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CD JOSÉ DE NEBRA: RESPONSORIOS DE NAVIDAD – La Grande Chapelle; laudamusic

24.11.2025 | Allgemein, cd

CD JOSÉ DE NEBRA: RESPONSORIOS DE NAVIDAD – La Grande Chapelle; laudamusic

Mein persönlicher weihnachtlicher Musiktipp 2025

nebra

José Melchor Baltasar Gaspar de Nebra Blasco war eine schillernde Persönlichkeit des spanischen Musiklebens im 18. Jahrhundert. Wie sein Vater war er alsbald ein gefragter Organist und bekleidete einschlägige Funktionen am königlichen Kloster der Descalzas Reales in Madrid sowie an der Capilla Real, der er ab 1751 auch als Vizekapellmeister vorstand. Damit nicht genug, komponierte er Opern, Zarzuelas und geistliche Werke. Auf Wunsch von König Ferdinand VI. begann de Nebra, sein umfangreiches kirchenmusikalisches Schaffen ganz in den Dienst eines Archivs mit nagelneuen Partituren für alle Feste eines liturgischen Jahres zu stellen.

Für die Weihnachtsmatutin der Capilla Real (religiöse Zeremonie vom Abend des 24. Bis zum Morgen des 25. Dezember), gegliedert in drei Nokturnen, von denen jede drei Responsorien umfasste (das neunte Responsorium wurde alsbald durch ein Te deum ersetzt), schrieb de Nebra ab 1750 insgesamt 22 Responsorien für Chor und Orchester. Zuerst für das Kloster Encarnacíon, sodann adaptierte er seine acht Responsorien 1752 für die Capilla Real, weitere Modifikationen erfolgten 1756 und 1760 eine stark gekürzte Version für den offenbar wenig musikalischen Karl III..

Die vorliegende Aufnahme greift daher verständlicherweise auf die Responsorien zurück, die de Nebra 1752 schuf. Die Weltersteinspielung stützt sich auf ein Manuskript im Generalarchiv des Königspalastes in Madrid. Die Noten sehen Doppelchöre und ein großes Orchester (Streicher, Oboen, Trompeten, Hörner und Orgel) vor. Die Stimmgruppen werfen sich konzertierend die thematischen Bälle zu. Die Responsorien waren zwischen den einstimmigen Psalmen und Antiphonen angesetzt.

Wie die spanische Musikwissenschaftlerin Eva Sandoval festhält, bestimmte sich der Ablauf „nach den Prinzipien des Kontrasts zwischen den verschiedenen Abschnitten und den zahlreichen Madrigalismen, den musikalischen Ausdeutungen des Textinhalts….Nebra verwendet homophone und kontrapunktische Texturen, pendelt zwischen Dur und Moll und nutzt dialogische Wechsel zwischen den beiden Chören sowie harmonische Fortschreitungen, die für Abwechslung und Dramatik sorgen.“

Und tatsächlich klingen, bei allen italienischen Einflüssen, die sich in Form von vokalen Ornamenten, tänzerischer Bewegtheit, Rezitativen und ariosen Abschnitten manifestieren, diese spanischen Responsorien völlig anders als alle geistlich-barocken Weihnachtsmusiken, die wir aus Deutschland, Frankreich oder Italien kennen. Vielleicht ähnelt der Charakter dieser mit über 90 Minuten Spielzeit auch vom Volumen her prächtig dimensionierten Musik in ihrer archaischen Dringlichkeit und schnörkeligen Virtuosität ein wenig den schmuckreich überladenen, theatralisch inszenierten spanischen Kathedralen. Ich würde auch allen zustimmen, die einen starken Aspekt der Demonstration höfischer Repräsentation heraushören wollen.  

Natürlich unterscheiden sich die Responsorien inhaltsbezogen (Hodie nobis caelorum Rex, Hodie nobis de coelo, Quem vidistis pastores?, O magnum mysterium, Beata Dei Genitrix, Sancta et immaculata, Beata Viscera, Verbum caro factum est) sowohl in ihrem musikalischen Charakter, den lautmalend gewählten Instrumenten als auch dem kunstvollen Einsatz von Chromatik, Dynamik, harmonischen Wendungen, kontrapunktischen und imitatorischen Geflechten, Staccato-Legato und rhythmischen Mustern.

Und doch handelt es sich nach unserem landläufigen Verständnis um untypische Weihnachtsmusik. Da wird mit gar kräftigen Farben gespachtelt, der Hörer fühlt förmlich dichte Weihrauchwolken aufsteigen.  

La Grande Chapelle, ein 2005 gegründetes spanisches Vokal- und Instrumentalensemble für alte Kirchenmusik, unter der musikalischen Leitung von Albert Recasens setzt die Partituren in aller gebührenden Glorie und anlassbezogen spiritueller Beherztheit um. Das vokale Niveau der achtköpfigen Sängerriege ist stupend, wobei die Zusammensetzung mit drei Sopranstimmen (Irene Mas Salom, Raquel Mendes, Victoria Cassano), zwei Countertenören (Julien Freymuth, David Feldman), zwei Tenören (Jonathan Hanley, Fernando Guimares) und nur einem Bassbariton (Hugo Oliveira) einem eher helleren Klangbild förderlich ist. Da die Klanglandschaften zudem mir neue, instrumental exotische Räume durchmessen, die ungewohnte Dimensionen klanglicher Reize offenbaren, ist dieses hervorragende Album meine diesjährige Geheimempfehlung für die gesamte Barockmusikgemeinde, die Neugierigen als auch sogenannte Allesbesitzer gleichermaßen!  

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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