Chemnitz: „LE GRAND MACABRE“ – 2. 10.2013
An den Beginn dieser Spielzeit setzte Christoph Dittrich zum Auftakt seiner Generalintendanz György Ligetis Weltuntergangsversion in der revidierten Fassung von 1996 und entsprach damit seinem löblichen Vorhaben, abgesehen von „Don Giovanni“, bis zum kommenden Sommer nur Werke aufzuführen, die in Chemnitz entweder bislang sträflich vernachlässigt bzw. noch nie gezeigt wurden. Um das Interesse an dem „Großen Makabren“ zu steigern, startete der Intendant einen besonderen Coup, indem er für das Bühnenbild mit Georg Baselitz einen der Malerfürsten des Landes verpflichtete. Wer nun auch immer erhoffte oder befürchtete, mit diesem Engagement sei die Gewähr für einen kleinen oder größeren Skandal gegeben, musste sich eines Besseren belehren lassen. Denn lässt man den 1. Akt beiseite, für den der Künstler ohne Not eine Lösung ersann, die den sich in schwindelnder Höhe befindenden Beteiligten nahezu akrobatische Leistungen abverlangte, bleibt Baselitz erfreulich nah am Stück, steuert ebenso sinnreiche wie gediegene Einfälle bei, die glücklich mit den phantasievollen Kostümen John Bocks harmonieren.
Für die Inszenierung zeichnete der international tätige Engländer Walter Sutcliffe verantwortlich, der recht behutsam zu Werke ging, tunlichst darum bemüht, die ungeübte Ohren doch recht befremdenden Klänge aus dem Orchestergraben (man sollte diese Musik mehrfach hören, um all ihres Könnens und Witzes gewahr zu werden) nicht noch mit verfremdenden szenischen Zutaten zu toppen. Per Weichzeichner und Schonwaschgang kommt man diesem Ligeti allerdings kaum rundum zufriedenstellend bei. Der „Makabre“ verträgt durchaus einen ungehemmteren Zugriff, bietet sich der Pranke heutigen „Regietheaters“ förmlich an. Doch seltsam, wo es uns bei der Klassik oft peinlich berührt, schnurrt es bei einem sich ihr weniger entziehenden Opus eher kätzchenhaft. Immerhin muss man der Regie zugestehen, sich zuvörderst auf das Verständnis der Handlung konzentriert zu haben, was in Anbetracht einer weitgehenden Textunverständlichkeit trotz manch langatmiger Passagen nicht pauschal verdammt werden sollte. Und in eben dieser mangelhaften Verständlichkeit des Textes besteht ein vorrangiges Manko des Abends, das zuweilen von der sich ungestüm in die Partitur stürzenden Robert-Schumann-Philharmonie unter der Leitung von Frank Beermann noch zusätzlich bedient wurde. Der ungewohnten Aufgabe nimmt sich der Dirigent mit Feuereifer an, erweist sich als couragierter Anwalt der vertrackten Partitur, die mit dem Einsatz von Autohupen, diversen Weckern und ihrem Zweck entfremdeten Küchengeräten den Musikanten nicht nur Hanebüchenes zumutet, sondern ihnen damit zugleich einen willig angenommenen und auch zu vernehmenden Spaß bereitete. Da blieb kein Wunsch offen. Wenn Beermann freilich bereits während der Probenarbeit seinen Hut vor den Leistungen der Sänger zog, wäre es nur kollegial gewesen, ihnen in puncto orchestrales Auftrumpfen etwas mehr entgegen zu kommen.
Noch am wenigsten gepiesackt von dementsprechenden Nöten präsentierte sich der Tenor Dan Karlström, der seinen mit extremen Höhen gespickten Part souverän meisterte, aber als Piet vom Fass von der Regie nur wenig an die Hand bekam, um das komödiantische Potential der Partie restlos auszuschöpfen. Betreffs stimmlicher Virtuosität kam ihm Piia Komsi (Gepopo) am nächsten, während Heiko Trinsinger (Nekrotzar) mit seinem beachtlichen vokalen Material nicht durchweg gegenüber dem Orchester bestehen konnte. Wo ihnen Sutcliffe dazu Raum gewährte, versuchten auch Monika Straube (Mescalina) und Kouta Räsänen (Astradamors) ihre Figuren zu profilieren. Sonderliches Interesse ließ der Regisseur hingegen dem Liebespaar Amanda-Amando (Guibee Yang/Tiina Penttinen) kaum angedeihen,dafür bürdete er dem von Simon Zimmermann exakt einstudierten Chor bemüht anmutende Aktionen auf. Der Untergang der Welt blieb aus, weil er diesmal einfach verpuffte.
Joachim Weise