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Claudia Blank: REGIETHEATER

16.08.2020 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Claudia Blank
REGIETHEATER
Eine deutsch-österreichische Geschichte: Otto Brahm, Max Reinhardt, Leopold Jessner, Fritz Kortner, Gustaf Gründgens, Peter Zadek, Peter Stein, Claus Peymann
424 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, Henschel Verlag, 2020

 

 

Der Leser dieses Buches, für den „Theater“ nicht nur oft triste Gegenwart, sondern auch glanzvolle Vergangenheit ist, dem werden die Namen auf der Zunge zergehen, die sich am Titelblatt des Buches „Regietheater“ vereinigen: Otto Brahm, Max Reinhardt, Leopold Jessner, Fritz Kortner, Gustaf Gründgens, Peter Zadek, Peter Stein, Claus Peymann. Das ist Theatergeschichte, die bis in die Gegenwart reicht, aber doch schon fast abgeschlossen ist – Stein und Peymann, die Letzten Lebenden dieser Liste, beide über 80, mögen noch das eine oder andere Mal inszenieren, ihr Lebenswerk ist jedoch abgeschlossen.

Würde man diese Regisseure mit dem heutzutage vielfach negativ besetzten Begriff „Regietheater“ zusammen bringen, der so strittig ist, der so vielen passionierten Theaterbesuchern eben diesen Theaterbesuch verleidet hat, weil sich die „Regie“, die individuelle Idee des Regisseurs, deren Zusammenhang mit dem Original oft nicht mehr erkennbar ist, gänzlich in den Vordergrund geschoben hat?

Doch „Regietheater“ begab sich nicht erst mit Zerstörungen von heute, es fand in dem Moment statt, wo der Regisseur sich nicht damit begnügte, Auftritte und Abgänge zu arrangieren, sondern sich als gleichwertiger Partner des Dichters empfand. Man muss sich vor Augen halten, dass die „Klassiker“, die Geschichte schrieben, Theatergeschichte, auch einmal Revolutionäre waren, die das Gewohnte hinterfragten und umstießen.

In Deutschland hat Otto Brahm (1856- 1912) die Naturalisten entdeckt, damals schon eine Herausforderung für ein Publikum, das noch „Hoftheater“ (in Stücken und Inszenierungen) gewohnt war. Dann kam der Österreicher Max Reinhardt (1873-1943). Sein Verständnis des Theaters wollte die Brahm’sche „Trockenheit“ hinwegfegen, und es ist ihm auch gelungen. Einen ganz anderen Ton schlugen die Inszenierungen von Leopold Jessner an, der nach dem Ersten Weltkrieg in einer völlig veränderten Welt den Expressionismus, Politik, Stilisierung und als szenisches Element die berühmte „Treppe“ auf die Bühne brachte. Der in Wien geborene Fritz Kortner (1892-1970), der als Schauspieler durch die Schulen Reinhardts und Jessners ging und einer der herausforderndsten Darsteller seiner Epoche war, kehrte erst aus der Emigration als „Regisseur“ zurück: Ein Mann von bohrender Genauigkeit und oft schmerzender Langsamkeit, mit der er Stücken auf den Grund ging und oft unvergängliche Aufführungen schuf. Gustaf Gründgens (1899-1963) war der Künstler, der nicht in die Emigration musste, aber dem die Karriere in Nazi-Deutschland die wildesten Verrenkungen abforderte. Als Regisseur verband er (persönlich geforderte) Werktreue mit Phantasie und schauspielerischer Brillanz. Er ist übrigens wie Reinhardt (der das Spielen bald aufgegeben hatte), Jessner (der noch ganz aus dem „konventionellen“ Theater kam) und Kortner (der vor der Emigration eine große Karriere als wilder Darsteller hatte) Schauspieler – und ist es bis zum Ende geblieben. Peter Zadek (1926-2009), Claus Peymann (*1937) und Peter Stein (*1937) sind die Männer, die das deutsche Theater nach 1968 geprägt haben – einst die Revoluzzer, heute die „Väter“.

Claudia Blank, die Autorin dieses voluminösen Buchs, ist Theaterwissenschaftlerin, sie leitet das Deutschen Theatermuseum in München. Dort findet bis April 2021 jene „Regietheater“-Ausstellung statt, zu der dieses Buch als Katalog beigegeben ist – es ist aber natürlich auch ein Werk sui generis. Immerhin, der Ausstellungscharakter hat den Vorteil, dass das Bildmaterial reichlich vorhanden ist: Dadurch wird vieles, das gestern war, heute plastisch.

Die Arbeit der gewählten Regisseure, die das ausklingende 19. und das ganze 20. Jahrhundert bestimmten, wird hier vordringlich historisch betrachtet, aber nicht, indem man die einzelnen Persönlichkeiten nacheinander abhandeln würde.

Der Zugang ergibt sich punktuell aus verschiedenen Fragestellungen. Wichtig dabei ist für die Gestalter der Ausstellung und des Buches die stete Konfrontation der Persönlichkeiten, die einander ja nicht wirklich ablösten, sondern vielfach überlappten. So waren sie „Vatermörder“ – Reinhardt ließ Brahm hinter sich, Jessner fegte Reinhardt hinweg, desgleichen tat Kortner, während Peter Stein Kortner „überwand“ – es war immer ein Generationenkonflikt, das liegt in der Logik der Entwicklung und in der Tatsache, dass das Theater seine Zeit reflektiert.

Ausstellung und Buch stellen weitere Fragen, die als Querschnitt-Themen die Chronologie aufbrechen: Es geht um Entwicklungen (bei Reinhardt, Kortner, Jessner, Gründgens vom Schauspieler zum Regisseur), es geht um das „Erlernen“ des Regieführens (bei den drei „Jüngsten“ etwa via englischer Theaterpraxis oder deutschem Studententheater).

Nicht alle Regisseure wurden Intendanten, aber viele – Kortner, der es sich so sehr wünschte, schaffte es nicht, wohl weil er nach seiner Rückkehr aus der Emigration doch auf Ressentiments traf. Es geht um Arbeitsstil und Probenarbeit, um Methodisches (Reinhardts berühmte Regiebücher), um den Regiestil und die Zusammenarbeit mit den Bühnenbildnern (ein ungemein wichtiger Aspekt, weil die Optik den Stil mitprägt) – Reinhardts Salzburger „Faust“ ist nicht ohne Zusammenhang mit der „Faust-Stadt“ des Clemens Holzmeister zu denken.

Und schließlich gibt es dieses unglaublich wichtige Element der Zusammenarbeit von Regisseur und Dichter , hier „Zeitgenossenschaft“ genannt – von Otto Brahm mit Arthur Schnitzler über Reinhard mit Hofmannsthal, Peter Stein mit Botho Strauß, Peter Zadek mit Tankred Dorst bis zu Claus Peymann mit Thomas Bernhard.

Schließlich darf Bernd C. Sucher noch zwanzig Seiten „in die Zukunft“ schreiben. Die gehört uns bekanntlich nicht, die Vergangenheit ist gesichert. Aber vielleicht werden die Namen von Castorf und Marthaler (auch keine Jünglinge mehr, sie kratzen am Siebziger) einst genau so strahlend leuchten? Und gar die wirklich Jüngeren wie Ersan Mondtag? In fünfzig Jahren, wenn alles Gegenwärtige überprüfte Geschichte ist, wird man es wissen. Hier hat man jedenfalls einen Band in der Hand, der von „Klassikern“ des Theaters handelt, an denen kein Zweifel mehr möglich ist und über die man sehr viel Tiefschürfendes erfährt.

Renate Wagner

 

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