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CD SAVERIO MERCADANTE „IL PROSCRITTO“ – Weltersteinspielung, Live-Mitschnitt vom 22.6.2022, Henry Wood Hall, Barbican London; Opera Rara

01.05.2023 | Allgemein, cd

CD SAVERIO MERCADANTE „IL PROSCRITTO“ – Weltersteinspielung, Live-Mitschnitt vom 22.6.2022, Henry Wood Hall, Barbican London; Opera Rara

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Meine erste imponierende Begegnung mit dem Opernschaffen Mercadantes fand am 9.9.1979 in Wien mit dem Staatsoperndebüt von Mara Zampieri und dem in letzter Minute für Peter Dvorsky eingesprungenen Placido Domingo in Top-Form statt. Der Abend galt „Il Giuramento“, einer „La Gioconda“ inhaltlich ähnlichen Story, dem Meisterwerk Mercadantes. Der Rundfunk-Mitschnitt ist bei Orfeo d’Or erschienen.

Seither verdanke ich es vor allem dem archäologischen Spürsinn des Verlags „Opera Rara“, dass ich die – im Vergleich zu manch frühen Verdi Opern gleichermaßen effektvollen – melodienseligen, mit fetzigen Strettas und Ensembles gespickten Canto-dramatico-Stücke „Orazi e Curiazi“ und „Emma d’Antiochia“ kenne.

Mercadante verstand sich zurecht als Neuerer und Reformer, dessen Einfallsreichtum selbst Verdi einiges zu verdanken hatte.  Die Opern Mercadantes reizen wie die der anderen berühmteren vier Opernstars der Belcanto-Ära – Rossini, Donizetti, Bellini und Verdi – unsere melomanisch gespannten Nerven mit virtuosen Koloraturen und Gurgelakrobatik. Aber es fehlen halt die in deren besten Opern auf den ersten Anhieb so eingängigen Arienschlager, die erst diese scheint’s unstillbare Sucht des Wiederhören-Wollens und Alte-Hits-Erkennens-Erregung ausmachen.

Die Weltersteinspielung von Mercadantes „Il Proscritto“, einer Schauer- und Liebesgeschichte im politisch unsteten Schottland des 17. Jahrhunderts während der Herrschaft Oliver Cromwells nach einem Libretto von Salvadore Cammarano, ist hoch willkommen. An die 60 Opern hat Mercadante hinterlassen. Wir sehen eins aufs andere Mal, auf welch hohem Niveau das novitätengierige Opernpublikum mit immer neuem Stoff versorgt wurde. Beispiele dafür hält die neue Aufnahme genügend bereit.

Carlo Rizzi, der die Britten Sinfonia mit Gespür für die „faszinierenden orchestralen Texturen“ leitet, hat die Partitur 2019 im Archiv des neapolitanischen Konservatoriums entdeckt und war sofort von der Originalität und Qualität der Musik angetan. Wir sind das auch und freuen uns über eine den dramatischen wie verzierungsmodischen Anforderungen der Musik überwiegend sehr erfreuliche Besetzung. Die Spinto-Tenöre, der trotz einer gewissen Reife unverwüstliche Altstar Ramón Vargas (Giorgio Argyll) und der eminent höhensichere wie interessant timbrierte junge Peruaner, Gewinner des Operalia-Wettbewerbs 2021 Iván Ayón-Rivas (Arturo Murray), die Sopran-Primadonnen Sally Matthews als Opera Rara Debütantin (Anna Ruthven) und die Portugiesin Susana Gaspar (Clara), die üppig orgelnden und dazu klangschönen Mezzos der erfreulich oft an der Deutschen Oper Berlin zu hörenden Irene Roberts (Malvina Douglas) und der stilistisch in verschiedenen Fächern gleichermaßen heimischen Elizabeth DeShong (Odoardo Douglas) sowie der georgische Bass Goderdzi Janelidze (Guglielmo Ruthven) sind Garanten für ein stets spannendes, kontrast- wie akzentdurchwirktes, abwechslungsreiches Musikdrama.

Einzig beim Opera Rara Chorus sind infolge übermäßigen Vibrato der Soprane künstlerische Abstriche zu machen.

Jetzt können Sie an dieser Oper, die seit ihrer Uraufführung in Neapel 1842 nie wieder zu hören war, dank der vorliegenden Publikation wieder einmal persönlich Maß an temporeicher musikalischer Kurzweiligkeit nehmen und Ihre Einsichten in die so faszinierende italienische Opernkunst der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weiten. Die Aufmachung und das Booklet samt Textbuch sind wie stets bei „Opera Rara“ grafisch gediegen und inhaltlich informativ. Was will man mehr für ein erstes Date mit einer Oper, die etliche flott arrangierte Donizetti-Schöpfungen um Längen überragt?

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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