CD JONATHAN TETELMAN singt Arien von Ponchielli, Giordano, Verdi, Flotow, Bizet, Cilea, Zandonai, Massenet, Mascagni und Puccini; Deutsche Grammophon
Stimmgewaltiges Debüt-Album: Eiserner Ritter des hohen C
Wenn Tetelman am Ende des Albums bei der berühmt-berüchtigten Stretta des Manrico aus Verdis „Il Trovatore“ ‚Di quella pira l’orrendo foco‘ das hohe C so sicher anpeilt und lange (genau 15 Sekunden lang) hält wie dies einst auf Platte oder Bühne Bonisolli, Corelli oder Pavarotti strahlend bis machohaft plusternd vorführten, so ist dies schlichtweg eine Gänsehaut auslösende Sensation. Der nach Eigeneinschätzung lyrische Sänger mit viel Power schleudert hier so viel dunkelglühende Stimmlava in den Raum, wie dies einst sein berühmter Landsmann, der Heldentenor Ramón Vinay als Tristan oder Otello ohne Rücksicht auf Verluste tat.
Tetelman hat eine große, kernig-robuste Stimme mit viel Höhe und verführerischem Schmelz in den Piani. Melomanen werden ihn dafür lieben. Nicht selten setzt er aber sein Material stentorhaft ein, was in emotionalen Extremlagen zu Überdruck und Kraftmeierei führt. Ein Heißsporn ist der 35-jährige Sänger jedenfalls auch darstellerisch. Besucher von Christof Loys gelungener Produktion der selten gespielten Oper „Francesca da Rimini“ des Riccardo Zandonai 2021 an der Deutschen Oper Berlin werden sich sicher an Tetelmans passionierte Darstellung des Paolo erinnern. Lesen Sie dazu meine Besprechung vom 27.2.2022 des Berliner Filmmitschnitts: Link https://onlinemerker.com/blu-ray-riccardo-zandonai-francesca-da-rimini-live-mitschnitt-aus-der-deutsche-oper-berlin-vom-maerz-2021-naxos/
Generell sind vom Künstlertyp her gewisse Ähnlichkeiten Jonathan Tetelmans zum jungen José Cura nicht von der Hand zu weisen. Der Argentinier hatte mit Tetelman die Vorliebe für veristische Opernhelden, die Einheit von Gesang und Darstellung, Charisma, die Mordsstimme und eine gehörige Portion lateinamerikanisch männlicher Attraktivität gemeinsam. Dass Tetelman einer anderen Generation als Cura angehört, manifestiert sich wahrscheinlich in der Verwendung von Youtube-Clips mit Interpretationen berühmter Fachkollegen als „Lehrmittel“.
Tetelman startete sein Gesangsstudium in den USA an der Manhattan School of Music als Bariton. An der Mannes School of Music entdeckte er seine Begabung für die höheren Sphären des Gesangs und konnte sich unter der pädagogischen Anleitung von Mark Schnaible sukzessive ins lirico-spinto Fach hocharbeiten. Da ging nicht immer alles glatt und wie am Schnürl. Überall ist über ihn zu lesen, dass er in einer Art Selbstfindungsphase als DJ diverse Clubs abklapperte und zum Lebensunterhalt auch mal kellnerte, bevor der Drive hin zur Oper als großes künstlerisches Ziel Gestalt annahm.
Jonathan Tetelman hat im Oktober 2021 einen Exklusivvertrag mit der Deutschen Grammophon unterzeichnet. Gemeinsam mit dem Orquesta Filarmónica de Gran Canaria und dessen Chefdirigenten Karel Mark Chichon nahm er im Herbst 2021 in Las Palmas Arien von Giuseppe Verdi (I due Foscari, La forza del destino, Il Trovatore), des Verismo (La Gioconda, Fedora, Adriana Lecouvreur, Andrea Chenier, Cavalleria rusticana, Francesca da Rimini, Madama Butterfly), Französisches (Carmen, Werther) und das große Duett Paolo-Francesca aus der Oper „Francesca da Rimini“ mit der litauischen Sopranistin Vida Miknevičiûtė auf.
Neben der spektakulären Stretta aus „Il Trovatore“ und dem wunderbar schmachtenden ‚Cielo e mar‘ des Enzo aus „La Gioconda“ begeistert Tetelman als Loris in ‚Amor ti vieta‘ aus Giordanos „Fedora“ mit einem euphorischen ‚T’amo‘. Den Jacopo in „I Due Foscari“ singt Tetelman im überdrehten Dauerforte anstatt trotz der Dramatik der Arie zu versuchen, in den Vortrag differenziertere Farben zu mischen. Ähnliches gilt für den berühmten Lionello-Gassenhauer ‚Ach so fromm, ach so traut‘ aus Flotows „Martha“, hier in italienischer Sprache gesungen. Der letzte hohe Ton gleicht eher einem haltlosen Ausbruch Otellos als der Verzückung eines romantischen Liebhabers.
Dass er es auch weitaus differenzierter kann, beweist Tetelman mit einer stilistisch vorbildlich gestalteten Blumenarie und einem bemerkenswerten decrescendo auf ‚Et j’étais une chose á toi!‘. Ganz in seinem Element ist Tetelman mit der Arie des Maurizio aus dem ersten Akt von „Adriana Lecouvreur“ und dem ‚Come un bel dí di maggio‘ aus dem vierten Akt von „Andrea Chenier“. Hier stimmt alles an Ausdruck, Phrasierung und musikalischer Feinzeichnung, aber auch an dramatischem Aplomb, ohne dass mit Tetelman schnaubend galoppierend die Stimmrösser durchgehen.
Besonders gefällt die große Szene und Romanze des Alvaro aus Verdis „La forza del destino“. Die Rolle liegt ihm ungemein gut, in der Arie darf er mit seinem breit geführten und an das Tor zur Hochdramatik klopfenden Tenor viril glänzen, wie ihm das derzeit kaum ein anderer Kollege nachmachen können dürfte. Im Duett aus Zandonais „Francesca da Rimini“ trifft der hier wieder auf Überdruck setzende Tetelman auf den unruhig vibrierenden Sopran der Vida Miknevičiûtė. Kein Vergleich mit der luxuriös timbrierten Sara Jakubiak in der DVD aus Berlin. Mit der Arie ‚Toute mon âme est là!‘ des Werthers aus Massenets gleichnamiger Oper zeigt Tetelman eindrucksvoll, dass ihm das französische Repertoire extrem gut liegt und wir von ihm diesbezüglich noch viel erwarten können. Mit der fetzigen Verismo-Nummer aus dem Finale von „Cavalleria rusticana“ und der einzigen Puccini-Kostprobe („Madama Butterfly ‚Addio, fiorito asil‘) hat Tetelman zwei weitere Stücke aus seinem aktuellen Bühnen-Repertoire ins Programm genommen. Vielleicht wäre stattdessen die eine oder andere Rarität doch eine bessere Idee gewesen.
Insgesamt darf dieses in großen Teilen hervorragend gelungene Einstiegsalbum als großes Versprechen eines Tenors gelten, der sein enormes und klanglich einzigartiges Stimmmaterial künftig hoffentlich insgesamt differenzierter und etwas vorsichtiger einsetzt als er dies auf der CD tut. Aber erst einmal einfach das Vorhandene genießen und sich an den Höhenflügen und dem tenoralen Draufgängertum Tetelmans auch auf Tonträger erfreuen!
Dr. Ingobert Waltenberger