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CD: MARTHA VON CASTELBERG – Lieder und Motetten

26.03.2020 | cd, CD/DVD/BUCH/Apps

MARTHA VON CASTELBERG –
Lieder und Motetten –
Solo Musica 1 CD 
  

„Es küsst der Himmel deine Stirn“

Wer solchen Text komponiert – er stammt vom dichtenden Pater Maurus Carnot aus dem Kloster Disentis im Schweizer Kanton Graubünden – muss wohl im viel bewegten 20. Jahrhundert ein sehr zurückgezogenes und von der Religion – dem Katholizismus – geprägtes Leben geführt haben. Es handelt sich um die kaum bekannte Schweizer Komponistin Martha von Castelberg (1892-1971). Sie entstammte einer der renommierten Schweizer Bankiers-Familien und ihr  Mädchenname von Orelli bezeugt eine mehr als gut bürgerliche Herkunft. Es war damals wohl unter dem Stand und zumal für eine junge Frau ungebührlich, sich dem Künstlerleben zu verschreiben, obwohl die Frühbegabung unverkennbar war. Es wurde ihr untersagt, ein Musikstudium in Angriff zu nehmen. Aber immerhin durfte sie Privatunterricht beim renommierten Geiger Joseph Ebner, der am Konservatorium Zürich unterrichtete, nehmen. 1917 bekam sie jedoch eine wertvolle Meistergeige des italienischen Geigenbauers Michele Deconet (ca. 1750). Alsbald stand ihre Berufung als Komponistin fest.

Das Klavierspiel brachte sie sich autodidaktisch bei und begann, ohne jegliche Anweisung, Musik aufzuschreiben. In der Satztechnik liess sie sich von bekannten Zürcher Musikerpersönlichkeiten beraten. Darunter war auch der Dirigent und Komponist Erich Schmid, der zudem einer der Zwölftonpioniere der Schweiz war.

Eine Auswahl aus ihren Liedern und Motetten wird hier zum ersten Mal auf einer CD publiziert. Bisher hatte es nur eine Liedplatte mit der Schweizer Altistin Elsa Cavelti – mit Hans Willi Haeusslein am Klavier – gegeben, die jedoch vergriffen ist und nicht als CD wieder aufgelegt wurde. Die Gesänge bewegen sich in „harmonischen Gewässern“, wobei jedoch die Komponistin, zumal in den vier- bis fünfstimmigen Motetten, oft Ausflüge in weit entfernte Tonarten und recht gewagte harmonische Modulationen unternimmt. Die Lieder unterscheiden sich in solche einerseits weltlichen Inhalts (neben vorwiegend deutschen Gedichten als auch solche im rätoromanischen Idiom des Surselvischen) und anderseits religiösen Gehalts.

Musikalisch zerreisst Martha von Castelberg keine „grossen Stricke“- wenn man das etwas salopp ausdrücken will -, aber kompositionstechnisch gesehen sind ihre Werke durchaus von hohem musikalischem Anspruch. Die Motette „Salve Regina“ überrascht durch ungewöhnliche harmonische Wendungen und mit einer Ausdeutung des Textes, die einmal mehr die religiöse Ernsthaftigkeit der Komponistin unverhohlen zum Ausdruck bringt. Die Lieder bewegen sich klanglich etwa im musikalischen Umfeld von Othmar Schoeck, sogar auch von Richard Strauss, wobei Martha von Castelberg sich keine solch üppigen Klänge gestattete. Alles ist – bei aller Farbigkeit der harmonischen Strukturen – immer am strengen katholischen Glauben orientiert, dem sie sich zugehörig fühlte. Ihre weltlichen Gesänge sind von einer tiefen Demut vor dem Wunder der Natur geprägt. Das drückt sich auch in einer Geradlinigkeit und Ehrlichkeit der Tonsprache aus, der man sich schwer entziehen kann. Bei aller Zurückhaltung in der Wahl der kompositorischen Mittel üben ihre Werke  – zumal die Motetten – eine starke suggestive Wirkung auf den Hörer aus.

Die fünf auf dieser CD eingespielten Motetten werden vom a-cappella singenden larynx Vokalensemble aus Basel (Dirigent: Jakob Pilgram) in den zwölf Stimmen wunderbar ausgewogen und klangschön, rein intonierend und in schwebenden Pianotönen, dargeboten. Vier Schweizer Sängerinnen und Sänger der jüngeren Generation interpretieren eine Auswahl von vierzehn Solo-Liedern sorgfältig und stimmlich höchst ansprechend. Estelle Poscio, Sopran, überzeugt durch feine Pianissimi in oberen Lagen, Susannah Haberfeld durch ihr flexibles Mezzotimbre – ihr scheint das Strauss verwandt anmutende Lied „Alpen-Enziane“ besonders zu liegen. Remy Burnens, Tenor, singt angenehm und in zurückhaltender Interpretation, und Äneas Humm, der junge Schweizer Bariton mit bereits internationalem Auftrittskalender, verfügt über ein erstaunlich viriles Timbre, aber leider auch über ein ausgeprägtes Vibrato. Kompetent, kollegial unterstützend und pianistisch perfekt begleitet Judit Polgár. Leider wurde beim Tenorlied „Salve Regina“ nicht das ursprünglich auch alternativ vorgeschlagene Harmonium verwendet, sondern das Klavier wie bei allen andern Liedern, was sicher durch seine besondere Klangnote vielleicht einer gewissen Eintönigkeit  hätte entgegen wirken können.

Die durchaus eigenständige Sprache der Komponistin Martha von Castelberg würde es durchaus rechtfertigen, mehr von ihren Kompositionen zu hören.

Ein Anfang mit dieser – auch mit einem informativen Booklet ausgestatteten – CD ist gemacht: Weiter so!

John H. Mueller

 

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