CD: Victor Bendix Sinfonien Nr 1. und Nr. 3 Malmö Symphony Orchestra Joachim Gustafsson, musikalische Leitung Dacapo Records, 8224742
Vergessene Schätze: Die Sinfonien von Victor Bendix wiederentdeckt
In der schier unendlichen Welt der klassischen Musik gibt es immer wieder Entdeckungen zu machen, die das Herz jedes Liebhabers höher schlagen lassen. Die neueste Veröffentlichung von Dacapo Records ist eine solche Entdeckung: eine CD mit den Sinfonien Nr. 1 und Nr. 3 des dänischen Komponisten Victor Bendix, eingespielt vom Malmö Symphony Orchestra unter der Leitung von Joachim Gustafsson. Bendix, eine faszinierende Figur der dänischen Musikszene des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, bleibt trotz seines Talents und seiner Verdienste weitgehend im Schatten seiner berühmteren Zeitgenossen. Diese Aufnahme bietet eine willkommene Gelegenheit, zwei seiner herausragendsten Werke neu zu erleben und zu würdigen.
Victor Bendix (1851–1926) war eine zentrale, aber zugleich komplexe Figur in der dänischen Musikgeschichte. Geboren in Kopenhagen, begann er seine musikalische Ausbildung bei Niels W. Gade und J.P.E. Hartmann, zwei führenden Persönlichkeiten der dänischen Romantik. Später studierte er bei Franz Liszt, dessen Einfluss in Bendix‘ Werken, insbesondere in seinem virtuosen Klavierkonzert, deutlich zu spüren ist. Bendix war nicht nur ein produktiver Komponist, sondern auch ein hochgeschätzter Pianist und Dirigent. Dennoch blieb ihm die breite Anerkennung, die er sich erhoffte, oft verwehrt. Bendix war tief in der dänischen romantischen Tradition verwurzelt, zeigte aber auch Interesse an der spätromantischen Bewegung im Ausland. Seine Werke, darunter vier Sinfonien, spiegeln diese duale musikalische Ausrichtung wider. Sie zählen zu den bedeutendsten Beiträgen zur dänischen Musik zwischen Gade und Carl Nielsen, der Bendix sehr respektierte und ihm seine große symphonische Suite für Klavier widmete. Neben seinen Sinfonien schuf Bendix auch viele Lieder, darunter das beliebte „Hvor tindrer nu min Stjerne“ (Oh, wie mein Stern funkelt).
Die erste Sinfonie, entstanden 1882, trägt den Titel „Aufstieg“ und ist ein typisches Produkt ihrer Zeit. Dieses Werk ist berauschend romantisch und illustrativ, was nicht zuletzt auf den Einfluss seines Lehrers Liszt zurückzuführen ist. Bendix‘ Stil mag nicht so markant persönlich wie der von Saint-Saëns oder Richard Strauss sein, dennoch besitzt er ein bemerkenswertes Gespür für Melodien und Struktur. Der Titel „Aufstieg“ lässt sofort Parallelen zu anderen musikalischen Werken aufkommen, darunter Liszts Tondichtung „Ce qu’on entend sur la montagne“ und Vincent d’Indys „Pilgerfahrt in die Höhe“. Auch wenn Bendix‘ erste Sinfonie weniger klassisch strukturiert ist als Richard Strauss‘ später entstandene „Alpensinfonie“, teilt sie doch eine thematische Verwandtschaft. Das Werk basiert auf einem Gedicht von Holger Drachman mit dem Titel „Bergsteigen“, was den programmatischen Charakter der Sinfonie unterstreicht.
Die dritte Sinfonie, vollendet 1895, gilt als die beste und unkonventionellste der vier Sinfonien Bendix‘. Sie ist in drei Sätzen angelegt und zeigt eine ausgewogene Balance, die ungewöhnlich für sinfonische Werke dieser Zeit ist. Der erste Satz ist zurückhaltend und meditativ, der zweite ein „fantastisches“ Scherzo mit dem Untertitel „Mehrfarbige Bilder“, und das Finale, eine Elegie, bildet den langsamen Schlusssatz. Besonders beeindruckend ist das zentrale Scherzo, das trotz stilistischer Anleihen in der russischen Musik Bendix‘ eigene ausdrucksstarke Ideen zum Vorschein bringt. Die dritte Sinfonie ist ein Zeugnis für Bendix‘ Fähigkeit, tief bewegende Musik zu schaffen, die sowohl technisch versiert als auch emotional ansprechend ist und einen ganz eigenen Charakter hat.
Das Malmö Symphony Orchestra (MSO) wurde 1925 gegründet und hat sich zu einem der führenden Großorchester Schwedens entwickelt. Das MSO führt das gesamte sinfonische Repertoire auf und arbeitet regelmäßig mit namhaften internationalen Dirigenten und Solisten zusammen. Seit 2015 ist das Orchester in der hochmodernen Malmö Live Concert Hall beheimatet, die für ihre exzellente Akustik bekannt ist. Das MSO hat zahlreiche Aufnahmen bei führenden Plattenlabels veröffentlicht und dafür vielfach lobende Kritiken erhalten. Zu den jüngsten Projekten gehören die vollständige Aufnahme der Orchesterwerke von Camille Saint-Saëns unter der Leitung von Marc Soustrot.
Joachim Gustafsson, der Dirigent dieser Aufnahme, zählt zu den bedeutendsten skandinavischen Dirigenten seiner Generation. Er tritt regelmäßig mit nahezu allen bedeutenden schwedischen und dänischen Orchestern auf und ist seit 2011 regelmäßiger Gastdirigent des Orquesta Filarmonica de Bogota. Gustafsson hat sich als vielseitiger Musiker einen Namen gemacht, der sowohl im sinfonischen als auch im opernhaften Bereich brilliert. Seine Aufführungen zeichnen sich durch Präzision, Leidenschaft und ein tiefes Verständnis für die jeweilige Musiktradition aus.
Die Interpretation der Sinfonien von Victor Bendix durch das Malmö Symphony Orchestra unter der Leitung von Joachim Gustafsson ist eine wahre Freude. Gustafsson gelingt es, die komplexen emotionalen Schichten und die strukturelle Raffinesse der Werke Bendix‘ eindrucksvoll herauszuarbeiten. Besonders in der ersten Sinfonie zeigt sich Gustafssons feines Gespür für die lyrischen und dramatischen Elemente, die dieses Werk so einzigartig machen. Das Orchester spielt mit bemerkenswerter Präzision und Ausdruckskraft, was die Gefühlsstärke und die musikalische Schönheit der Sinfonie eindrucksvoll zur Geltung bringt. Beispielhaft ist die zu erlebende Durchhörbarkeit des Orchesterklanges, was gerade das Finale zum besonderen Erlebnis macht.
In der dritten Sinfonie brilliert das Malmö Symphony Orchestra ebenfalls durch seine technische Kompetenz und seine Fähigkeit, die vielschichtigen musikalischen Ideen Bendix‘ lebendig werden zu lassen. Gustafsson dirigiert mit einer Klarheit und einem Enthusiasmus, die sich leicht überträgt. Mit Ruhe und Gelassenheit entwickelt er große Spannungsbögen, die sehr atmosphärisch wirken. Besonders das „fantastische“ Scherzo und die bewegende Elegie im Finale werden mit großer Aufmerksamkeit und Ausdrucksstärke interpretiert. Die Musik pulsiert und leuchtet in deutlicher Aussage. Die beschließende Elegie ist von geradezu hypnotischer Wirkung. Unbedingt hörenswert!
Die neue CD von Dacapo Records mit den Sinfonien Nr. 1 und Nr. 3 von Victor Bendix, gespielt vom Malmö Symphony Orchestra unter der Leitung von Joachim Gustafsson, ist eine beeindruckende Wiederentdeckung eines zu Unrecht vernachlässigten Komponisten. Bendix‘ Werke, die sowohl tief in der dänischen romantischen Tradition verwurzelt als auch von internationalen spätromantischen Strömungen beeinflusst sind, bieten ein reiches musikalisches Erlebnis. Gustafsson und das MSO überzeugen durch ihre präzise und leidenschaftliche Darbietung, die die emotionale und technische Komplexität der Sinfonien gelungen zur Geltung bringt.
Die weiträumige Aufnahmetechnik lässt die spätromantische Musik gut atmen und offenbart einen detaillierten Höreindruck.
Diese Aufnahme bietet nicht nur einen Einblick in das Schaffen eines faszinierenden Komponisten, sondern auch ein Hörvergnügen von höchster Qualität. Bendix mag nie die Anerkennung erhalten haben, die er sich erhoffte, doch diese CD zeigt eindrucksvoll, warum er zu den bedeutendsten dänischen Komponisten seiner Zeit zählt.
Dirk Schauß, im August 2024
Victor Bendix
Sinfonien Nr 1. und Nr. 3
Malmö Symphony Orchestra
Joachim Gustafsson, musikalische Leitung
Dacapo Records, 8224742