Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

Christoph Kotanko: KULT-KANZLER KREISKY

22.12.2021 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

buch kreisky~1

Christoph Kotanko
KULT-KANZLER KREISKY
Mensch und Mythos
192 Seiten, Ueberreuter, 2020

In seinen Bücherregalen seien gut zwei Laufmetern mit Werken von und über Bruno Kreisky (1911-1990)  gefüllt, schreibt Ex-Bundespräsident Heinz Fischer in seinem Vorwort zu jenem Buch, das dennoch zu Kreiskys 30. Todestag erschienen ist. Mythos und Glanz des Mannes, den die Österreicher (wohl zurecht) für den einzigen Staatsmann der Zweiten Republik halten, mit dem auch Staat zu machen ist, sind unverblaßt.

Analysiert wurde dieser „Ich bin der Meinung“-Bruno Kreisky ausreichend, „Sonnenkönig“ hat man ihn genannt, später nur noch „der Alte“. Anekdotenbücher haben die Lust auf Geschichten offenbar nicht gestillt. Christoph Kotanko „versteht“ die österreichische Innenpolitik, die er seit Jahrzehnten als Journalist beobachtet (und die zu Kreiskys Zeiten dank der Intrigen und dank der Presse genau so hässlich war wie heute), aber seine Intention gilt dem „Kult-Kanzler“ und dem Menschen Kreisky, getreu der Aussage von Montaigne, „Ich belehre nicht, ich erzähle.“

Und erzählt wird wirklich viel, zumal der Autor lange Interviews mit Menschen einfügt, die mit Kreisky eng zusammen gearbeitet haben. Margit Schmidt, die in seinem Vorzimmer saß. Alfred Reiter, der einige Jahre sein Kabinett leitete. Ernst Braun, der von Kreisky keinesfalls gering geschätzt oder übersehen wurde, weil er der „Mann für alles“ war, Organisator, Reise-Begleiter, Helfer. Und schließlich der mittlerweile verstorbene Hugo Portisch, der als Spitzenjournalist Kreisky gut kannte.

Man würde sich vermutlich schwer tun, so viel Lob für einen Menschen, seine Fähigkeiten und seine Qualitäten zu finden, wie sie hier ausgesprochen werden. „Er hatte Kreativität, Gestaltungswillen, Charisma, Leadership-Qualität, Humor, keinerlei intellektuellen Hochmut“, heißt es da. Er kümmerte sich um alles, um das Große und das Kleine, und es war sein Anliegen, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern.

Bruno Kreisky, der aus einem sehr gut bürgerlichen, sehr assimilierten Wiener Judentum stammte (und selbst meinte, er könne es als Jude im Nachkriegsösterreich zu nichts bringen – bis ihn die österreichischen SPÖ-Wähler eines Besseren belehrten), wurde 1911 noch in die Monarchie hinein geboren. Er sah als Knirps das Begräbnis von Kaiser Franz Joseph und behielt immer eine gewisse Vorliebe für diese Epoche. Auch für ihre Gepflegtheit, die sich nicht zuletzt in seinen Maßanzügen niederschlug. Dennoch schloß er sich früh (unter dem Einfluß eines seiner vielen Onkel (alle jüdische Großbürger und doch „links“) der Sozialdemokratie an, und er fühlte sich von den Nazis weniger als Jude denn als „Sozi“ vertrieben. Dieses Netzwerk bracht ihn in Schweden durch den Krieg.

Danach machte Kreisky dank seiner ungeheuren Gewandtheit auch mit den Medien jene unglaubliche Karriere, die ihn 13 Jahre zum Bundeskanzler machte und der SPÖ (nach dem „Roten  Wien“) zu ihrer zweiten Glanzzeit verhalf. In der Ära Kreisky, die großteils in die Siebziger Jahre fiel, machte das Land den nötigen Sprung nach vorn, in der Modernisierung, auch in der Justizreform – von der Fristenlösung bis zur Entkriminalisierung der Homosexualität unter Erwachsenen.

Kotanko, der das Buch auch benützt, um Kreiskys nicht so glücklichem ÖVP-Vorgänger Josef Klaus Rosen zu streuen, erzählt nicht trockene Polit-Ereignisse, er zeigt, wie Kreisky es gemacht hat. Mit seinem ungeheuren Interesse für Menschen, mit seiner geschickten Manipulation der Medien, mit seiner lange Zeit unangreifbaren Persönlichkeit. Er war schon zu Lebzeiten überlebensgroß, eine One-Man-Show der sozialistischen Politik.

Aber es gibt keine Erfolgsgeschichte, die nicht zu brechen wäre. Kotanko behandelt auch ausführlich die große persönliche Tragödie Kreiskys (während Privates sonst ganz am Rande bleibt) – die Förderung von Hannes Androsch, die anfängliche Harmonie zwischen König und Kronprinz und dann die totale Entfremdung (an der auch viele Außensstehende mitgearbeitet haben), die ihn wohl ohne Übertreibung tödlich verletzt hat.

Und doch hatte der Mann mit dem unvergleichlichen politischen Talent Schwächen. Um die ÖVP auszuhebeln, schloß er sich mit der FPÖ zusammen, was nur möglich war, indem er die NS-Vergangenheit der meisten Mitglieder ignorierte. Kreisky lag nichts an der „Bewältigung“ der Zeit, die noch zu nahe war und zu viele Lebende betraf. Er wollte in Ruhe Politik machen. Und das erlaubte ihm Simon Wiesenthal nicht, der sich unermüdlich auf die Spuren der Nazi-Verbrechen setzte. Genau das, was Kreiskys Konzept zutiefst störte. Diese beiden Juden trennte biblischer Haß, und Kreisky ließ sich zu unschönen Äußerungen hinreißen. Zudem versuchte er im Nahost-Konflikt, die Palästinenser nicht auszugrenzen, sondern als Gesprächspartner zu betrachten, was ihm nicht nur Israel übel nahm. Er ist nicht daran gescheitert und auch nicht an Zwentendorf (dass die Österreicher, wenn auch mit hauchdünner Mehrheit, die Atomkraft ablehnten, hat ihn vermutlich mehr gestört, als der Autor der Buches zugeben will) – sondern einfach daran, dass seine Zeit vorbei war.

Musils „Der Mann ohne  Eigenschaften“ galt als sein Lieblingsbuch. Dass Kreisky ein „Mann mit Eigenschaften“ war (und dass notabene auch ein paar weniger schöne dabei sein mussten), das macht dieses Buch klar. Er wolle ihn nicht heilig sprechen, hat der Autor einmal geschrieben. Er kommt aber immer sehr nahe daran. Zu Recht, wie man annehmen darf. Jedenfalls ergibt eine außerordentliche Persönlichkeit eine faszinierende Lektüre.

Renate Wagner

 

Diese Seite drucken