Clare Mac Cumhaill / Rachael Wiseman:
THE QUARTET
WIE VIER FRAUEN DIE PHILOSOPHIE ZURÜCK INS LEBEN BRACHTEN
504 Seiten. Verlag C.H.Beck, 2022
Elizabeth Amscombe, Philippa Foot, Mary Midgley und Iris Murdoch – vier Namen. In einer breiteren Öffentlichkeit kennt man wohl nur den letzten, denn Iris Murdoch hat zahlreiche anspruchsvolle, bemerkenswerte Romane geschrieben, und ihr tragisches Alzheimer-Ende wurde zuletzt 2001 in dem Film „Iris“ (mit Judi Dench) thematisiert. Aber vor ihrem literatischen Ruhm kannte man Iris Murdoch wie auch ihre drei Kolleginnen als bedeutende Philosophinnen. Was diese vier Frauen während der Jahre des Zweiten Weltkriegs und danach für die Entwicklung der Philosophie geleistet haben, das fassen die beiden heutigen Nachfolgerinnen in der Welt der Philosophie, Clare Mac Cumhaill / Rachael Wiseman, in einem schlechtweg faszinierenden Buch zusammen.
Vier Frauen, alle geboren knapp nach dem Ersten Weltkrieg, alle hochbetagt gestorben, aber keine so alt wie Mary Midgley, die 99 Jahre alt wurde. Bevor sie 2018 starb, hat sie die Aufmerksamkeit von zwei jungen Kolleginnen erregt: Clare Mac Cumhaill, Associate Professor für Philosophie an der Durham University, und Rachael Wiseman, die Philosophie an der University of Liverpool lehrt, haben sich von Mary in aller Ausführlichkeit die Geschichte dieser vier Frauen erzählen lassen, haben ein riesiges Konvolut an Material erhalten (Bilder, Zeitungsausschnitte, Briefe, Notizen, Dokumente aller Art), das Texte erläutert. Die beiden Philosophinnen von heute haben das Projekt „In Parenthesis“ ins Leben gerufen,, das die Philosophie von Elizabeth Anscombe, Philippa Foot, Mary Midgley und Iris Murdoch erforscht, und sie haben die Ergebnisse in einem umfangreichen, hoch interessanten, gleicherweise „wissenschaftlichen“ und privaten Buch über vier Frauenschicksale (und alles herum) niedergelegt.
Grundsätzlich ging es darum, dass vier junge Frauen knapp 20jährig nach Oxford kamen, um dort zu studieren. Ihre Ankunft fiel mit den Beginn des Zweiten Weltkriegs zusammen, und auf einmal fanden sie sich (abgesehen von Kindern und alten Herren) in einer Welt ohne Männer. Männer, die die Philosophie – es war eine alleuropäische Entwicklung – in eine naturwissenschaftliche Phase geführt hatten. Die vier jungen Frauen, die die antiken Philosophen und die Kirchenväter auf Griechisch und Latein lasen, waren nicht bereit, die Sinn- und Ethik-Fragen, die die naturwissenschaftlich geprägten Männer in den letzten Jahren beiseite geschoben hatten, aufzugeben.
Im Gegenteil: Das Original des Buches nennt sich „Metaphysical Animals“ – das bedeutet, dass die Frauen den Menschen nicht nur als Denkmaschine betrachten wollten, sondern als einerseits körperliches (tierisches), andererseits auch zur Metaphysik fähiges Geschöpf. Moralische Fragen lassen sich da nicht ausklammern, wie die Männer es tun wollten (weil dergleichen ja nicht naturwissenschaftlich zu begründen ist). Es ist ein zentrales Ereignis des Buches, als Elizabeth Amscombe, die es zur Dozentin in Oxford gebracht hatte (in Cambridge durften sich Frauen viel später habilitieren), im Mai 1956 vor ihre versammelte Kollegein trat und zu deren (männlichen) Entsetzen scharf dagegen protestierte, dem amerikanischen Präsidenten Truman die Ehrendoktorwürde der Universität zu verleihen. Sie nannte den Mann, der die Atombomben werfen ließ, einen Massenmörder. Die Frauen von Oxford haben sich ihre ethisch-moralischen Grundsätze nicht von ihren ach so pragmatischen Kollegen weg-philosophieren lassen…
Das Buch erzählt nun von Mary, Elizabeth, Philippa und Iris, und obwohl immer wieder philosophische Positionen in aller Breite diskutierr werden, ist es auch ein privates Buch über Frauen und ihr Leben, über Männer und Kinder, über Differenzen (als Iris Murdoch sich mit Philippas Freund einließ und diese daraufhin eine Beziehung zu dem Ex-Freund von Iris einging…). Aber es ist kein Nähkästchen- und Kaffeeklatsch-Buch, es sind Biographien, in die auch ganz breit andere Schicksale hineinspielen. Etwa, wie wichtig Elizabeth Amscombe für Ludwig Wittgenstein (ein bunter Vogel in Cambridge, der alles durcheinander brachte) wurde, der ihr seinen Nachlass vermachte (und sie stand vor 20.000 Seiten von Notizen…).
So, wie das Buch gestaltet und geschrieben ist, kann man sich geradezu in diese vier Schicksale stürzen, ohne zu vernachlässigen, worum es eigentlich geht, nämlich dass Frauen versuchten, männliche Positionen aus ihrer Sicht wieder zurecht zu rücken. Dass es bei solchen Gegensätzen kein „richtig“ oder „falsch“ gibt, sondern nur die Meinung jedes einzelnen, auch das kann man als kritischer Leser hier lernen.
Renate Wagner