CHRISTOPH CAMPESTRINI im Gespräch
Das Gespräch mit dem Dirigenten der Opernfestspiele Klosterneuburg führte am 3.Juli 2017
Peter Skorepa für den OnlineMerker
Peter Stöger, der österreichische Trainer des 1. FC Köln bedauerte unlängst in einem Interview „Der Trainer ist immer der Ärmste“.
Herr Campestrini, mussten Sie als quasi „Trainer“ eines Ihrer Orchester schon je so eine negative Erfahrung machen?
Ich aus meiner Perspektive kann von dem großen Glück sprechen, dass in meinem Leben meine größte Leidenschaft, das was mir am meisten Spaß und Freude macht mein Beruf geworden ist. Meine Tätigkeit ist für mich eine tagtägliche persönliche Bereicherung, und ich erachte es als Privileg diesen schönen Beruf ausüben zu dürfen.
Dieser Beruf wird einem ja nicht in die Wiege gelegt, wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen, wie zu Ihrem Namen Campestrini?
Der Name kommt von meinen Urgroßeltern, die ursprünglich aus Südtirol in der Nähe von Bozen stammen und später nach Oberösterreich übersiedelt sind, wo ich auch aufgewachsen bin. Ich spreche Italienisch allerdings mit einem deutlichen österreichischen Akzent, fühle mich aber zur italienischen Kultur sehr hingezogen.
In meiner Kindheit war es relativ schnell klar, dass ich eine musikalische Ausbildung erhalte (meine Mutter war Musiklehrerin), und es hat sich dabei sehr schnell herausgestellt, dass Musik das Thema meines Lebens sein wird. Und damit meine ich nicht nur Musik allgemein, sondern ich spürte ganz speziell eine Begeisterung für das Orchester und seine Klangwelt. Relativ früh, so in etwa mit zehn Jahren, wusste ich dass ich unbedingt Dirigent werden wollte. Einige Aufführungen im Linzer Brucknerhaus hatten mich so begeistert, dass es mein großer Traum wurde, das auch einmal selbst gestaltend erleben zu dürfen.
Wo hatten Sie Ihre erste musikalische Ausbildung?
Ich hatte ersten musikalischen Unterricht am Brucknerkonservatorium, der heutigen Anton Bruckner Privatuniversität, bin aber dann schon mit siebzehn Jahren nach New York übersiedelt. Das war damals aus familiären Gründen bedingt, weil mein Stiefvater als Österreichischer Kulturdiplomat in den „Big Apple“ versetzt wurde. Und es eröffnete mir eine wunderbare und mich höchst faszinierende neue Welt. Ich begann ein Musikstudium an der Juilliard School (Dirigieren, Komposition, Klavier) und studierte daneben Philosophie und Sprachen an der Columbia University. Heute helfen mir die dabei erlernten Fremdsprachen (neben Englisch Italienisch, Französisch, Russisch und Spanisch) in meiner Kommunikation mit den verschiedensten Orchestern. Aus dieser Zeit stammt meine besondere Affinität zu den USA und eine besondere persönliche kulturelle Prägung durch dieses Land.
Im Rahmen eines damals neu geründeten Programms an der Yale University dem Yale/Affiliate Artists Conducting Program standen einigen wenigen ausgewählten jungen Dirigenten in den USA tätige Persönlichkeiten der Musikszene als Mentoren zur Verfügung. So kam es zur Begegnung etwa mit Lorin Maazel und Claudio Abbado, und mein persönlicher Mentor wurde Professor Wolfgang Sawallisch, der damals Musikdirektor des Philadelphia Orchestra war, neben seiner Tätigkeit an der Bayrischen Staatsoper war. Einge Male im Jahr reiste ich zu ihm nach Philadelphia und auch nach München. Unvergessen ist für mich die Produktion der „Frau ohne Schatten“ von Strauss an der Bayrischen Staatsoper, bei der ich als junger, angehender Kapellmeister von ihm gelernt habe, wie man eine Oper im Idealfall zusammenbaut, wie man als Dirigent uneitel auf Sänger zugeht, sich mit ihren Wünschen befasst, aber trotzdem daraus ein Ensemble formt, das die Partitur so treu wie möglich umzusetzen versucht. Das war eine ganz wichtige Erfahrung.
Wie erlernt man das Dirigieren?
Man kann und soll natürlich die Grundlagen des Dirigierens in seinen Teilbereichen akademisch lernen, wie etwa die Analyse der Harmonie, der musikalischen Phrasen, des rhythmschen Aufbaus und der Orchestrierung einer Partitur. Darüber hinaus glaube ich auch dass nicht nur rein musikalische, sondern auch historische, politische und philosophische Komponenten zu berücksichtigen sind, und ebenso die begleitenden Künste (etwa Dichtung, Malerei und Architektur) die ja alle auch den selben Zeitgeist in dem eine Komposition entstanden ist ausdrücken. Nach einer solch profunden Vorbereitung muss man allerdings in der Praxis auch oft feststellen, dass das was man sich zu Hause im Kämmerchen ausgedacht hat nicht unbedingt das ist, was in der praktischen Umsetzung am besten funktioniert. Darum sage ich immer, mein bester und wichtigster Lehrer ist Woche für Woche bis zum heutigen Tag das jeweilige Orchester mit dem ich gerade arbeite und mit dem ich neue Erfahrungen sammeln kann.
Nach jeder Probe gehe ich zurück in mein Hotelzimmer, schaue die Partitur noch einmal durch und überlege was funktioniert hat und was nicht, was ich anders oder besser machen muss. Dadurch verfeinert und verbessert sich über Jahre die Reaktionsmöglichkeiten als Dirigent auf die jeweiligen künstlerischen Anforderungen.
Welche Instrumente haben Sie gespielt?
Als Dirigent sollte man Verständnis für alle Instrumentengruppen haben, ich selbst habe als Pianist Kammermusikerfahrung mit allen Instrumentengruppen sammeln können. Eine ganz wesentliche Erfahrung ist auch die Komposition von eigenen Werken, die einen die Perspektive des Komponisten viel besser verstehen lässt. Man lernt dabei „Not des Komponisten vor dem leeren Notenblatt“ zu erahnen. Ich habe Kammermusik, Liederzyklen, Solostücke und Symphonische Werke geschrieben.
Wie schwer sind die Handgriffe des Dirigierens zu erlernen?
Ich glaube, dass sehr oft übersehen wird, dass es beim Dirigieren auch einen rein physischen Aspekt gibt, der wie das Erlernen eines Instruments über viele Jahre weiterentwickelt werden muss. Das was ganz leicht ausschaut, ist oft das Ergebnis einer vieljährigen Entwicklung. Ich meine damit nicht unbedingt nur den gestischen Bewegungsablauf. Wie man die Vier schlägt, das können Sie jedem Laien in einer halben Stunde erklären, das ist gar nicht schwierig. Aber was Orchestermusiker spezifisch in einer gewissen Situation brauchen, ob der Schlag weich oder hart sein soll, ob einladend, oder etwa fordernd, wie er beispielsweise den Charakter eines kantablen Bläserchorals mit einem akzentuierten Pizzicato in den Streichern verbindet, das sind alles Dinge die sich nur aus der jeweiligen Partiturstelle und durch jahrelange Verfeinerung in der Praxis ergeben. Das alles ist ein ungemein vielschichtiger und komplexer Vorgang, und junge Dirigenten die möglichst früh damit begonnen haben, sich mit dieser Problematik auseinander zu setzen, haben es leichter sich über die Jahre eine Fertigkeit darin anzueignen.
Ich habe das Glück gehabt, schon mit neunzehn Jahren in New York zusammen mit dem übrigens jetzt gerade neu ernannten Vorstand der Wiener Philharmoniker, dem Geiger Daniel Froschauer ein eigenes Orchester gründen zu können, das Franz Schubert Orchestra New York Das hat mir die Möglichkeit gegeben, sehr früh Erfahrungen mit Orchestermusikern beim gemeinsamen Musizieren in der Praxis zu sammeln. Etwa ist es für einen jungen Dirigenten von größter Wichtigkeit zu lernen an welchen Stellen man ein Orchester besser nicht stören soll, wohingegen es wiederum musikalische Übergänge gibt, bei denen das Orchester dringend Hilfe benötigt. Das alles ist ein höchst sensibler musikalischer Prozess, die wahren Herausforderungen des Dirigierens spielen sich auf einer künstlerischen Ebene ab, die nichts mit „eins, zwei drei vier“ Schlagen zu tun hat, sondern mit den feinsten Obertönen und musikalischen Implikationen, die in einem Musikwerk immanent enthalten sind. Es liegt am Interpreten allgemein, und am Dirigenten im Speziellen, diese in Feinstarbeit aus der Partitur herauszuschälen.
Um darin eine Fertigkeit zu entwickeln hilft sicher eine angeborene Grundmusikalität. Ich glaube aber auch dass Fleiß und vor allem Leidenschaft notwendig sind, um in alle Dimensionen der Dirigententätigkeit eindringen zu können.
Ich liebe in diesem Zusammenhang den bekannten Ausspruch Mahlers , der die Weiterreichung des Feuers anstelle der Anbetung der Asche gefordert hat. Dieses Feuer zu finden in der Erarbeitung jedes einzelnen Konzertprogramms, jeder neuen Opernproduktion in jeweils neuer Sichtweise mit ganz spezifischen Sängern oder Solisten, mit einem sich immer erneuernden Publikum der jeweiligen Zeit, das ist die große Freude und gleichzeitig auch Herausforderung meines Berufs.
Wie meinen Sie, hat sich gegenüber früher die Stellung des Dirigenten im Heute geändert?
Ich glaube, dass sich die Rolle des Dirigenten in den letzten Jahren sehr verändert hat und zwar analog zu unserer Gesellschaft, die sich ja ebenso ständig erneuert. In unserer offeneren, demokratischen und pluralistischen Gesellschaft ist die Rolle eines Dirigenten viel mehr die eines Animators und Kommunikators und weniger von hierarchischen Strukturen geprägt als früher. Diese Kommunikation bezieht sich übrigens nicht nur auf die Orchestermusikern sondern auch auf das Publikum und via die Medien auch auf eine größere Öffentlichkeit. Kommunizieren auf allen Ebenen ist ein neu enstandenes Anforderungsprofil meines Berufes, das es glücklicherweise auch ermöglicht sich für die Implementierung von klassischer Musik in den verschiedensten Gesellschaftsformen einzusetzen.
Sie waren neben anderen Opernhäusern am Aalto Musiktheater in Essen 1.Kapellmeister in über 100 Aufführungen zu erleben.
Das war meine wichtigste Lehrzeit im Opernbetrieb. Ich hatte damals das Ensemble durch alle möglichen Winkel des gängigen Opernrepertoires zu führen, von Figaro bis zu Carmen, im italienischen, französischen, slawischen und deutschen Fach. Dabei konnte ich lernen im Unterschied zum reinen Konzertdirigierens auf die Notwendigkeiten der szenischen Darstellung einzugehen. Also auf einen Chor der in 50 Meter Entfernung vorweg dirigiert werden musste, auf Sängerinnen die aufgrund eines ausladenden Kostüms ihre Achtelnoten langsamer singen etc. Das wichtigste aber was ich dabei gelernt habe war das Gefühl einen Sänger auf der Bühne zu „erspüren“, also instinktiv zu merken was er oder sie in einem gewissen Moment an Begleitung und Unterstützung braucht. Oft kam es dabei aufgrund von mangelnden Probenmöglichkeiten, kurzfristigen Umbesetzungen und der Natur des Repertoiresystem im allgemeinen vor allem darauf an, aufeinander einzugehen und eine Aufführung einfach gemeinsam zu „machen“.
Dirigieren Sie immer mit Partitur, auch wenn Sie da Werk schon hinreichend auswendig vor Augen oder im Ohr haben?
Oper dirigiere ich überwiegend mit der Partitur, weil ich glaube, dass es die Aufgabe eines Dirigenten ist Beruhigung und Sicherheit für das ganze Ensembles auszustrahlen. Selbst wenn ich eine Oper in-und auswendig kenne, lege ich mir die Partitur hin. Denn angenommen z.B. in einer komplizierten Fuge findet der 2.Tenor seine Linie nicht mehr, kann ich mit einem kurzen Blick dann sofort helfend eingreifen wo ich ansonsten nur die jeweilige Hauptstimme dirigiert hätte. Das in der Oper so zu machen ist übrigens auch ein Ratschlag den mir Prof.Wolfgang Sawallisch gegeben hat.
War ihre nun schon langjährige Arbeit hier in Klosterneuburg ihre erste Begegnung mit einer Freiluftaufführung?
Ja, aber mittlerweile ist es ja schon die fünfte Produktion, die ich hier dirigiere. In Klosterneuburg ist in der Tat die Akustik ein ganz wunderbares Phänomen, weil die Sänger mühelos über das Orchester strahlen können und unverstärkt, also ohne Lautsprecher, im originalen Klang zu hören sind. Natürlich herrschen aber bei Freiluftaufführungen eigene Gesetze, etwa kann der Wind den Klang (ganz zu schweigen von den Noten) regelrecht verblasen, und Kälte oder Hitze können sich natürlich auf alle Mitwirkende auswirken. Andererseits können im Zauber einer lauen Mondnacht und beim Ertönen von leisem Vogelgezwitscher ganz unvergessliche Momente entstehen, und dann sind alle Unwägbarkeiten wieder schnell vergessen.
Bei Freiluftoper gilt es auch ein besonderes Augenmerk auf die richtige Balance zu legen. So dirigiere ich manchmal bewusst für eine andere Balance als ich sie selbst gerade im Graben höre, damit der Klang auf den Rängen, wo es ja immer anders klingt, richtig ankommt. Das ist ein Phänomen das in extremster Form auch im Bayreuther Graben anzutreffen ist und dort bis zur teilweisen Unhörbarkeit des Bühnengeschehens für den Dirigenten führen kann, wenn man etwa die Schilderungen von Christian Thielemann hört.
Mit welchem Anteil sind Sie bei der Auswahl des sängerischen Personals dabei?
In Klosterneuburg haben wir mit Michael Garschall einen Intendanten, der ein hervorragendes Gespür für das Aufspüren von tollen junge Sänger und der richtigen Mischung mit bereits arrivierten Sängern hat. Im Laufe der letzten Jahre haben wir in diesen Fragen ein großes Vertrauensverhältnis miteinander entwickelt.
Von der Politik wurde jüngst ein designierter Operndirektor beauftragt, eine Oper 4,0 auf die Beine zu stellen. Vorstellbar ist darunter wohl nur die Erweiterung der Informationen für das Publikum mit der neuen Form von Übertragungen, in Form von Streams oder Verbreitung über TV und Kinoübertragungen. Ist das ein weiterer Schritt, vermehrt nur mit den Augen hören?
Wie löst man das Problem der ganz bewusst verstärkten Ablenkung von den musikalischen Inhalten durch diese vermehrten optischen Reize?
Unsere Zeit ist eine visuellere geworden – keine Frage – aber ich meine dass wir in den Operninszenierungen auch bewusst gegensteuern müssen und dezidiert auch Phasen der Stille und des Innehaltens im Ablauf des Bühnengeschehens einbauen sollten, um auch die Musik zu ihrer Geltung kommen zu lassen. So haben wir zum Beispiel in „Le comte Ory“ bei einer leisen Stelle des Chors mit einem „Freeze“ versucht, die Aufmerksamkeit auf das reine Zuhören zu lenken.
Sie sind öfter auch in Amerika tätig, wann fahren Sie wieder hinüber?
Ich bin im Jahr 7-10 Mal in den USA und in Kanada, das nächste Mal schon wieder diesen Herbst. Seit meiner Studienzeit in New York habe ich ein großes Naheverhältnis dorthin und bin nun bereits seit mehreren Jahren an vielen Orten regelmäßig zu Gast. Das Faszinierende daran ist dass die Aufgabe eines Dirigenten in Amerika tendenziell doch eine etwas andere ist, es geht dabei auch um musikalische Einführungen während des Konzerts, um Kontaktpflege mit Sponsoren und auch um den Austausch mit anderen Kulturinstitutionen der Stadt, also um einen „community leader“ im breiteren Sinn.
Wie erleben Sie als der seit 2016 ernannte Kapellmeister der traditionellen Wiener Hofmusikkapelle die spirituelle Ebene von Musik?
Die regelmäßige Zusammenarbeit mit den Wiener Philharmonikern, den Wiener Sängerknaben und dem Herrenchor der Wiener Staatsoper stellt für mich natürlich eine große Freude dar, weil diese Institutionen ja zu den größten Perlen unserer heimischen Musikkultur zählen. Die Tradition in der Hofmusikkapelle am Sonntag Vormittag sakrale Musik erklingen zu lassen wird dort bereits über 600 Jahre aufrecht erhalten, und was könnte es Schöneres für einen Dirigenten geben als in dieser Konstellation die Musik etwa von Mozart, Haydn oder Schubert aufführen zu können.
Ganz allgemein gesagt ist für mich das gemeinsame Erleben von Musik eine der stärksten möglichen Kommunikationsformen, es steht direkt mit unserem Unterbewusstsein in Verbindung. In einer inspirierten Aufführung entsteht das wunderbare Phänomen, dass sich die Energie von Ausführenden und Zuhörenden zu einem Gemeinschaftserlebnis summiert, dass über die Erfahrungsmöglichkeit jedes einzelnen weit hinausreicht.
Für den OnlineMerker führte das Gespräch Peter Skorepa
Fotos: Titelfoto: PSkorepa, Ensemble: Operklosterneuburg, ansonsten C.Campestrini