Foto: Samantha Farber
CLAUDIO OSELE
Gerechtigkeit für Hasse!
Claudio Osele, in Südtirol geboren (sein Deutsch ist ausgezeichnet, wenn auch mit reizvollem Akzent), italienischer Musikwissenschaftler und Dirigent, gastiert mit seinem Orchester Le Musiche Nove im Theater an der Wien. Der Mann, der für Cecilia Bartoli (u.a. ihre Vivaldi CD!) und Simone Kermes sensationelle Barock-Programme zusammen gestellt hat, wird einen Komponisten nach Wien bringen, der zu seinen Lebzeiten in der Welt Maria Theresias geachtet und berühmt war: Johann Adolf Hasse, den die Italiener den „göttlichen Sachsen“ („Il divino Sassone“) genannt haben. Claudio Osele erweckt dessen „Semele“ wieder zum Leben.
Mit ihm sprach Renate Wagner
Signore Osele, man sagt, Sie seien ein häufiger Gast in Wien. Aber nicht so sehr in den Konzertsälen, wie man es sich wünschen würde?
Wir haben schon ein paar Konzerte veranstaltet, darunter im Musikverein 2013 die Serenata „Marc´Antonio e Cleopatra” von Johann Adolf Hasse, aber tatsächlich komme ich schon seit Jahrzehnten vor allem nach Wien, um in den wunderbaren Archiven zu arbeiten. Für Musikfreunde gibt es hier zwei, die völlig einzigartig sind – die Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, wo sich die Dinge befinden, die im Lauf der Habsburgischen Epoche zusammen getragen wurden, und das Archiv der Gesellschaft für Musikfreunde, die über besondere Schätze aller Epochen verfügen. Da habe ich dann auch die Partitur von Hasses „Semele“ gefunden, die 1726 in Neapel uraufgeführt wurde. Natürlich war das keine totale Wiederentdeckung, das Werk war bekannt, wurde aber kaum je gespielt, was ich gar nicht fassen kann, denn es ist wunderbare Musik! Aber ich habe die Edition, die wir spielen, aus dem Manuskript, das es im Musikverein gibt, erstellt.
„Semele“ wird nicht als „Oper“, sondern als „Serenata“ bezeichnet. Was bedeutet das?
Dass solche „kleinere“ dramatische Musikwerke – es gibt nur drei Sänger und keine große Orchesterbesetzung, es braucht auch keine enormen Dekorationen – eigentlich dazu gedacht waren, privat aufgeführt zu werden. Das heißt, in einem der Palais der reichen Herrschaften, die große Musikkenner und Liebhaber waren, aber nicht unbedingt in einem Opernhaus. Das bedeutet aber überhaupt nicht, dass die Anforderungen an Musiker und Sänger bescheidener ausgefallen wären als damals üblich.
Die „Semele“, die nichts mit der von Händel zu tun hat, eine flotte Dreiecksgeschichte zwischen der jungen Dame, Jupiter und Juno, hatte im Sommer 2018 höchst erfolgreich Premiere bei den „Festwochen alter Musik“ in Innsbruck. Ist es nicht so, dass Sie jetzt mit einer solchen erarbeiteten Produktion auf Tournee gehen, zumal Sie mit dem Ensemble „Le Musiche Nove“ Ihr eigenes Orchester haben?
Im Grunde bin ich immer daran interessiert, neue und spezielle Projekte zu machen, mit Stücken, die nicht oder kaum bekannt sind. Deswegen heißt das Ensemble „Die neuen Musiken“ auf Altitalienisch „Le Musiche Nove“. Die Musiker, mit denen ich seit Jahren verbunden bin, versuche ich immer, wenn wieder etwas Neues ansteht, zusammen zu holen und unsere Sprache weiterzuentwickeln. Die Recherche und die für mich wertvollsten Stücke, auch aus literarisch und kultureller Sicht, zu finden, beansprucht sehr viel Zeit. Mich in den großen Reigen der wandernden Ensembles einzureihen, das wäre nichts für mich. Selbstverständlich bin ich glücklich, dass die alte Musik mittlerweile ein so großes, interessiertes Publikum gefunden hat und wenn wir in Theater und Konzertsäle eingeladen werden.
Wobei, um auf Hasse zurück zu kommen, sich der Schwerpunkt ja doch auf Monteverdi für die Renaissance und Händel auf den Barock legt. Hasse war zu seinen Lebzeiten ein über die Maßen geschätzter Komponist, auch am Hof von Maria Theresia – wie kommt es, dass er so der Vergessenheit anheim gefallen ist?
Ja, die Nachwelt sortiert ganz seltsam aus, und es bedarf dann einiger Arbeit, um Kostbares wieder zu finden. Hasse ist mit seiner Lebenszeit im fast vollen 18. Jahrhundert – von 1699 bis 1783 – überhaupt ein Mann, der in eine musikalisch ungeheuer reiche Zeit eingebettet ist. Vor ihm waren Scarlatti, Caldara, Vivaldi, Bach, Händel, Porpora und Vinci, um nur die Wichtigsten zu nennen, nach ihm kamen Gluck, Pergolesi, Jommelli und Salieri, Haydn und Mozart, die wie er eine enge Beziehung zu Wien hatten, und er kannte sie alle persönlich. Vergessen wir nicht, dass Hasse es war, der Maria Theresia auf die großen Qualitäten Haydns aufmerksam machte. Und was Mozart betrifft, so wird ja immer wieder zitiert, Hasse solle gesagt haben, „Dieser Knabe wird uns alle vergessen machen.“
Aber Hasse war doch kein „Reformer“ der italienischen Oper, wie man es dann von Gluck sagen konnte?
Gluck war immerhin 15 Jahre jünger, fast schon eine andere Generation. Viele von Hasses Vorgängern waren der neapolitanischen Oper eng verbunden, aber er, der Deutsche, gilt mit seiner Musik als ein Höhepunkt dieser spezifischen Kunst. Dabei muss man bedenken, dass er als Tenor in Braunschweig begonnen hat, also diese „deutsche“ Musikprägung seiner Jugend nach Italien mitgebracht und so großartig mit den neuen Einflüssen zusammen zu seinem eigenen Stil verarbeitet hat. Es ist eigentlich nicht zu erklären, warum Hasse nicht langsam auch in der Gegenwart seinen Rang einnehmen sollte. Ich jedenfalls hege große Liebe für ihn und versuche, seine Musik so oft wie möglich zu spielen.
Nun sind Sie ja nicht nur für Hasse tätig, Sie haben auch etwas Besonderes für Vivaldi geleistet.
Die Konzerte und besonders die „Vier Jahreszeiten“ wurden immer und überall als klassisches barockes Konzertstücke gespielt, aber der Opernkomponist stand stets im Hintergrund. Cecilia Bartoli und ich waren begeistert von der Idee, eine CD mit unbekannten Vivaldi-Arien aufzunehmen, wo sie ihr ganzes Temperament explodieren lassen konnte. Was keiner von uns geahnt hat, ist der Riesenerfolg, den diese CD hatte. Danach habe ich als „music consultant“ aus dem unendlich reichen Barock-Repertoire noch drei CDs zusammengestellt. Mit Simone Kermes und meinem Ensemble habe ich zwei CDs mit Musik aus der neapolitanischen Schule aufgenommen, darunter auch Opernarien von Hasse. Und was Vivaldi betrifft – die erste Oper, die ich als Vierzehnjähriger in Verona gesehen habe, war „Orlando furioso“ von Vivaldi, und das hat mich damals tief beeindruckt.
Und wie haben Sie überhaupt den Weg zur Barockmusik gefunden?
Ich bin am Gardasee aufgewachsen, ging in Mailand auf die Universität, und es war immer die Geschichte der Musik, die mich vor allem interessiert hat. Dann kam die Vivaldi-Periode und die einzelnen Projekte mit Cecilia Bartoli, weiters meine große Bewunderung für die Arbeit von Nikolaus Harnoncourt, die Ensemblegründung, um die Werke auch auf Originalinstrumenten bieten zu können, und das Dirigieren. Eine besondere Freude für mich ist das ewige Arbeiten mit den musikalischen Schätzen, die sich in den verschiedensten Bibliotheken und Archiven finden, um diese dann auf die Bühne zu bringen.
Und welcher Komponist hat das Glück, dass Sie sich ihm zuwenden werden?
Nun, ich denke lange voraus, 1825 wird sich der zweihundertste Todestag von Antonio Salieri jähren, den ich ganz besonders schätze. Natürlich habe ich, wie jedermann, mit Faszination den Film „Amadeus“ gesehen, aber ich bin ganz sicher, dass er da grundfalsch gezeichnet wurde. So, wie ich ihn nach langer Beschäftigung zu kennen glaube, war er ein wirklich guter Mensch, hilfsbereit, anständig, also keinesfalls der große Intrigant und Mozart-Mörder. Und ein Komponist, der zu wenig gespielt wird – Sie haben in Wien ja seinen „Falstaff“ im Theater an der Wien gesehen. Ich möchte allerdings eine seiner Opere serie zur Aufführung bringen.
Dann freuen wir uns auf Hasse und „Semele“ – und hoffentlich spätestens auf ein Wiedersehen mit Salieri.