Elsbeth Dangel-Pelloquin, Alexander Honold:
HUGO VON HOFMANNSTHAL:
GRENZENLOSE VERWANDLUNG
896 Seiten, S. Fischer Verlag , 2024
Der Schwierige…
Tatsächlich hat es über Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) noch nie die große, ausführliche, gewissermaßen ultimative Biographie gegeben – nun ist sie da, im Jahr seines 150. Geburtstags, und es ist ein in jeder Hinsicht überwältigendes Werk. Es verlangt mit seinen knapp 900 Seiten (davon 780 biographisch/ interpretatorischer Text, der Rest Anhang) dem Leser sehr viel Spezialinteresse ab, und man ist lange mit der Lektüre beschäftigt. Dafür steigt aber ein Mann, der auf seinen Fotos so vornehm-unauffällig wirkt, als geradezu schillernde Persönlichkeit aus der Vergangenheit. Übrigens hat Hofmannsthal selbst von „Biographischem“ nicht viel gehalten, aber gerne Biographien gelesen…
Das Buch ist in mancher Hinsicht besonders – schon, dass man nicht österreichische Landsleute mit der Herstellung betraute, ist ungewöhnlich. Und dass es ein Doppelunternehmen ist – Elsbeth Dangel-Pelloquin ist emeritierte Literaturwissenschafterin der Universität Basel, ihr Kollege Alexander Honold ist Professor für Literaturwissenschaft ebendort. Sie haben sich das Projekt Hofmannsthal geteilt – hier die Biographie, dort die Interpretation des Werks, beides in der chronologischen Erzählung quasi in einander übergehend. Das macht das Buch so voluminös, weil beide viel wissen und das auch niedergeschrieben haben.
Dabei läuft der biographische Teil von Elsbeth Dangel-Pelloquin quasi auf einer doppelten Schiene, indem sie die äußere Biographie mit der inneren verbindet. Man erlebt das Psychogramm dieses Hugo von Hofmannsthal, eine ungemein spannende Entwicklung vom außergewöhnlichen, selbstbewussten Kind über die Stadien seines „Dichtertums“ ebenso wie alles Private, Frauen, Ehe, Erfolge, Niederlagen und der Fähigkeit, sich weit mehr und vielfältiger als alle seine Zeitgenossen immer wieder neu zu erfinden.
Es ist eine spannende Geschichte von Anfang an, wenn beispielsweise schon die erste Anekdote der Kindheit zeigt, dass er zumindest ein seltsamer, wenn nicht gar affektierter kleiner Junge war, der sich einen „Kardinal“ erfindet, mit dem er in Anwesenheit der Eltern spricht… Die Autorin verbindet das mit der vielschichtigen, von ihr ausführlich geschilderten Herkunft aus jüdischen, italienischen und niederösterreichisch-bäuerlichen Wurzeln, die einen Jungen entstehen ließen, auf dem viele familiäre Hoffnungen ruhten und der die vielen Stränge der Vorfahren durchaus fruchtbar rezipierte (nur „Jude“ wollte er nicht sein).Von Kind an war Hofmannsthal Rilke nicht unähnlich, mit dem er nicht nur eine abstruse Kindheit, sondern auch das Unstete, Holprige des Lebenswegs teilte.
Ein Elternhaus, das vor Liebe und Sorge überfloß und dabei ungemein beengend und fordernd war, ein ungeheurer Fundus an Bildung (Weltliteratur in Originalsprachen) durch Buch und Theater, bildeten den Hintergrund für den Heranwachsenden. Zu erzählen ist, wie er ein „Wunderkind“ der Lyrik wurde, wie ein Gymnasiast die „Dichter“ im Griensteidl erstaunte.
Die Details zu all dem sind unschwer zu erfahren, denn Hofmannsthal, von seiner Frühzeit an ein durchaus berechnender Netzwerker, hat ununterbrochen als Briefschreiber Persönliches über sich preisgegeben und kommt auch in den Aufzeichnungen seiner Zeitgenossen immer wieder vor. Er wuchs zum „Schwierigen“ in Person heran, der seine Schaffenskrisen, Ängste, Hypochondrien und Launen durchaus auslebte, großteils auf Kosten seiner überirdisch geduldigen Ehefrau.
Er suchte aus innerer Unruhe, aber auch aus „poetischer Geschmeidigkeit“ immer neue Anregungen und Herausforderungen, wurde vom Lyriker zum Dramatiker zwischen Antike und Konversationsstück, zum feinsinnig österreichischen Librettisten des so bayerischen Richard Straus .Der Erzähler in ihm plante Romane, aber nur einer ist als Fragment erhalten. Und er investierte viel Energie in Theoretisches, als Herausgeber und Feuilletonist. Und, wie gesagt, man muss die wahre Masse seiner Korrespondenz dem Werk zurechnen.
Dass Hofmannsthal, um zu schreiben, immer wieder die Familie für Monate verließ, dass er nach glücklichen Anfängen seiner (ausführlichst geschilderten) Beziehung zu Gerty Schlesinger die Ehe und die Kinder als Belastung für ihn als Künstler empfand, sind psychologische Details, denen man mit Interesse folgt. Ebenso genau setzt sich die Autorin mit Aktivitäten wie den Salzburger Festspielen oder seinen Beziehungen zu Zeitgenossen und zu Frauen auseinander (er war durchaus kein treuer Ehemann). Und die Autorin behandelt auch Themenflächen wie Judentum oder Krieg, die in diesem Leben bestimmend waren. Was man erfährt, ist immer spannend erzählt.
Man wird den „literaturwissenschaftlichen“ Teil im Vergleich damit keinesfalls als trocken empfinden, der männliche Kollege hat sich ausführlich mit den Werken auseinander gesetzt. Ohne diese Betrachtungen gering zu schätzen, bleibt allerdings die Frage, ob der typische Biographien-Leser auch den gewissermaßen akademischen Interpretationsteil ähnlich interessant findet.
Tatsache ist jedenfalls, dass man Hugo von Hofmannsthal hier als Menschen in seinem Widerspruch ganz nahe kommt. Wobei der Verlag vielleicht 2029, wenn Hofmannsthals Todestag sich zum hundertsten Mal jährt, an eine straffere Ausgabe dieses Buches denken könnte.
Renate Wagner