Christian Wehrschütz:
MEIN JOURNALISTENLEBEN
ZWISCHEN DARTH VADER UND JUNGFRAU MARIA
272 Seiten, Verlag edition keiper, 2022
Niemand, der ORF schaut, kann oder wollte auch an Christian Wehrschütz vorbeigehen, schließlich ist er seit fast einem Vierteljahrhundert Dauergast der politischen Berichterstattung. Ihm verdankt man die Eindrücke dessen, was auf dem Balkan und in Osteuropa geschieht – und er ist keiner jener Journalisten, die sich nicht von der Hotelbar wegrühren und sich die Neuigkeiten gegen ein Trinkgeld zutragen lassen. Er ist stets mitten drin.
Aber wenn man seine eineinhalb- bis dreiminütigen Beiträge in der „Zeit im Bild“ sieht, immer wieder auch im Kugelhagel, dann hat man keine Ahnung, was eigentlich dahinter steckt, wie (und wie schwierig) es zu diesem Kommentaren gekommen ist. Darum hat Christian Wehrschütz das ganz persönliche Buch über sein Journalistenleben geschrieben, um die Geschichten hinter den Geschichten zu erzählen, und das sind viele.
Der Untertitel muss erklärt werden – „Darth Vader“, ja, das bezieht sich auf die „Star Wars“-Filme, die in der Familie Wehrschütz starke Fans haben, und „Möge die Macht mit dir sein“ ist ein Familiengruß. (Im Anhang erzählt eine der Wehrschütz-Töchter allerdings auch, dass der Papa mindestens ein ebenso großer Fan des „Rings des Nibelungen“ ist und Wochen damit verbracht hat, der Familie das Werk auseinander zu setzen.) Ja, und die Jungfrau Maira – man berichtet ja nicht immer nur über den Krieg, Wehrschütz war auch in Bosnien und Herzegowina, um Pilgerströme nach Međugorje zu beobachten, und er hat sich sehr über jene Kollegen geärgert, die sich über die frommen Leute lustig machten…
Wehrschütz, Jahrgang 1961, geboren in Graz, mit Familie in Salzburg ansässig, hat eine militärische Ausbildung (Major) und ein Jus-Studium hinter sich, vor allem aber – und das hält er für unerlässlich für seinen Beruf – spricht er neben den üblichen Sprachen (Englisch, Französisch) auch noch Russisch, Ukrainisch, Serbisch, Kroatisch, Slowenisch, Bosnisch, Mazedonisch und Albanisch. Mehr noch, er kennt die Länder, aus denen er berichtet, aus der Nähe und von innen.
1999 wurde er vom ORF nach Belgrad entsandt, um dort ein ORF-Büro zu eröffnen, seit 2015 leitet er außerdem das ORF-Büro in Kiew. Insider, der er ist, konnte ihn Putins Überfall auf die Ukraine eigentlich nicht überraschen: Nicht nur, weil er im Dezember 2021 ein Gespräch mit dem serbischen Präsidenten Alexander Vucic führte, wobei man auf die geplanten Nato-Manöver in der Ukraine zu sprechen kam. Und sein Gegenüber prophezeite düster: „Ich fürchte, die Ukraine wird nicht die Möglichkeit haben, auch nur ein einziges Manöver durchzuführen.“ Und so kam es auch.
Wehrschütz hat sein Erinnerungsbuch aber weniger politisch-analytisch als unterhaltend angelegt, wenn er auch lebensgefährliche Situationen nicht unter den Tisch kehrt und immer wieder seine mutigen Mitarbeiter lobt (man braucht richtige Kameramänner für verschiedene Gelegenheiten, die sich auch einmal tollkühn ins Gefecht werfen).
Es gibt viele kleine Geschichten, manche heiter, etwa das Stolpern über das Protokoll, das für Journalisten überall ärgerlich ist (Was ist der Unterschied zwischen dem Protokoll und Terroristen? Mit Terroristen kann man verhandeln…) – das heißt auch, dass man in Laibach seine Zigarettenasche nicht in dem Aschenbecher ablegen darf, der einzig und allein für Österreichs Außenminister Schallenberg aufgestellt wurde… Ja, und Karl Nehammer verdankt er sein Leben. Wäre dieser nicht nach Kiew gekommen, wären Wehrschütz und sein Kameramann vermutlich in Kramatorsk geblieben – und mit einiger Wahrscheinlichkeit in einen Kugelhagel geraten, der viele Menschenleben kostete…
Mit vielen kleinen Bildern versehen, erlebt man den anstrengenden Alltag eines politischen Fernsehjournalisten, dessen Arbeit durch Internet und Smartphone zwar erleichtert wurde, was aber immer noch nicht das Problem löst, wo man plötzlich benötigtes Benzin herbekommen soll (deshalb ist es immer wichtig, Bündel mit Bargeld bei sich zu tragen). Man kommt um illegale Grenzübertritte nicht herum und man landet auch schon einmal im Gefängnis.
Wehrschütz, der auch seine Eigenheiten pflegt (etwa „Agram“ sagt statt „Zagreb“ und „Laibach“ statt „Ljubljana“) reflektiert auch über die „moralische“ Seite des Journalismus, die Ereignisse nie im Sinn einer Partei zu manipulieren, sondern so ausgewogen wie möglich zu berichten. Er ist ein Mann von Charakter. „Stürme im Wasserglas Sozialer Medien ertrage ich mit stoischer Gelassenheit“, sagt er. Man glaubt es ihm aufs Wort.
Renate Wagner