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Danielle Spera: STAMMGÄSTE: JÜDINNEN UND JUDEN AM SEMMERING

Wien wurde auf den Semmering verlegt

11.02.2025 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

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Danielle Spera
STAMMGÄSTE: JÜDINNEN UND JUDEN AM SEMMERING
‎256 Seiten, Amalthea Signum Verlag, 2024

Wien wurde auf den Semmering verlegt

Die Idee zu diesem Buch ging von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner aus, in der richtigen Erkenntnis, dass der Semmering, einst ein Zentrum österreichischer Urlaubskultur, in einen Tiefschlaf verfallen sei. Wenn sie sich an Danielle Spera wandte, war klar, dass es in einem geplanten Forschungsprojekt (mit anschließender Buchpublikation) um die Erinnerung an den „jüdischen“ Semmering gehen sollte, war Spera doch zwölf Jahre lang die hoch erfolgreiche Leiterin des Jüdischen Museums in Wien und hatte viele spektakuläre Ausstellungen von hohem Publikumsreiz geboten.

Das Buch über „Jüdinnen und Juden am Semmering“ fächert das Thema nun in verschiedenen Beiträgen (an denen auch andere Autoren beteiligt sind) auf. Als Teil der „oral history“ können die Interviews gelten, die Danielle Spera mit Jüdinnen und Juden geführt hat, die nach 1945 nach Österreich zurückkehrten – und damit auch auf den Semmering, mit dem viele von ihnen so innige (natürlich vor allem auch familiäre) Beziehungen und Erinnerungen verbanden.

Einst führten Handelswege über die Semmering Region in den Süden, aber spätestens, seit man ab Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Südbahn in wenigen Stunden von Wien aus „dort“ war, kamen die Gäste immer zahlreicher. Um das Fin de Siècle herum fand man dort alles, was man sich wünschen konnte, riesige Luxushotels und gemütliche Pensionen, Wintersport und sommerliche Touren standen ebenso auf dem Programm wie der Gesundheitstourismus (wobei Theodor Herzl 1904 in einem Sanatorium auf dem Semmering verstorben ist). 

Der Kaiser hat oft hier gejagt, (und wohnte im berühmten Thalhof).  und schließlich traf sich hier die „gute Gesellschaft“ Wiens, darunter auch die jüdische, so dass ein Kapitel des Buches auch lauten kann: „Wien wurde auf den Semmering verlegt“. Man war gewissermaßen unter sich.

Hierher zog es Dichter, Musiker, Schauspieler, teils in die noblen Hotels (Arthur Schnitzler erlebte im Thalhof eine der tiefsten Beziehungen seines Lebens), und wer es sich leisten konnte, hatte sein eigenes Haus (wie Alma Mahler und Franz Werfel). In einem der vielen Einzelkapitel wird den Hotels und Pensionen von damals nachgegangen – für orthodoxe Juden gab es die „Pension Alexander“, wo es tadellos koscher zuging. Und der Villen-Stil am Semmering war ein ganz besonderer, moderner, interessanter.

Diese gesamte speziell „jüdische“ Kultur, die sich dort entwickelte, wurde mit dem Nationalsozialismus ausgelöscht – und der Semmering glänzte nie wieder wie damals in den knapp hundert Jahren seiner so sehr „jüdischen“ Geschichte. „Daher bildet das Kapitel über antisemitische Agitation und nationalsozialistische Verfolgung den Kern dieses Buchs“ hält die Autorin / Herausgeberin fest.

Danielle Spera und mehr als einem Dutzend Co-Autoren ist es gelungen, hier viele Einzelaspekte des Gesamtkomplexes „Semmering“ anzusprechen, wobei die reiche Bebilderung auch einen großen Teil des Reizes dieses Buches ausmacht. Viele Fotos (auch in Vor-Selfie-Zeiten stellte man sich gerne vor die Kamera, zumal im Urlaub), Dokumente, Plakate und Werbung von anno dazumal, die nostalgischen Reiz hat, führen zurück in die Epoche einer aktiven jüdischen Präsenz und Kultur.

Und wer ein Fan der Recherchen von Georg Gaugusch ist, der findet im Anhang eine Liste jüdischer Besucher – nicht die Promis, sondern einfach Gäste, deren Schicksale man meint, aus den Daten über Geburt und Tod (oft im Konzentrationslager, oft in der Emigration), über Eltern und Ehen, über Kinder, Berufe und geschäftliche Verbindungen herauslesen zu können. Letztendlich geht es ja immer um Menschen.

Renate Wagner

 

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