CD MARCO DA GAGLIANO „LA FLORA“ – Weltersteinspielung mit den Instrumentalisten von Allabastrina und dem Caterina Vokalensemble Padua unter der künstlerischen Leitung von Elena Sartori; Glossa
Von den faszinierenden Anfängen der Oper
Jacopo Peris „Euridice“ auf ein Libretto des Ottavio Rinuccini, uraufgeführt am 6.10.1600 in Florentiner Palazzo Pitti, gilt als die erste vollständig erhaltene Oper und läutete somit die Geburtsstunde unserer so lieb gewordenen Musikgattung ein. Freilich gab es schon vorher erste Schritte in die Richtung eines höfisch repräsentativen Musiktheaters, wie etwa die Kompositionen im „stile rappresentativo“ des Emilio Cavalieri, die auf das letzte Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts zurückgehen aber allesamt verloren sind.
War es in Mantua vor allem Claudio Monteverdi, der mit seinem 1607 komponierten „L’Orfeo“ Maßstäbe setzte, so entwickelte in Florenz Marco da Gagliano – der 1607 nach Mantua ging, um von Monteverdi zu lernen – das Genre parallel weiter. Dazu hatte der Musiker Gelegenheit, weil er nach seiner Rückkehr nach Florenz 1611 Kapellmeister am großherzoglichen Hof der Medici wurde und bis zu seinem Tod 1643 auch blieb. 14 Opern hat da Gagliano geschrieben, zwei davon sind erhalten: „La Dafne“ und die hier erst eingespielte „La Flora ovvero il natal de‘ fiori“ nach einem Textbuch des Hofdichters Andrea Salvadori.
Uraufgeführt wurde das Stück 1628 anlässlich der Hochzeit von Margherita de‘ Medici mit dem Herzog von Parma Odoardo Farnese. Ein wenig hat auch Jacopo Peri zu dieser Oper beigetragen, was die Ausgestaltung der Titelrolle Clori/Flora betrifft. Das Sujet – durch und durch mythologischen Ursprungs – dreht sich um die unschuldige Liebe des Windes Zeffiro zu der Nymphe Clori. Nach einigem Durcheinander können die beiden Turteltäubchen heiraten und bringen so alle möglichen Blumenarten hervor.
Aber noch ist es nicht so weit. Nachdem im Prolog Imeneo, der Gott der Hochzeit (Marco Saccadin), die Tapferkeit der beiden frischvermählten Fürstenkinder glorifiziert, steht der eigentlich einfach zu fixierenden Liebesgeschichte die Rivalität der Göttin Venus (Arianna Stornello) und ihres boshaften Sohns Amor (Maximiliano Danta Texeira) entgegen. Dabei hat Götterbote Mercurio (Marta Fumagalli) gemeinsam mit der Göttin der Liebe und der Schönheit Venus eine Idee entwickelt, die sicherlich nicht nur uns unverbrüchliche Melomanen, sondern auch die wildesten Ökos entzücken würde: Zeffiro und Clori sollen als Nachkommen sozusagen eine neue (von den Göttern vorherbestimmte) mythische Blütenpracht hervorbringen.
Um den intriganten Amor auszuschalten, wird Mercurio ihn mit Hilfe der Grazien in Schlaf versetzen und die Pfeile stehlen. Pan (Mauro Borgioni), die Satyrn und Dryaden wecken den arg Überlisteten auf und verhöhnen ihn. Amor will Rache und ruft den Gott der Unterwelt Pluto (Rocco Lia) an, um das fruchtbarste Ungeheuer, über das Lethe verfügt, auf die Erde zu schicken: La Gelosia, die alle Liebe zersetzende Eifersucht (Zoreslava Vynnyk). Begleitet von den cori infernali beginnt sie ihr zerstörerisches Werk.
Das aber ruft die Götter der Natur auf den Plan, die voller Zorn des verlassenen Zeffiro trauriges Los‘ beweinen und nach frischen Frühlingsblumen gieren. Da tritt Mercurio als deus ex machina auf und bringt Amore und Venus dazu, ihrem Streit ein Ende zu setzen und Clori und Zeffiro zusammenzubringen. Gesagt, getan: Zeffiro verwandelt Clori in Flora, Apoll besingt die Liebe und huldigt der Lilie von Europa, dem Arno und dem Taro als Symbole von Florenz und Parma (der Medici und der Farnese). Natürlich gibt es eine zweite Handlungsebene um die Nymphe Corilla (Margherita Rotondi), die Lirindo (Alessio Tosi) liebt….
„La Flora“ als entzückendes botanisches Fest eint alle Merkmale der florentinischen Oper: „Eine klare musikalische Struktur, die expressive Intensität der Rezitative, von Monteverdis Orfeo beeinflusst, längere strophische Arien, komische/groteske Elemente, bunte ‚balli‘ zwischen den Akten, den Einsatz des Chors als interagierender Figur.“ (Lorenzo Mattei)
Elena Sartori, Pianistin, Organistin und Professorin für Chorleitung in Bozen ist eine besonders eigenständige und wichtige Persönlichkeit der Alten Musik in Italien. Vor der Aufnahme hat sie die Uffizien besucht und sich das „Teatro degli Uffizi“ angesehen, das heutige „Gabinetto dei Disegni e delle Stampe“, den Uraufführungsort von „La Flora.“ Der schmale Saal hat sie in ihrer Idee bestärkt, bei der Auswahl der Instrumente, vor allem des Continuo, „nüchtern“ zu bleiben und die Instrumentalbegleitung dennoch detailreich zu gestalten. Also erleben wir kein „massives“ Nebeneinander von Theorben, Gitarren, Orgeln und Cembali, sondern die einzelnen Instrumente werden im Continuo solistisch eingesetzt.
Die Dirigentin folgt der musikalischen Auffassung des frühen 17. Jahrhunderts, dass die Begleitung den Text unterstützt, seine Bedeutung unterstreicht und dem Publikum die Handlung und die Psychologie der Figuren vermittelt. So können Cembalo, Orgel, Theorbe, Erzlaute und Gitarre in völliger klanglicher Intimität alle Schönheit der toskanischen Welt spiegeln. Sartori: „In Gaglianos Werk verschmelzen frühe Deklamation und virtuose Passagen mit späteren Elementen aus dem 17. Jahrhundert, die auf Tanz und Musik voll grotesker und extravaganter Elemente hindeuten.“
Sartori hat sich für die Studioaufnahme zudem dazu entschieden, alle dialogischen Wiederholungen und bestimmte Figuren zu streichen, die für die Haupthandlung nicht von Belang sind. Eine Sinfonia fehlt, mit freien Improvisationen von Zink, Flöte, Cembalo und Perkussion wurde den historischen Usancen entsprechend versucht, die Lücken in der Partitur (für Kostümwechsel etc.) zu schließen und der Aufnahme mehr Farbe und Vielfalt zu verleihen.
Wenn man sich an die karge Instrumentierung gewöhnt hat, kann diese auf drastische Effekthascherei völlig verzichtende Aufnahme, die der intimen Dimension der betörenden Schönheit der italienischen Sprache und frühbarocker Musik huldigt, mit großer Freude hören. Gerade weil es der Dirigentin wichtiger war, den Klang der Größe des Uraufführungsorts anzupassen als mögliche plakative Erwartungen eines modernen Publikums zu erfüllen, ist diese Aufnahme außergewöhnlich in ihrer sensiblen lyrischen Poesie und hebt sich so vom Mainstream barocken Pomps ab. Alle Gesangssolisten, Chor und Instrumentalisten beleben dieses puristische Konzept mit stilistischer Eleganz und hinreißender (vokaler) Delikatesse.
Für Entdeckungsfreudige und eingefleischte Liebhaber Alter Musik ist die Aufnahme ein Geschenk!
Dr. Ingobert Waltenberger