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Dagmar Heissler: ERNST LOTHAR

20.06.2016 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

BuchCover  Lothar, Ernst

Dagmar Heissler:
ERNST LOTHAR
SCHRIFTSTELLER, KRITIKER, THEATERSCHAFFENDER
In der Reihe: Literaturgeschichte in Studien und Quellen, Band 25
480 Seiten, Böhlau Verlag, 2016

Nicht nur den Mimen, auch den Regisseuren und jenen Autoren, deren einstiger Ruhm sie nicht überlebt hat, flicht die Nachwelt keine Kränze. Die letztgenannten Eigenschaften treffen auf Ernst Lothar (1890-1974) zu. Ältere Österreicher wissen noch um seinen Roman „Der Engel mit der Posaune“, zumal er als „Wessely-Film“ einen festen Platz im österreichischen Film an sich einnimmt. Und Theaterbesucher, die vor einem halben Jahrhundert jung waren, erinnern sich an seine Schnitzler-Inszenierungen von „Das weite Land“ (mit Wessely / Hörbiger) und „Anatol“ (mit Lindner / Wessely) im Akademietheater, die es glücklicherweise als Fernsehaufzeichnungen gibt. Aber auch da wird man Ernst Lothar erst im Hintergrund nennen. Er hat es geahnt, eigentlich sein Leben lang bedauert und beklagt, dass er es nicht so weit gebracht hat, wie er es sich erträumt hätte.

Immerhin liegt nun ein umfangreiches Buch vor, einer jener dankenswerten Fälle, wo Dissertationen (die ja im allgemeinen nicht so einfach zugänglich sind) mit Hilfe von Subventionen publiziert werden und dann als allgemeine Information zugänglich sind. Dagmar Heissler zerlegt Lothar nicht in Lebenslauf und die Analyse seiner Tätigkeiten als Autor, Theaterschaffender und Journalist, sondern lässt in der Chronologie Leben und Werk nebeneinander laufen, schreibt also eigentlich eine Biographie, wenn auch eine strikt wissenschaftliche, mit der nötigen Fülle von Anmerkungen.

Sie hat, wie es sich in der Germanistik gehört, neben den Werken nicht nur den (großteils unveröffentlichten) Nachlass des Autors herangezogen, sondern auch reichlich Sekundärliteratur. Als Materialsammlung ist der Band überaus bemerkenswert, außerdem bietet er, da Lothar doch viele politische Epochen durchlebt und durchlitten hat, wieder einmal an einem Exempel eine Geschichte des ausklingenden 19. Jahrhunderts bis ins 20. Jahrhundert (vor der Digitalisierung – einmal wird man den Bruch dann auch in den achtziger / neunziger Jahren ansetzen, als die Computer die Weltherrschaft übernahmen: Das hat Ernst Lothar nicht mehr erlebt.)

Lothar, geboren am 25. Oktober 1890 als Anwaltssohn in Brünn, hieß eigentlich Müller – sein Bruder Hans Müller (der sich „Müller-Einingen“ nannte und den Krieg in der Schweiz überstand) war Schriftsteller wie er und zu Lebzeiten so bekannt, wie er heute vergessen ist. Lothar war auf diesen Bruder von Anfang an eifersüchtig, erhielt aber in der Emigration finanzielle Unterstützung von ihm…

Die Familie zog nach Wien, Lothar studierte Jus, konvertierte zum Katholizismus (was den Juden dann im Nationalsozialismus nicht das geringste nützte), war kurz als Soldat im Ersten Weltkrieg und wurde gleich für seinen ersten Roman „Der Feldherr“ preisgekrönt. Schon in seinen zwanziger Jahren erhielt der junge Lothar Kritiken zum Einrahmen, wurde als „Epiker“-Entdeckung gefeiert, ja, er käme Schnitzler nahe, hieß es.

Im Staatsdienst machte der Freimaurer Lothar eine beachtliche Karriere, sorgte aber nebenbei dafür, dass er – als Romancier und Dramatiker emsig tätig – auch in kulturpolitischen Belangen einbezogen war (etwa als Juror oder oftmaliger Festredner, später prominent im PEN-Club). Schon in den dreißiger Jahren konnte er seine ersten Burgtheater-Inszenierungen absolvieren, Grillparzer und Schnitzler (von dem er im Lauf seines Lebens drei Novellen dramatisieren sollte) lagen ihm besonders am Herzen.

Lothars Neigung zum Theater erfüllte sich dann, als er, der 1933 in zweiter Ehe die Schauspielerin Adrienne Gessner geheiratet hatte, von 1935 bis 1938 im Auftrag von Max Reinhardt das Theater in der Josefstadt leitete. In diese Zeit fiel auch der „Fall Leo Reuss“, der in der Nachwelt mehr Beachtung fand als Lothar selbst, der sehr darin verstrickt war: Er als Direktor hat in dem „Tiroler Urviech“ Kaspar Brandhofer, das sich da bei ihm vorstellte und auf Anhieb von ihm eine große Rolle in „Fräulein Else“ erhielt, den jüdischen Schauspieler Leo Reuss nämlich nicht erkannt – der Streich, den man den Nazis spielte, das arische Volkstum desavouierend…

Lothar, Gattin und Tochter (später verheiratet mit Ernst Häussermann, der Schwiegersohn, den er nicht mochte, nicht zuletzt, weil dieser erreichte, was Lothar vergeblich anstrebte, nämlich die Direktion des Burgtheaters) setzten sich nach dem Anschluß rechtzeitig in die Schweiz ab und kamen in die USA. Auch hier ist an einem Schicksal festzumachen, wie hart es war, sich als Emigrant durchzuschlagen und Boden unter den Füßen zu finden. In diesen Jahren schrieb Lothar jenen Roman, der sein berühmtester werden sollte, gewissermaßen der wehmütige Abgesang auf „Alt Österreich“: „Der Engel mit der Posaune“.

Dass Lothar in amerikanischer Uniform in die ehemalige Heimat zurückkehrte und als „Theatre and Music Officer“ die Entnazifizierung durchaus ungleich, je nach Sympathie, betrieb, die einen „freisprach“, den anderen als „unerbittlicher Rächer“ erschien, hat ihm für den Rest seines Lebens in Österreich nichts Gutes getan. Lothar hat sich in der Nachkriegszeit genügend Feinde gemacht, dass er zwar lange (auch am Burgtheater) als Regisseur tätig sein konnte, ihm aber die Direktion des Hauses – wie auch höhere Weihen bei den Salzburger Festspielen, wo er „Jedermann“ inszenierte – immer knapp entging.

Lothar war in den sechziger Jahren als Theaterkritiker des „Express“ Doyen und Erster Richter des Wiener Theaters zugleich, im Grunde immer mächtig, aber nie dort, wo er sein wollte. Auch nicht mit dem 16 Romanen und unzähligen Erzählungen seines Lebens. Eine Zeiterscheinung, keiner, der darüber hinausragte. Als „unkorrigierbaren Lebensdilettanten“ bezeichnete er sich selbst, als „Mitteltalent mit guten Absichten, nicht mehr und nicht weniger“.

Überblickt man dieses unendlich fleißige, schaffensreiche Leben, so kann man urteilen: Er war betriebsam. Wollte beachtet werden, im Vordergrund stehen, und wusste, dass man sich darum selbst kümmern muss. Er schrieb und agierte in schier unglaublichem Ausmaß. Dass er der Autorin seiner „Biographie“ mit seinen Aktivitäten sympathisch geworden wäre – den Eindruck gewinnt man nicht. Eher lässt sie kein negatives Argument aus, weder die Lothar’sche Selbstkritik noch die Unfreundlichkeiten der anderen. Vielleicht würde es Ernst Lothar verdienen, dass jemand diese Dissertation als Materialsammlung nähme und eine „echte“ Biographie schriebe, in welcher dieser Mann mit allen seinen Widersprüchen auch als Mensch mit all seinen Kämpfen interessant erschiene.

Renate Wagner

 

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