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CHEMNITZ: DIE TOTE STADT von Erich Wolfgang Korngold

18.12.2014 | Allgemein, Oper

Großer Opernabend in Chemnitz: „Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold (Vorstellung: 16. 12. 2014)

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Die beiden Hauptrollen wurden von Niclas Oettermann (Paul) und Marion Ammann (Marietta) großartig gespielt (Foto: Dieter Wuschanski)

 Das Opernhaus Chemnitz erinnerte sich im Oktober dieses Jahres einer Oper, die – 1920 am selben Tag in Hamburg und Köln uraufgeführt – zu den meistgespielten Werken der „Goldenen Zwanziger“ zählte: „Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold. Die poesievollen Texte des Librettos verfasste der Komponist gemeinsam mit seinem Vater Julius Korngold (alias Paul Schott) nach dem Roman „Bruges-la-Morte“ des belgischen Schriftstellers Georges Rodenbach. In Chemnitz wurde die Oper zuletzt im Jänner 1922 gespielt, wobei niemand anderer als Richard Tauber die männliche Hauptrolle sang.

Die Handlung der Oper, die sicherlich auch von Sigmund Freuds Traumanalyse inspiriert wurde, in Kurzfassung: Pauls einziger Lebensinhalt besteht in der Bewahrung des Andenkens an seine verstorbene Frau Marie, die er über alles geliebt hat. Als er der Tänzerin Marietta begegnet, die Marie völlig gleicht, lädt er sie zu sich nach Hause ein. Nach und nach fließen für ihn die Bilder der Toten mit jenen Mariettas ineinander. Marietta, die den „Kampf“ gegen die tote Rivalin aufnimmt, setzt ihre Verführungskünste ein, verhöhnt Paul und provoziert ihn, indem sie mit Maries Haarflechte herumspielt. Außer sich wirft Paul sie nieder und erdrosselt sie. Endlich wacht Paul aus seinem Traum und muss sich eingestehen: „Ein Traum hat mir den Traum zerstört.“ Als er allein ist, kommt Marietta, um den vergessenen Regenschirm zu holen. Paul beschließt, seinem wahnhaften Totenkult ein Ende zu setzen und Brügge, die „Stadt des Todes“, zu verlassen.

 Helen Malkowsky gelang eine dichte Inszenierung mit guter Personenführung, obwohl sie eine karge, kalt wirkende Ausstattung (Bühnengestaltung: Harald B. Thor, Kostümentwürfe: Tanja Hofmann) setzte. Die geflutete Bühne im dritten Akt sollte wohl an Brügge, den Ort des Geschehens, erinnern. Eine Idee, die entbehrlich schien und eher störend wirkte. Kreativ die Lichtgestaltung durch Holger Reinke.

Der Robert-Schumann-Philharmonie gelang es unter der mitreißenden Leitung von Frank Beermann, alle Nuancen der vielschichtigen, genialen Partitur des Komponisten zum Klingen zu bringen. In einem Beitrag des informativ gestalteten Programmhefts vertritt der Dirigent die These, „dass der junge Komponist (er war erst 19 Jahre alt, als er mit der Arbeit an der Partitur begann) im vollen Bewusstsein aller musikalischen Strömungen seiner Zeit zielstrebig einen Weg gesucht habe, die Tonalität zugleich zu erhalten und doch mit ihr etwas Neues zu erschaffen. Was ihm ohne Zweifel gelungen ist, und es fragt sich, welche Bühnenwerke er noch hätte erschaffen können, wäre nicht seine Karriere durch seine freiwillig-unfreiwillige Flucht aus Wien 1938 in eine ganz andere Richtung gelenkt worden.“

 Mit seiner Flucht vor dem Nationalsozialismus war Korngold in „bester Gesellschaft“: Krenek, Schreker, Zemlinsky, um nur einige zu nennen, die der österreichischen Musikwelt damals verlorengingen.

In seinem Artikel „Am Nerv der Zeit“ schrieb Jón Philipp von Linden unter anderem: „Der junge Korngold wurde von der zeitgenössischen Presse mit Puccini und Richard Strauss verglichen, eine hohe Ehre für das Nachwuchstalent. … Es spricht von einer enormen Meisterschaft, in eine ohnehin brillant komponierte und noch brillanter orchestrierte Partitur wie die der ‚Toten Stadt‘ lauter Anspielungen einzubauen, die denjenigen, welche sie erkennen, von jeher einiges an inhaltlichem und künstlerischem Mehrwert beschert haben dürften. Das nimmt insofern nicht wunder, als Korngold in Wien des frühen 20. Jahrhunderts aufgewachsen ist, mithin in der wichtigsten Kulturmetropole Europas, und geradezu aufgesogen haben muss, was immer in den Opernhäusern und Konzertsälen an Neuem und Altem zu hören war.“

 Die Aufführung in Chemnitz war von der starken Leistung der beiden Hauptdarsteller geprägt: Der Tenor Niclas Oettermann spielte einen verträumt trauernden Paul, der ein wenig unbeholfen wirkte und mehr in der Vergangenheit lebte, als in die Zukunft zu blicken. Stimmlich forcierte er einige Male zu stark, dennoch bewältigte er seine Rolle mit Bravour. Exzellent die Schweizer Sopranistin Marion Ammann als Marietta und Stimme der verstorbenen Marie. Wie sie einerseits gegen den Schatten der toten Marie kämpfte und andererseits alle weiblichen Verführungskünste ausspielte, um Paul für sich zu gewinnen, war sehens- und hörenswert! Wunderbar sang sie die Melodie „Glück, das mir verblieb“, das musikalische Leitmotiv der Oper.

 Überzeugend auch der österreichische Bariton Klaus Kuttler als Pauls Freund Frank, der selbst um Mariettas Gunst buhlt. Seine stärksten Szenen hatte er beim Auftritt der Komödianten – ganz im Stil der Commedia dell’arte – als Fritz, der Pierrot, und beim Vortrag seiner Ohrwurm-Arie „Sein Sehnen, mein Wähnen“.  Berührend die finnische Mezzosopranistin Tiina Penttinen als Pauls Haushälterin Brigitta, die ins Kloster geht, da sie Pauls Verhalten als schwere Sünde empfindet.

 Für die gute Ensembleleistung sorgten in kleineren Partien noch die südkoreanische Sopranistin Guibee Yang als Lucienne, die Mezzosopranistin Carolin Schumann in der Rolle der Juliette und die beiden Tenöre André Riemer als Victorin und Michael Berner als Graf Albert.

 Das in der letzten Adventwoche nur karg erschienene Publikum (das Opernhaus war leider nur zu etwa einem Drittel besetzt) belohnte die Leistungen des Sängerensembles, des Orchesters und des Dirigenten mit lang anhaltendem Applaus, wobei es viele Bravorufe für Niclas Oettermann und Marion Ammann sowie Standing Ovations einiger Besucher für Frank Beermann und sein Orchester, die Robert-Schumann-Philharmonie, gab. Verdientermaßen, denn der Opernabend war von höchster musikalischer Qualität.

 Udo Pacolt

 

 

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