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CD: Reynaldo Hahn „Le Dieu Bleu“ Les Frivolités Parisiennes“ Dylan Corlay, musikalische Leitung b-records, LBM074

11.04.2025 | Allgemein, cd

Reynaldo Hahn: „Le Dieu Bleu“ – Eine opulente Wiederentdeckung

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Es gibt Musik, die in der Versenkung verschwindet, und es gibt Musik, die dort zu Unrecht bleibt. Reynaldo Hahns Ballett „Le Dieu Bleu“ gehört zweifellos zur zweiten Kategorie. 1912 in Paris uraufgeführt, war es ein Werk von hohem Anspruch: Die Ballets Russes um Sergei Djagilew hatten mit „Schéhérazade“, „Le Spectre de la Rose“ und „L’Après-midi d’un faune“ bereits Meilensteine der Tanzkunst geschaffen, und für „Le Dieu Bleu“ versammelte sich erneut eine Riege illustrer Künstler. Michel Fokine übernahm die Choreografie, Léon Bakst gestaltete die exotisch anmutenden Bühnenbilder, und der legendäre Vaslav Nijinsky tanzte die Hauptrolle. Doch trotz dieses hochkarätigen Ensembles geriet das Werk rasch in Vergessenheit. Die Musik von Reynaldo Hahn, bereits damals vor allem als Liedkomponist bekannt, konnte sich nicht gegen die innovativen Strömungen von Debussy und Strawinsky behaupten. Während „Pétrouchka“ und „Le Sacre du Printemps“ eine Revolution in der Musik- und Tanzgeschichte auslösten, wirkte Hahns Partitur mit ihrer spätromantischen Eleganz bereits anachronistisch.

Und doch lohnt sich die Wiederentdeckung. Denn „Le Dieu Bleu“ ist eine Musik von schillerndem Farbenspiel, von orchestraler Finesse und melodischer Schönheit. Hahn, ein Komponist, der seine Wurzeln in der französischen Tradition von Gounod, Massenet und Fauré hatte, aber auch Einflüsse Wagners und der Impressionisten aufnahm, entwirft hier ein Klangbild, das zwischen exotischer Mystik und fein abgestufter Sinfonik changiert. Anders als Strawinsky oder Ravel, die den Rhythmus als treibende Kraft des Tanzes begriffen, setzt Hahn stärker auf melodischen Fluss und orchestrale Prachtentfaltung. Die Musik ist reich an irisierenden Farben, an raffinierten Holzbläsersoli und schwebenden Streichertexturen, die von fernöstlichen Klangbildern inspiriert scheinen, ohne sich in klischeehafter Exotik zu verlieren.

Dass diese Partitur nun mit „Les Frivolités Parisiennes“ unter Dylan Corlay eine Renaissance erfährt, ist ein Glücksfall. Das Orchester, das sich seit Jahren mit Hingabe der Wiederentdeckung französischer Bühnenwerke widmet, begegnet Hahns Partitur mit einem tiefen Verständnis für ihren spezifischen Charakter. Corlay lotet die kontrastreichen Klangwelten mit großer Sorgfalt aus: Die transparenten, kammermusikalischen Passagen erhalten eine schwebende Leichtigkeit, während die sinfonischen Höhepunkte mit opulentem Klangrausch ausgeleuchtet werden. Besonders beeindruckend gelingt der Spannungsaufbau in den orchestralen Zwischenspielen, wo die Streicher eine atmosphärische Dichte erzeugen, die an Debussys „Jeux“ erinnert. Die Bläser bringen mit ihren fein nuancierten Farben genau jene impressionistische Transparenz ein, die Hahns Musik so faszinierend macht.

Klangtechnisch ist die Einspielung exzellent. Die Live-Atmosphäre verleiht der Aufnahme eine spürbare Energie, ohne dass darunter die Detailgenauigkeit leidet. Das Orchester ist wunderbar plastisch eingefangen, mit einer hervorragenden Balance zwischen den einzelnen Instrumentengruppen. Besonders bemerkenswert ist, dass auch in den dichten Tuttistellen die Transparenz gewahrt bleibt, sodass sich die vielfältigen Farben dieser Musik voll entfalten können.

Diese Aufnahme ist mehr als eine historische Kuriosität. Sie zeigt, dass Reynaldo Hahn mehr war als nur ein eleganter Miniaturist der Belle Époque. In „Le Dieu Bleu“ offenbart sich ein Komponist, der meisterhaft mit Klangfarben umgeht, der eine poetische Musiksprache besitzt und dessen Werke es verdienen, aus dem Schatten der Musikgeschichte hervorzutreten. Les Frivolités Parisiennes und Dylan Corlay haben hier ein glanzvolles Plädoyer für diese vergessene Musik abgelegt – und es bleibt zu hoffen, dass diese Entdeckung nicht die letzte bleibt.

Dirk Schauß, im März 2025

Reynaldo Hahn
„Le Dieu Bleu“
Les Frivolités Parisiennes“
Dylan Corlay, musikalische Leitung
b-records, LBM074

 

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