CD „OMBRA COMPAGNA“ – LISETTE OROPESA mit Mozart-Konzertarien; Pentaton
Sinnlich lockender Mozartgesang vom Feinsten
Die in Barockopern erfahrene, aber auch in Rollen wie Violetta, Elvira, Ophélie, Lucia oder Maria Stuarda (Dezember Madrid 2024) Belkanto-geeichte amerikanische Sopranistin Lisette Oropesa legt nun ein mit 81 Minuten übervolles Album mit Konzertarien des Wolfgang Amadeus Mozart vor. Das ist schon an sich bemerkenswert, kommen doch nur alle heiligen drei Zeiten einmal neue Mozart Sopran-Konzertarien auf den Tontträgertisch.
Die Aufnahmen mit Edda Moser, Gundula Janowitz, Natalie Dessay oder Edita Gruberova sind zurecht legendär, jetzt stößt Oropesa mit dem Album „Ombra Compagna“ in diese vokale Spitzenliga vor.
Lisette Oropesa fand früh ihren persönlichen Zugang zur Musik Mozarts, nämlich als junge Flötistin, die die einschlägigen Konzerte für das Instrument einstudierte. Nicht nur in der Virtuosität und der in spezifische Phrasengestaltung gehüllten Farbigkeit dieser Instrumentalmusik sieht die Sängerin Parallelen zu Konzertarien, die ebenso einen ungemein weit gespannten Tonumfang, eine exzellente Atemkontrolle, ein Gefühl für Dynamik und Stamina verlangen. Zu diesem von der Flöte her kommenden Ansatz bedarf es noch einer Vertiefung in die Texte und die darin gespiegelten, teils in herzzerreißenden Situationen gespiegelten extremen Gefühle.
Der begnadete Opernkomponist Mozart fand immer wieder Zeit, in enger Zusammenarbeit mit Opernsängerinnen Werke für Stimme solo mit Orchesterbegleitung zu schreiben. Obwohl pauschal als „Konzertarien“ bezeichnet, waren einige von ihnen dafür vorgesehen, in Opern als alternative Arien zu dienen bzw. ursprüngliche Arien zu ersetzen. Die „echten“ Konzertarien oder „scenas“ waren in der Regel länger und Accompagnato Rezitativ-lastiger.
Außer für die in Prag lebende Josepha Duschek, der Mozart u.a. „Bella mia fiamma – Resta; o cara“, KV 528 in die Gurgel komponierte, schrieb Mozart einige solcher Soloszenen für Aloysia Weber. Auf dem Album hören wir etwa „Alcandro, lo confesso – Non so d’onde viene“, KV 294 sowie „Vorrei spiegarvi, oh Dio!“, KV 418, eine Ersatzarie für die Oper „Il curioso indiscreto“ von Pasquale Anfossi.
Das Zentrum des Albums stellt die von Mozart 1777 geschriebene Arie „Ah, lo prevedi“, KV 272, dar, die ähnlich wie viel später in Schönbergs Monodram „Erwartung“ die zerrissenen Gefühle einer Frau, diesfalls der Andromeda, in über 13 Minuten rezitativischer und arioser Verzweiflung über den Tod des von ihr geliebten Perseus auf den Punkt bringt. Dem in Zwang angetrauten Euristeus macht sie dafür verantwortlich, den Selbstmord nicht verhindert zu haben. Zwischen rasenden Vorwürfen und namenloser Trauer fleht sie, dass Perseus nicht ohne sie den Lethe überschreiten möge.
Oropesa besitzt die Gabe, dies aufwühlenden Gesänge, diese bewegenden Zeugnisse unendlicher weiblicher Liebe mit ihrem aprikosenfruchtig timbrierten lyrischen Koloratursopran in natürlichster Verinnerlichung dermaßen darzustellen, dass jede noch so disparate Seelenregung bis in den äußersten Winkel hinein ausgeleuchtet wird. Das Profil dieser ins 18. Jahrhundert verfrachteten antiken Andromeda erhält so Plastizität und eine greifbare Lebensnähe.
Mich erinnert Oropesas Stimme von weither an Angela Gheorghiu bzw. stellenweise an die junge Cheryl Studer. Was aber wirklich zählt, ist die ungeheure Musikalität und Einfühlungsgabe der Künstlerin, die – wie das dramatischere Passagen zeigen – im Begriffe ist, das rein lyrische Fach hinter sich zu lassen, aber noch genügend Höhe und Beweglichkeit besitzt, um von der Tessitura her anspruchsvollste bzw. koloraturgespickte Nummern wie „Voi avete un cor fedele“, KV 217 einwandfrei bewältigen zu können. Jede Verzierung stellt Oropesa vollkommen in den Dienst von Ausdruck, emotionaler Dringlichkeit und inhaltlicher Erhellung. Es tut der Sache keinen Abbruch, wenn nicht jede Höhe völlig frei vom Stapel geht. Die durch rein stimmliche Mittel auch im psychologischen Subkontext konkretisierten Emotionen habe ich jedenfalls kaum je differenzierter und überzeugender erlebt als hier.
Antonello Manacorda und das historisch informiert aufspielende Ensemble Pomo d’Oro sind Oropesa einfühlsame und musikalisch kongeniale Partner.
Die „Begleitenden Schatten“ sind ein großartiges, aufrüttelndes, nichtsdestotrotz in der zirkusnummerngleichen Virtuosität unterhaltsames Album geworden, das, um es intensiver genießen zu können, lieber auf ein-, zwei- oder dreimal aufgeteilt gehört werden sollte. Oropesas Stimme befindet sich aktuell auf dem Höhepunkt ihrer Möglichkeiten. Lassen Sie sich diese aufregende spätbarocke Stimmentfaltung, das schon vom Katalogwert her so bedeutende Album in seiner glühenden kunstreichen Qualität nicht entgehen!
Inhalt des Albums:
Track 1: A Berenice… Sol nascento KV 70 (61c)
Track 2: Alcandro, lo confesso… Non so donde viene KV 294, Zusatzarie für Metastasios „Olimpiade“
Track 3: Bella mia fiamma, addio… Resta, o cara KV 528
Track 4: Vorrei spiegarvi, oh Dio! KV 418
Track 5: Chi sà, chi sà, qual sia , Arie zu da Pontes „Il burbero di buon cuore“, KV 582
Track 6: Misera, dove son?… Ah! non son’io che parlo KV 369
Track 7: Voi avete un cor fedele KV 217
Track 8: Ah, lo previdi…Ah, t’invola agl’occhi miei KV 272, Rezitativ und Arie für Paisiellos „Andromeda“
Track 9: Vado, ma dove? O Dei!, Arie zu Martin y Solers „Il burbero di buon cuore“, KV 583
Track 10: Ah, se in ciel, benigne stelle KV 538 (Metastasios „L’eroe cinese“)
Hinweis: Das Booklet enthält Angaben zu den zehn Arien in englischer Sprache, die Gesangstexte gibt es auf Italienisch, ins Englische übertragen.
Dr. Ingobert Waltenberger