Chemnitz: „TOSCA„ – 26. 2. 2012
Stellte sich der Regisseur Jakob Peters-Messer 2007 in Chemnitz mit einer durchaus akzeptablen Deutung von Mascagnis „Iris“ vor, vergraulte hernach seine am Baum gelandete „Margarete“ das hiesige Publikum. Man durfte deshalb auf seine Version von Puccinis „Tosca“ gespannt sein, die sich, nehmt alles nur in allem, durchaus sehen und hören lassen konnte. Freilich spielt das Werk erwartungsgemäß nicht mehr im Rom des Jahres 1800, vielmehr eher in einer heutigen Diktatur hispano-amerikanischen Zuschnitts. Markus Meyer verzichtete auf ein Einheitsbühnenbild, schuf mit Kirche, Sitz des Polizeichefs und Hinrichtungsstätte klar voneinander abgegrenzte Handlungsorte. Nach der Pause gelangt die Hydraulik des Hauses zum Einsatz. Scarpias Büro erscheint auf halber Bühnenhöhe, die untere Hälfte bleibt der Folterkammer vorbehalten, die allerdings derart umständlich betreten werden muss, dass sich der Betrachter eines leichten Lächelns nicht erwehren kann. Eine sukzessive aus der Unterbühne heraufgefahrene Treppe dominiert im letzten Akt die zu Beginn nahezu leergefegte Szene, optisch eindrucksvoll den Selbstmord der Titelheldin verdeutlichend. Die, bis auf das etwas ärmliche Gewand Cavaradossis, gelungenen Kostüme steuerte Sven Bindseil bei.
Peters-Messer fragt: „Wie unpolitisch darf ein Künstler sein? Oder umgekehrt: Wie politisch muss ein Künstler sein in Zeiten der Unterdrückung, der Diktatur?“ Damit bleibt er am von ihm durchaus ernst genommenen Original und formt selbst die sogenannten Comprimario-Rollen zu eigenständigen, sich als Menschen ihrer Zeit offenbarenden Charakteren. Der Mesner (Martin Gäbler) entpuppt sich als nicht zu unterschätzender duckmäuserischer Anhänger des Polizeistaates, Sciarrone (Andreas Kindschuh) als stoischer Befehlsempfänger. Der nur physisch geschwächte Angelotti (stimmgewaltig André Eckert) lässt keinen Augenblick an seiner psychischen Widerstandskraft zweifeln. Lediglich auf den dienstbeflissenen Spoletta (André Riemer) hätte die Regie einen grelleren Spot werfen können.
In der Hauptrolle war die Usbekin Claudia Sorokina zu begrüßen, die den emotionalen Facetten der Figur (die Leidenschaft für den geliebten Maler, jäh ausbrechende Eifersucht, den kreatürlichen Schmerz eines zutiefst gedemütigten und verwundeten Menschenkindes) glaubwürdig zum Ausdruck verhalf und ihren eine Spur zu mädchenhaft anmutenden Sopran klangschön und unangestrengt in den Dienst der Partie stellte. Natürlich könnte ich mir in diesem Zusammenhang eine dunkler gefärbte, glutvollere Stimme vorstellen. Der Cavaradossi bereitete dem Kolumbianer César Augusto Gutiérrez vokal keinerlei Schwierigkeiten. Sowohl in der baritonal gefärbten Mittellage wie auch in der mühelosen Höhe stand sein Tenor wie eine Eins, ein Eindruck, den noch effektvoller ausgekostete Piani und ein Quäntchen Schmelz gewiss bereichert hätten. Über heldenbaritonalen Aplomb gebot der Scarpia Oliver Zwargs, dessen sich der Künstler jedoch nur fein dosiert bediente und ansonsten einem weniger auf belcantistische Wonnen als vielmehr charakteristischen Ausdruck bedachten, die Rolle detailliert erfassenden Gesangsstil frönte. Hier war ein Machtmensch am Werke, dem man den Verzicht auf das Malträtieren einer Gitarre gern abnahm. Gelegentliche Übertreibungen (das geräuschvolle Verspeisen der Meeresfrüchte und ein angedeutetes Masturbieren) gehen zweifelsohne auf das Konto der Regie, die überdies auf das ab und an nach dem Motto „Wo bin ich denn, was soll ich hier?“ auf der Bühne wahrzunehmende Mädchen (Tosca als Kind) verzichten sollte.
Prächtig von Simon Zimmermann einstudiert, verhalfen die Damen und Herren des Chores dem Finale des 1. Aktes zu elementarer Wucht, wobei Peters-Messer es bedacht verabsäumte, die Zeremonien eines katholischen Hochamtes in allen Einzelheiten zu zelebrieren.
Wieder einmal erwies sich Frank Beermann als der rechte Mann am rechten Ort. Unter seiner Leitung bot die Robert-Schumann-Philharmonie einen Puccini vom Feinsten. Bereits die einleitenden Takte ließen in ihrer ungebremsten Brutalität aufhorchen. Beermann ward jedoch nicht nur den veristischen Effekten der Partitur vollauf gerecht, ohne dabei über den Leisten zu schlagen. Gleichermaßen gewannen in seiner Interpretation die kantablen Passagen berückenden, niemals ins Süßliche driftenden Klang. Man kann den Orchesterchef zu dieser, nach „Manon“ und „Bohème“ nunmehr dritten Chemnitzer Puccini-Einstudierung nur beglückwünschen.
Joachim Weise