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CD: MICHAEL HELTAU – LYRICS

08.06.2023 | cd, CD/DVD/BUCH/Apps

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CD: MICHAEL HELTAU – LYRICS
Doppelalbum, 2 Discs
Preiser 2023

Als Michael Heltau jung und schon erklärter Publikumsliebling in Wien war, gab er bereits wunderbare, geradezu gestürmte Soloabende nach dem Motto „Statt zu singen“. Gesungen hat er mittlerweile seit Jahrzehnten, die  Alternativ-Karriere des Mannes, dem das Theater eines Tages (aus guten Gründen) nicht mehr „schmeckte“. Er hat den Entertainer bewundernswert lange ohne Niveauverlust durchgezogen – – und hat dann eines Tages, ohne große Ankündigung, ohne zahlreiche Abschiedskonzerte, ohne Medienwirbel, Schluß gemacht.

Nun, rund um Michael Heltaus neunzigsten Geburtstag am 5. Juli 2023, kehrt er nochmals zu „statt zu singen“ zurück. Ganz schlicht „Lyrics“ nennen sich die beiden CDs, die er – wie ein Geschenk an sein Publikum zu seinem Geburtstag – nun vorlegt. Lyrics im Sinn und „Texten“, und man kommt bald darauf, worum es geht: Das Befragen von Texten, die sonst gesungen werden, nach ihrem Inhalt, ihrer Aussagekraft – und danach, ob hinter der scheinbaren Banalität nicht so etwas wie Lebensweisheit steckt.

Nein, außer Brecht oder Heine, Brentano oder Tucholsky wird man keine „großen Namen der Literatur“ finden. In den allermeisten Fällen wird man nicht einmal wissen, wer die Texte geschrieben hat – nur dass die Dietrich („Ich hab noch einen Koffer in Berlin“), die Knet („Für mich soll`s rote Rosen regnen“), die Lale Andersen („Lili Marleen“) oder Judy Garland („Somewhere Over the Rainbow“) und Doris Day („Que sera, sera“)  sie gesungen haben. Oder die Leander, die Mercouri und auch Willi Forst…

Es wird ein Riesenmarathon durch – ja was? Man kann es am ehesten als die Welt der Gefühle bezeichnen. Liebe in allen ihren Spielarten. Anfangs, wenn „Amsterdam“ gesprochen wird, wartet man auf die Musik, aber die Wiener Theatermusiker sind diesmal nicht, wie so oft, als Begleiter des Sängers Heltau dabei, sie geben dem Sprecher Heltau „nur“ Musikzitate, meist kürzer, selten länger, immer mit der Aufgabe, eine kleine Pointe zu setzen oder eine kleine Stimmung zu evozieren.

Michael Heltau hat sich auch in seinen Jahrzehnten als Entertainer Texte immer genau angesehen. Er wollte nicht etwas singen, was er nicht auch sagen könnte, erklärte er einmal. Und Texte, für die er sich genieren müsste, kämen für ihn gar nicht in Frage. Also hört man zu – mit anderen Ohren, als wenn schwelgerische Melodien fast unwichtig machen, was gesagt wird. Hier geht es darum. Ums Wort. Und was es sagt.

Es ist ein kluger dramaturgischer Bogen, den das Programm der „Lyrics“ schlägt, anfangs tatsächlich fast topographisch – von Brechts Bilbao über Amsterdam, das Werner Schneyder einst für Heltau geschrieben hat, ins Flandernland und nach Scheveningen, dem der gebürtige Holländer Loek Huisman huldigte, der jahrzehntelang Heltaus künstlerischer Gefährte war. Er schrieb auch dessen Erfolgsstück „Madame“ und lieferte mit „Ich spiele“ eine ebenso humorvolle wie tiefschürfende Studie dessen, was es bedeutet, der Schauspieler Heltau zu sein… Es hat vieles Platz in diesem Programm.

Es gibt Schlager, in denen das Alter mitspielt („Solang wir jung sind, Madame“ von Friedrich Hollaender ) und andere, die vor Jugend übersprühen. Es gibt naiven Glauben an die ewige Liebe und freundlichen Zynismus, dass dem nicht so ist. Heltau entdeckt in den Wiener Liedern nicht den Kitsch zwischen Helenental und dem kleinen Café in Hernals, sondern die resignierte Erkenntnis kluger Leute, die sich nichts vormachen, er schlägt den Vorstadt-Slang an und den Wiener Nobelton.

Mühelos geht alles in einander über, plötzlich ist da bei  Tucholsky die Zwanziger Jahre-Frechheit mit „Tamerlan“, und schon ist man auch in der Bar zum Krokodil, und Heltau hat die Brillanz ebenso, wie er zuvor das Schwelgerische nicht verkauft und verraten, sondern geliebt hat. Kurz, er hat Vertrauen in die Texte, in alle, die er gewählt hat.

Und Platz ist, wie schon bemerkt, für vieles, auch für die „Nowaks aus Prag“ (von : Kurt Robitschek), wo, sanft gejüdelt und unsentimental, aber schmerzlich zugleich erzählt wird, wie sich die Sehnsucht nach Havanna oder  Bali ganz anders erfüllt hat, als die Nowaks es sich seinerzeit vorgestellt haben, wo sie daheim in Prag noch von der großen, weiten Welt träumten… Da dürften die Theatermusiker dann Klezmer-Töne anschlagen.

Die Thematik schwenkt zur Vergänglichkeit, und den Gedanken daran, dass es „aus wird sein“, weicht Heltau, nachdem er einen großen Bogen durch die menschliche Gefühlslandschaft geschlagen hat, nicht aus. „Es ist vorüber“ lautet ein Text von Peter Michael Braunwarth, der diese zwei CDs, die im Dezember 2022 aufgenommen wurden, vorbildlich betreut hat.

Noch ist es nicht vorüber. Auch wenn bereits wohl zwei Generationen von Theaterbesuchern Heltau nicht mehr als Theaterschauspieler auf der Bühne gesehen haben, auch wenn der Entertainer adieu (oder leise Servus) gesagt hat, als Künstler ist Michael Heltau wunderbar präsent. Natürlich braucht der Schauspieler den „ganzen Menschen“: Aber er lässt auch hören, was man mit der Stimme allein alles machen und erreichen kann.

Renate Wagner

 

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