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CHEMNITZ: VASCO DA GAMA von G. Meyerbeer – die Urfassung der „Afrikanerin“

11.03.2013 | KRITIKEN, Oper

Urfassung der „Afrikanerin“ in Chemnitz: „Vasco de Gama“ von Giacomo Meyerbeer (Vorstellung: 10. 3. 2013)


Das Opernhaus Chemnitz bot dem Publikum eine sehenswerte Aufführung mit dekorativen Bühnenbildern (Foto: Dieter Wuschanski)

 Die schillernde Gestalt des portugiesischen Seefahrers Vasco da Gama (1469 – 1524) inspirierte den Komponisten Giacomo Meyerbeer (1791 – 1864) Mitte des 19. Jahrhunderts so sehr, dass er seine unter dem Titel „Die Afrikanerin“ geplante Oper umarbeitete und ihr den französischen Namen „Vasco de Gama“ gab. Da Meyerbeer kurz vor den Proben zur Uraufführung des Werks starb, konnte er seinen Plan nicht mehr vollenden.

 Der belgische Musikwissenschaftler François-Joseph Fétis erklärte sich bereit, das Material des Komponisten aufzubereiten, sodass die Uraufführung am 28. April 1865 in Paris stattfinden konnte – allerdings unter dem Namen „Die Afrikanerin“. Außerdem nahm er inhaltliche Änderungen und Kürzungen am Werk vor. Die Uraufführung in Anwesenheit des französischen Kaiserpaares war ein Riesenerfolg. Wie groß in Paris die Wertschätzung für Meyerbeer war, sieht man daran, dass am selben Abend auf der Bühne eine Büste des Komponisten enthüllt wurde!

 Die „Afrikanerin“ trat ihren Siegeszug um die Welt an, der erst durch das Verbot der Nazis im 20. Jahrhundert gestoppt wurde. Bis dahin war sie Meyerbeers meistgespielte Oper Nach 1945 gab es deutlich weniger Aufführungen. Nun brachte das Opernhaus Chemnitz dieses Werk in der von Meyerbeer vorgesehenen Fassung unter dem Titel „Vasco de Gama“ (in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln) zur Aufführung (Premiere war am 2. 2.).

 Die Handlung der Oper, deren Libretto Eugène Scribe verfasste, in Kurzfassung: Vasco da Gama kehrt von einer langjährigen Seereise nach Indien in seine portugiesische Heimat zurück und wird von seiner Geliebten, der Admiralstochter Inès, sehnsüchtig erwartet. Seine Erkenntnisse dieser letzten Exkursion bringen ihn in Konflikt mit der Inquisition, doch kann er mit Hilfe von Inès der verhängten Strafe entgehen. Doch Liebe, Eifersucht und sein Entdeckerdrang bringen sein Leben weiterhin in Gefahr, denn die stolze indische Königin Sélika, die er als Sklavin von seiner letzten Reise mitbrachte und die sich in den Seefahrer verliebte, stürzt Vasco in einen seelischen Zwiespalt. Er ist von ihrer exotischen Schönheit fasziniert und schürt, ohne es zu ahnen, ihre Hoffnung auf Gegenliebe. Als Sélika jedoch erkennt, dass Vascos Herz allein für Inès schlägt, setzt sie voller Verzweiflung ihrem Leben ein Ende.

 Jakob Peters-Messer schuf eine wirkungsvolle und atmosphärisch dichte Inszenierung, die dem Werk, das in seiner Originalfassung über fünf Stunden dauert, nicht nur gerecht wurde, sondern das Publikum trotz der langen Spieldauer voll in den Bann zog. Mit dem Bühnenbildner Markus Meyer hatte er einen kongenialen Partner, der fast ohne Requisiten auskam, aber mit einigen ausgesprochen kreativen Ideen aufwartete. So baute er für die Gefängnisszene einen kreisrunden Kasten, in dem auf der Rückwand eine riesige Weltkugel zu sehen ist, vor dem Vasco da Gama liegt und seinen Traum von weiteren Entdeckungsreisen hat. Für den dritten Akt, der auf einem Schiff spielt, schuf er ein etwa sieben Meter hohes und zehn Meter breites Meeresbild, das die ganze Bühne einnimmt – bis sich plötzlich 21 Türen öffnen und den Blick auf das dreistöckige Schiff und auf die Matrosen freigeben. Im letzten Akt wird ein großer Glaskasten mit einem Manzanilla-Baum auf die Bühne geschoben, dessen tödlichen Duft Sélika bei ihrem Selbstmord einatmet. Passend auch die Kostümentwürfe von Sven Bindseil, die einerseits der Seefahrerzeit entsprachen, andererseits durch die dunkelroten Gewänder der indischen Bevölkerung einen wichtigen farblichen Kontrast boten.

 Als Vasco da Gama kämpfte Bernhard Berchtold mit seiner lyrischen Tenorstimme tapfer gegen die tückischen Anforderungen und Klippen seiner Rolle, wobei er im Laufe des Abends immer sicherer wurde und im vierten Akt die herrliche Arie „O Paradis“ mit Bravour sang. Brillant die Mezzosopranistin Claudia Sorokina als Sélika, die als Sklavin ebenso überzeugend spielte und sang wie als indische Königin. Sie hatte eine starke Bühnenausstrahlung und drückte alle ihre Gefühle, die von Angst über Liebe bis zu Hass reichten, auch mit ihrer wandlungsfähigen Stimme exzellent aus.

 Ihr stimmlich ebenbürtig war die Sopranistin Guibee Yang in der Rolle von Inès, die Vasco liebt und Don Pédro ehelicht, um ihren Geliebten retten zu können. Sie meisterte mühelos alle Koloraturen und wurde vom Publikum besonders gefeiert. Kouta Räsänen spielte den fanatischen Gegenspieler von Vasco da Gama mit seiner prägnanten Bassstimme recht eindrucksvoll, während der Bariton Martin Gäbler als Admiral Don Diègo und Vater von Inès ein wenig blass blieb.

 Beeindruckend dagegen agierte der vor einigen Jahren an der Wiener Kammeroper engagierte Bariton Adam Kim als Sklave Nélusko, der gleichfalls in Sélika verliebt ist und aus Hass gegen die Portugiesen das Schiff zum Kentern bringen will. Er schaffte es, die Verschlagenheit seiner Rolle gekonnt darzustellen und bot mit seiner sonoren Stimme auch stimmlich eine veritable Leistung. Mit finsterer, bös funkelnder Bassstimme stattete Rolf Broman seine beiden Rollen als Großinquisitor von Lissabon und als Oberpriester des Brahma aus.

 Zur guten Ensembleleistung trugen in den Nebenrollen auch die Tenöre André Riemer als Don Alvar und Tommaso Randazzo als Matrose und Priester sowie die Mezzosopranistin Tiina Panttinen als Anna, der Begleiterin von Inès, bei. Eine dramaturgisch wichtige Funktion hatte der Chor inne, der im dritten Akt auf dem Schiff die Matrosen und im vierten die indische Bevölkerung zu mimen hatte und dies nicht nur gesanglich, sondern auch darstellerisch eindrucksvoll bewältigte (Einstudierung: Simon Zimmermann).

 Ein besonderes Lob verdient die Robert-Schumann-Philharmonie, die unter der umsichtigen und einfühlsamen Leistung von Frank Beermann, der – wie die Chemnitzer Theaterzeitung schreibt – das Werk eine „Sensation für die Opernwelt“ nannte, die prächtig instrumentierte Partitur des Komponisten in allen Facetten wiedergab.

 Das Publikum, das auch mit Szenenbeifall nicht geizte, würdigte die Leistungen aller Mitwirkenden mit nicht enden wollendem Applaus und zahlreichen Bravo-Rufen – und das nach mehr als fünf Stunden! Resümee: es war ein denkwürdiger Opernabend!

 Udo Pacolt, Wien – München

 PS: Im Rahmen der Erstaufführung der revidierten Fassung im Opernhaus Chemnitz fand in Zusammenarbeit mit der TU Chemnitz das kulturwissenschaftliche Kolloquium „Macht_Ego_Religion“ statt, an dem prominente Universitäts-Wissenschaftler aus München, Bayreuth und Chemnitz teilnahmen.

 

 

 

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