichtig, als unser Markenzeichen! Es ist hier Tradition nichts vom Ausland zu übernehmen, sondern eine Entwicklung aus eigener Kraft anzustreben. Györ bietet unseren Tänzern eine wirklich gute Basis. Und wir leben mit Visionen!“ Velekei wie Lukács sind nun gefordert, doch sie stehen mit ihren bisherigen Leistungen auf sicherem Boden. Das Lob von Kiss an seinen Nachfolger Velekei sollte schon stimmen:“Hochtalentiert, erfolgreich, ein guter Charakter, eine human denkende feine Person.“ Das klingt sehr gut, und bestens zu beurteilen ist auch Velekeis aktuelle Choreographie für die Kompanie, seine zweiaktige Version von Lew Tolstois Romanepos „Anna Karenina“ auf eine Musikcollage von Max Richter.
Es ist ein recht düsteres und nerviges Stück in dunklen Farben – doch mit ungemeiner Sensibilität ganz menschlicher Psyche folgend, Tolstois komplexer Aussage entsprechend ausgerichtet. Velekei liefert choreographische Feinarbeit ab. Er zeigt zweifelnde Menschen, verzweifelnde, durchgeformt mit einer phantasievollen Körpersprache bis in die Fingerspitzen. Im ständigen Bewegungsfluss hat er für die in ihrem dezenten Spiel überzeugende wie ausdrucksstarke Lili Anna Marjai in der Titelrolle wie für Zoltán Jekli als Wronskij zahlreiche psychologische Nuancen herausgearbeitet. Vom personifizierten Schicksal werden sie mit pervers spöttischer Triebhaftigkeit in ihr Unglück gejagt. Rund um sie ein homogenes Ensemble in wechselnden dynamischen Episoden. Nichts wirkt oberflächlich, auf Showelemente wird verzichtet. Und somit ist eine Schicksalstragödie in einer klaren, seriösen Reinzeichnung zu sehen.
Lili Anna Marjai und Zoltán Jeki in „Anna Karenina“. Foto: Laszlo Ambrus
Weiter mit dem Győri Balett in dessen Jubiläumsjahr: Für den Budapester Palast der Künste wurde es heuer als Kompanie in Residenz ausgewählt. Und Velekeis moderne Neuinterpretation des romantischen Giselle-Themas wird zu von der Folklore getragenen Musik des ungarisch-serbischen Geigers und Komponisten Félix Lajkó am 3. April beim Frühlingsfestival in Budapest als Eröffnungsvorstellung uraufgeführt. Nicht zu vergessen auf das groß besetzte 16. Magyar Táncfesztivál von15. bis 21. Juni in Győr – Ungarns Tanzelite stellt dort ihre aktuellen Produktionen vor. Modern, klassisch – und stets auch mit starker Betonung auf Ungarns kraftvoll lebende Folklore. Hier kommt es dann zur Erstaufführung dieser neuen „Giselle“ in Győr am Eröffnungsabend.
Meinhard Rüdenauer