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CD „REBELLE“ – EVA ZAICIK singt Arien von Bizet, Offenbach, Thomas, Massenet, Poise, Deffés, Massé, Guiraud, Paladilhe, Grisar und Cohen; Alpha

11.04.2025 | Allgemein, cd

CD „REBELLE“ – EVA ZAICIK singt Arien von Bizet, Offenbach, Thomas, Massenet, Poise, Deffés, Massé, Guiraud, Paladilhe, Grisar und Cohen; Alpha

Hommage á CÉLESTINE GALLI-MARIÉ aus Anlass des 150. Jahrestages der Uraufführung von Carmen am 3. März 2025

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Diese Célestine Galli-Marié muss schon eine ganz außergewöhnliche Stimme mit beachtlichem Stimmumfang gehabt haben und eine begnadete Gestalterin gewesen sein. Die erste Carmen der Operngeschichte war knapp 38 Jahre, als sie die Rolle der aufmüpfigen, nicht nur erotisch selbstbestimmten Tabakfabriksarbeiterin kreierte. Ein Alter, das zu jener Zeit normalerweise schon den Wechsel hin zum Stimmfach der duégne (=Mezzo-Charakterfach, würden wir heute sagen) bestimmte. Die ihre eigentliche Karriere in Rouen im Herbst 1861 startende Sängerin hatte schon über 14 erfolgreiche Schaffensjahre hinter sich und war nach dem Engagement an der Pariser Opéra-comique durch deren offenbar mit einem goldenen Besetzungshändchen gesegneten Direktor Émile Perrin eine unverzichtbare Größe im Pariser Opernbetrieb geworden.

Von ihrem Vater, dem Opernsänger Mécène Marié de l’Isle, technisch profund ausgebildet, reüssierte Célestine in Paris zuerst in Pergolesis Opernintermezzo „La serva padrona“ und avancierte bald zur Top-Star für neue Rollen par excellence. Fünfzehn Uraufführungen in 16 Jahren, darunter „Carmen“ (Bizet), „Mignon“ (Thomas), „Robinson Crusoe“ (Offenbach), „Fantasio“ (Offenbach), „Don César de Bazan“ (Massenet) oder „Les Noces de Fernande“ (Deffés), und einige bedeutende Wiederaufnahmen begründeten den musikhistorischen Ruhm der Künstlerin.

Der Musikwissenschaftler Patrick Taïeb weiß über die Stimme der Galli-Marié folgendes zu berichten: „Sie war wohl ein echter Koloratur-Mezzo, der sowohl über eine kräftige Tiefe als auch über eine heroische Höhe verfügte. Besonders war ihr an heiser-rauen oder auch sinnlichen Wirkungen gelegen, die sie ihrer Stimme entlocken konnte.“ Dazu konnte sie mühelos von gesprochenen Passagen zu Gesangsnummern wechseln, exzellent schauspielern, sich gut auf der Bühne bewegen, ja sich mit ihr verschmelzen. Galli-Marié wusste außer mit großem Opernton mit kess hingetupften Chansons oder unterhaltsamen Vaudevilles zu begeistern.

Die französische Mezzosopranistin Eva Zaïcik hat in Zusammenarbeit mit dem künstlerischen Direktor Alexandre Dratwicki der Stiftung Palazzetto Bru Zane ein Programm gewählt, das auf bekannte Titel aus dem Repertoire der Célestine Galli-Marié (Carmen: Habanera, Séguidille, Mignon: Introduction et Récit-cantabile, Romance), Fantasio: Ballade) und für heutige Verhältnisse absolute Raritäten zurückgreift.

Unter letzteren finden sich das Chanson de Colombine aus „La surprise de l’amour“ von Ferdinand Poise, die Sevillana de l’Infant aus „Les noces de Fernande“ von Louis Deffés, das Chanson bohémienne aus „Fior d’Aliza“ von Victor Massé, die Cavatine de Marthe aus „Piccolino“ von Ernest Guiraud oder die Arie der Mme de Briane aus „Les Porcherons“ von Albert Grisar.

Eva Zaïcik, französische Alte-Musik-Ikone der Sonderklasse, nimmt sich nun all dieser Galli-Marié-Rollen mit ihrem leichten, hellen, beweglichen, instrumental geführten, vibratoarmen Mezzo an. Besonders gut gelingen und überzeugen die wortgewandt-frechen Couplets und liebestrunkenen Chansons (etwa die wunderbar übermütige ‚Ma mère était bohémienne‘ der Piccinina aus Massés „Fior d’Aliza“ und ‚Mignonne bien-aimée‘ aus „Le Passant“ von Émile Paladilhe) bzw. die hochvirtuosen Nummern wie diejenige der Mignon ‚Elle est lá! Près de lui!‘ aus dem zweiten Akt der gleichnamigen Oper, die einen enormen Tonumfang und einen besonders flexiblen Stimmeinsatz verlangt.

Zaïcik kann auf eine sopranähnliche, mühelose Höhe zurückgreifen, eine pastose, kontraaltfarbene Tiefe steht ihr nicht zur Verfügung. Zu bewundern ist außerdem eine Charakterisierungskunst ohnegleichen und eine stets geschmeidige Stimmführung bei guter Projektion und festem Stimmsitz. Das mit einer gewissen Burschikosität imprägnierte, vorwiegend in kräftigen Pastelltönen schillernde, äußerst attraktive Timbre passt gut zu den „Rebellinnen“ und ganz besonders zu den von ihr verkörperten Helden (Fantasio, Zanetto in „Le Passant“ von Émile Paladilhe, Vendredi in „Robinson Crusoe“) der französischen großen romantischen Oper sowie der Opéra comique.

Eva Zaïcik: „Célestine Galli-Marié verkörperte eine bestimmte Vorstellung von künstlerischer und weiblicher Rebellion. Vermittels ihrer Stimme, ihrem Charisma und ihrem einzigartigen theatralischen Ansatz erweckte sie freie, vielschichtige und oft mit den Normen ihrer Zeit brechende Charaktere von Frauen (wie auch von Männern) zum Leben.“  

Verzierungsgewandt, stets elegant, mit hinreißender Spielfreude und schlankem Ton stürzt sich Eva Zaïcik in die augenzwinkernde Koketterie, die verführerische Lebenslust bzw. die kleinen und größeren Seelennöte der von ihr dargestellten Figuren. Und die Carmen? Die ist in ihrer Interpretation kein vordergründig männermordender Vamp, keine gurrende Femme fatale, sondern überzeugt als eine selbstbewusste, moderne Frau, die mit einer pikanten androgynen Note in jeder Situation glaubhaft „ihren Mann“ steht.

Als besonderer Glücksfall erweist sich das von Pierre Dumoussaud mit Esprit und Schwung geleitete Orchestre National de Lille, das nicht nur in den zwei rein instrumentalen Nummern (‚Entracte symphonique‘ de l’acte V von „Fior d’Aliza“, ‚Prélude‘ zu „Le Passant“) für orchestrale Brillanz und Stimmung sorgt.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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