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CD „MISIÓN TANGO“ – CUARTETO SOLTANGO spielt Tangos der 40er, 50er und 60er Jahre; CAvi

28.05.2021 | Allgemein, cd

CD „MISIÓN TANGO“ – CUARTETO SOLTANGO spielt Tangos der 40er, 50er und 60er Jahre; CAvi

 

“Ich sang ohne zu wissen wie, ich betete ohne zu wissen wie, ich weinte ohne zu wissen wie.” Milonga Triste

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Das, was der Walzer bereits im 19. Jahrhundert geschafft hat, sollte dem Tango im 20. Jahrhundert eindrucksvoll gelingen: Nämlich die Entwicklung von einer reinen Tanzbodenmusik (bei Tango durfte und darf das auch der Asphalt sein) heraus zu einer eigenständigen konzertanten Musikform in unterschiedlichen Besetzungen. Lief der Walzer dank der Wiener Strauss Dynastie zur großen orchestralen Form auf, so bleibt der Tango in der Regel intimer auf kammermusikalische Formate beschränkt. 

 

Damit die Faszination über die Vielfalt des Kunsttangos hautnah erlebbar wird, haben herausragende Musiker, unter ihnen das deutsch-niederländisch-norwegische Cuarteto Soltango, viele der historischen Vorlagen neu arrangiert und in einen besonderen, unvergleichlichen Klangraum geführt. In der reizvollen Besetzung Violine, Cello, Bandoneon und Klavier hat das Quartett für ihre Tango-Misión im Gegensatz zur Vorläufer-CD „Sin Palabras“ (vgl. meine  Besprechung für den Online Merker vom 23.2.2019), die den Hörern die Stimmung einer traditionellen Milonga vermitteltn wollte, die argentinische Musik der 40er, 50er und 60er Jahre erkundet.  

 

Pianist und Bearbeiter Martin Klett hat Stücke im Stil von Aníbal Troilo, Julio de Caro, Alfredo Gobbi, Enrique Francini, Juan D’Arienzo, Lucio Demare bis hin zu den Wegbereitern des Tango Nuevo, Horacio Salgán und Osvaldo Pugliese raffiniert instrumentiert. Besonders das Bandoneon, vom Krefelder Musiklehrer und Musikalienhändler Heinrich Band 1846 entwickelt, ist gemeinsam mit den melancholischeren Cellotönen (mit feiner Klinge Karel Bredenhorst) für den typisch argentinischen Sound verantwortlich, der Herzen schmelzen lässt und direkt in die Beine fährt. 

 

Der Norweger Andreas Rokseth garniert sein Harmonikaspiel mit so viel südländischem Feuer, dass er vielleicht die klangliche Schlüsselrolle in dem Quartett einnimmt. Aber auch Thomas Reif, schon mit 26 Jahren Konzertmeister des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, führt vor, welche Klänge einer Geige zu entlocken sind, wenn es einer kann. Da reicht die Farbenpalette von strahlender Sanglicheit bis hin zu zart gezupften Tönen und fahleren, geheimnisvollen Tönen. Martin Klett am Klavier ist schlechtweg ein Magier und ein ebenso musikalisches “Urtier”. Bei diesem gleichermaßen eleganten und pfiffigen Pianisten perlen die Töne wie Blitze in den Nächten von Buenos Aires, erheben sich in die Lüfte und entschweben unversehens himmelwärts. 

 

Bei ihrer Programmauswahl hat das Cuarteto Soltango bewusst auf Kompositionen des Großmeister Astor Piazzolla verzichtet. Damit zeigen sie, wie reich und abwechslungsreich das Tangoschaffen Mitte des 20. Jahrhunderts war, ohne auf das sicherste Zugpferd der Tangomusik setzen zu müssen. Insgesamt sind 21 Stücke auf dem neuen Album zu hören. Im Booklet wird jedes einzelne launig kommentiert. Zu “Tigre Viejo” heißt es da: “Vorsicht – dieser alte Tiger hat noch scharfe Zähne.” Thomas Reif sagt zu “Si Sos Brujo“: “Ich finde es interessant, dass Francini ein klassischer Geiger in einem Symphonieorchester war, womit ich mich sehr gut identifizieren kann. Bemerkenswerterweise starb er auf der Bühne während eines Tangokonzerts. Bisher habe ich alle Konzerte überlebt.” Mancher Hinweis ist durchaus zudem faktisch aufschlussreich: Zu “Zamba para Olvidatre” erfahren wir: “In der Zamba – einem argentinischen Folkloretanz, der nur wenig mit dem Tango gemein hat – kreisen zwei Tänzer umeinander und improvisieren mit einem pañuelo (Tuch) in ihrer rechten Hand. Dieses symbolisiert die Verlängerung der Seele.”

 

Als Bonus ist Leonel Capitano zu hören, der “Una Vez” nach Osvaldo Bugliese seine einschmeichelnd granulierte Stimme leiht. Eine besondere Sache, es sollen noch einmal die Künstler zu Wort kommen: “2020 hat die Pandemie unsere Zusammenarbeit mit unserem lieben argentinischen Freund Leonel Capitano unmöglich gemacht. Dank moderner Technologie konnten wir diesen Bonustrack auf zwei Kontinenten aufnehmen und in euer Wohnzimmer bringen.”

 

Auch unsere Seele wird mit dem Album schöner und energetisch frischer. Das Cuarteto Soltango hat sich so endgültig – und das mit goldenen Lettern – in das große Tango-Geschichtsbuch eingeschrieben.  

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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