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Blu-ray RICCARDO ZANDONAI „FRANCESCA DA RIMINI“ – Live- Mitschnitt aus der Deutsche Oper Berlin vom  März 2021; NAXOS

27.02.2022 | dvd

Blu-ray RICCARDO ZANDONAI „FRANCESCA DA RIMINI“ – Live- Mitschnitt aus der Deutsche Oper Berlin vom  März 2021; NAXOS

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Sara Jakubiak und Jonathan Tetelman triumphieren in diesem blutrünstigen Renaissance-Liebesdrama um Bürgerkrieg, eine betrügerisch arrangierte Hochzeit, Bruderverrat und Doppelmord

 

“Um in das Tal der Liebe einzutreten, muss man ganz in Feuer tauchen, ja man muss selber Feuer sein, denn sonst könnte man da nicht leben. Der Liebende muss dem Feuer gleich sein, entflammten Angesichts, brennend und ungestüm wie das Feuer. Um zu lieben, darf man keinen Hintergedanken haben; man muss bereit sein, hundert Welten ins Feuer zu werfen; man muss weder Glauben noch Unglauben kennen, weder Zweifel noch Zuversicht hegen.”  Fariduddin Attar, Die Konferenz der Vögel

 

Christof Loy ist mit seiner Opern-Trias über das Frauenbild zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei Teil zwei angelangt. Nach dem „Wunder der Heliane“ von Erich Wolfgang Korngold (ich berichtete für den Online Merker am 31.3.2028 bzw. über die Blu-ray am 9.5.2019) ist nun die Femme fatale „Francesca da Rimini“ an der Reihe. Dieses eigens für die Deutsche Oper Berlin entwickelte Projekt will Loy mit Franz Schrekers Oper “Der Schatzgräber“ abschließen. 

 

Der vieraktige Verismo-Schinken „Francesca da Rimini“ aus dem Jahr 1914 nach einem Libretto von Tito Ricordi, basierend auf einer Erzählung des Gabriele d‘Annunzio, ist ein veritables Primadonnen-Vehikel. Diven wie Maria Caniglia, Raina Kabaivanska, Renata Scotto, Leyla Gencer, Magda Olivero oder Ilva Ligabue haben die Partie der schönen Francesco auf der Bühne oder im Studio (Magda Olivero mit del Monaco und Gobbi in Ausschnitten für DECCA) verkörpert. Ihre Leistungen sind nach wie vor auf Tonträgern nachprüfbar.

 

An packender Dramatik und Grauslichkeiten lässt der dekadente Stoff aus der Zeit der Bürgerkriege zwischen den Guelfen und den Ghibellinen im 13./14. Jahrhundert nichts zu wünschen übrig: Aus Gründen der Familienraison wird Francesca aus der finanziell abgehalfterten Dynastie der Polenta in den Clan der Malatesta zwangseingeheiratet. Damit sie der Verbindung zustimmt, wird zu einer bösen List gegriffen. Nicht das Familienoberhaupt und der wahre Bräutigam Giovanni der Lahme (in der Erzählung ist er behindert, was aber Christof Loy in seiner Inszenierung nicht aufgreift) kommt zur Brautwerbung und Vertragsunterzeichnung, sondern der mit Abstand fescheste der drei Brüder Malatesta, nämlich Paolo. 

 

Es gibt erotische Konstellationen, die können nicht funktionieren. Drei Brüder und eine Frau im Haus ist eine solche. Noch dazu nicht irgendeine Frau, sondern die nicht nur mit allen optischen Reizen, sondern auch einer zwingenden Persönlichkeit und scharfem Intellekt großzügig ausgestattete Francesca. Nachdem sie den ersten Schock des Betrugs gerade durch ihren Traummann überstanden hat, legt Francesca ihre Opferrolle ab und nimmt die Zügel fest in die Hand. In virtuoser Eigenregie, versucht sie, alle drei Männer unter einen Hut zu bekommen. Mit dem Ergebnis, dass ihr alle Brüder Malatesta heillos verfallen sind. Ihre Leidenschaft gilt in Wahrheit natürlich nur dem schicken Paolo, was Zandonai Gelegenheit zu allerlei rauschhaften Duetten gibt. Aber allen was vorzuspielen, will auch nicht so recht klappen. Pech nur, dass auch Francescas Ehemann Giovanni an die große Liebe glaubt. Als der dritte im Bunde, der nach einer kriegerischen Auseinandersetzung einäugige Malatestino, aus Eifersucht Giovanni vom Ehebruch der Francesca mit seinem Lieblingsbruder Paolo erzählt, ahnt der geeichte Operngeher schon, wie die Chose ausgeht. In wahnsinniger Eifersucht ersticht Giovanni seine Frau und Paolo. Der immer zu kurz gekommene Malatestino kann sich eins lachen.

 

Christof Loy und sein Bühnenbildner Johannes Leiacker legen eine vom Einheitsbühnenbild  (großer kahler Raum mit Blümchentapeten und einer mobilen Wand für variable Hintergrundkulissen), und den Kostümen (die Männer in eng anliegenden Businessanzügen, die Frauen meist in elegantem Schwarz) her erwartbare Arbeit vor. Dennoch gelingen diesmal hoch ästhetische Tableaus mit passgenauen Zitaten aus der bildenden Kunst (etwa das Gemälde von Claude Lorrain „Morgen. Landschaft mit Jakob, Rachel und Lea am Brunnen”). Die Stärke der Inszenierung liegt bei Loy aber jenseits der filmisch fein getakteten und kunstgeschichtlichen Anleihen ohnedies in einer vom Bewegungsablauf her ausgeklügelten, psychologisch gut durchdachten Personenführung in kammertheaterlicher Intimität samt antikisch tragischer Ausweglosigkeit. dieses veristisch verbrämten Tristan-Stoffs. Hierin folgen ihm die vier Hauptpersonen der Aufführung bereitwillig. 

 

Sara Jakubiak ist sowohl stimmlich als auch optisch eine Idealbesetzung. Mit ebenmäßigem Madonnengesicht gibt sie eine vordergründig um ihr Glück betrogene, berechnende Verführerin, eine leidenschaftliche Geliebte und fatalistisch ihr Ende ahnende  Ehebrecherin. Ihr Typus passte wohl rein schauspielerisch in jede Hollywoodproduktion. Mit einem dunkel grundierten, ebenmäßig fließenden Sopran gesegnet, nutzt Jakubiak die beeindruckende Farbpalette ihres vanillecremig timbrierten dramatischen, technisch gut geführten Soprans, um die von Länge und Anspruch her mörderische Partie mit prallem Leben zu füllen. Durch die gesamte Partie hindurch leuchtet und blüht ihr Sopran, keine einzige scharfe Höhe trübt das Hörvergnügen. Zum Verständnis der Figur trägt Loy mit seiner spannende Analyse bei: “Im zweiten Akt wird ihre innere Situation gespiegelt durch die Bürgerkriegssituation in Rimini. Das ist fast wie eine Explosion: als würden die verschiedenen Partikel ihrer Seele durch die Luft fliegen. Francesca entwickelt Feindschaft und Hass gegenüber dem Mann, den sie für einen Sekunde als ihren idealen Geliebten gesehen hat. Und im dritten Akt wehrt sie sich nicht mehr dagegen, das sich ihre Liebe zu Paolo geistig wie physisch nicht mehr kontrollieren lässt. Diese große und unbedingte Leidenschaft ist be ihr gepaart mit einem scharfen Verstand. Und dann gibt es Momente der Vorahnungen und Erleuchtungen.” Final wünscht sich Francesca „Frieden in diesem Meer, Das gestern so wild war, Und heute wie eine glatte Perle ist.“

 

Natürlich kann auch ihre Top-Leistung nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Dramaturgie der Partitur bei aller feinschmeckerischen Detailarbeit unter dem permanenten emotionalen Heißdampf leidet. Dabei gelingen Zandonai berückend schöne musikalische Momente. Er verpackt in der durchkomponierten, den musikalischen Dialog pflegenden Partitur kühne Harmonien, die an Bartók , Debussy und Janáček erinnern. Beim Auftritt Paolos im ersten Akt sind geschickte Anleihen aus dem drei Jahre vorher uraufgeführten „Rosenkavalier“ (Rosenüberreichung im zweiten Akt) nicht zu leugnen. Loy greift diesen thematischen Gedanken auf. Er lässt Francesca ihrem vermeintlichen Bräutigam eine rote Rose überreichen, bevor sie ihn zärtlich küsst. Aber auch sein Lehrer Mascagni hat bei Francesca hörbare Spuren in der Partitur hinterlassen. 

 

Jonathan Tetelman ist dieser Paolo, Francescas Bilderbuch-Partner. Der chilenisch amerikanische Tenor punktet mit einem viril baritonal gefärbten Timbre der Sonderklasse, einer umwerfenden Bühnenerscheinung mit allen Atouts – um ein Klischee zu bemühen – eines Latin Lovers, als auch einer dramatischen Intensität, die glüht, ohne sich selbst zu verbrennen. Der 33-jährige Tenor, der sich hier an eine Partie wagt, die vor ihm vor allem Mario del Monaco und Placido Domingo sich vollkommen aneigneten, kam, sah und siegte.  Dabei wirkt sein Auftritt natürlich, die Darstellung stets psychologisch motiviert und sein präziser Gesang kommt ohne Schluchzer und Übertreibungen aus. Kein Wunder, dass die Deutsche Grammophon Tetelman unter Exklusivvertrag genommen hat. Das erste in Las Palmas, im Auditorio Alfredo Kraus aufgenommene Album mit dem Orquesta Filarmónica de Gran Canaria unter dessen Chefdirigenten Karel Mark Chichon wird im Sommer 2022 erscheinen und mit Arien Verdis und des Verismo aufwarten. 

 

Als Giovanni Malatesta, Paolos älterem Bruder, hören und sehen wir den italienischen Bariton Ivan Inverardi. Ein Mordskerl im wahrsten Sinn des Wortes, gibt er stimmlich das Raubein. Ein scheinstarker Macho ist dieser “Gianciotto”, der die brutale Tatsache des Nicht Geliebtseins nicht verkraften kann. 

 

Das Orchester der Deutsche Oper Berlin unter kundigen Leitung von Carlo Rizzi vermittelt wie bei der Musik zu einem Politthriller spannungsvoll die schwelende Unruhe, das Unheimliche und immanent Drohende der Partitur. Der Chor wurde corona-bedingt live aus dem größten Probenraum des Hauses zugeschaltet. Die vorzügliche Bildregie (Videodirektor Götz Filenius) wechselt fix getimt zwischen unter die Haut gehenden Nahaufnahmen und der gesamten Bühne.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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