CD: Johannes Brahms Ein deutsches Requiem Op. 45 Miku Yasukawa, Sopran Jochen Kuofer, Bariton Bach Collegium Japan Masaaki Suzuki, musikalische Leitung BIS2751
Eine Meditation in Klarheit und Innigkeit
Johannes Brahms’ „Ein Deutsches Requiem“ ist kein Werk, das sich mit Donner und Posaunenengeln ins Ohr drängt. Stattdessen wählt es den Weg der stillen Reflexion, des Trostes und der menschlichen Nähe. Diese Eigenschaften machen es zu einem idealen Stück für Masaaki Suzuki und sein Bach Collegium Japan, dessen Aufnahme sich durch Transparenz, feine Nuancierung und eine zugleich kammerartige Intimität auszeichnet. Die vorliegende Einspielung, erschienen bei BIS Records, überzeugt nicht nur durch ihre klangliche Sorgfalt, sondern auch durch den hörbaren Respekt, mit der sich Dirigent, Chor und Orchester dem Werk nähern.
Masaaki Suzuki, weltweit gefeiert für seine Bach-Interpretationen, bringt dieselbe Präzision und herausragende Textverständlichkeit in Brahms’ Requiem ein. Das Bach Collegium Japan, normalerweise auf Barockmusik spezialisiert, überrascht mit einer Leichtigkeit und Beweglichkeit, die dem Werk ungeahnte Facetten entlockt. Der Chor, bewusst klein gehalten, vermeidet monumentale Wucht zugunsten einer schwebenden Deklamation. Die Solisten, Sopranistin Miku Yasukawa und Bariton Jochen Kupfer, ergänzen das Ensemble gut: Yasukawa mit ihrem warmen, schlackenfreien Sopran, Kupfer mit seiner ausdrucksstarken, kernig timbrierten Stimme, die Schmerz und Trost gleichermaßen vermittelt.
Die Aufnahme besticht durch ihre klangliche Weite und Detailtreue. Jede Stimme, jede Instrumentengruppe hat ihren Platz, ohne dass es je zu einem undurchdringlichen Klangteppich kommt. Die Balance zwischen Chor und Orchester ist mustergültig, und die dynamischen Abstufungen – vom hauchzarten Piano bis zum wogenden Forte – werden mit einer Natürlichkeit reproduziert, die den Hörer mitten ins Geschehen zieht.
Suzuki beginnt das Requiem nicht mit schwerer Trauer, sondern mit einer sanften, wiegenden Bewegung. Die Streicher flirren kaum hörbar, der Chor setzt mit einer bemerkenswerten Homogenität ein. Hier zeigt sich bereits die Stärke dieser Interpretation: Statt auf pathetische Effekte zu setzen, entfaltet sich die Musik wie ein stilles Gebet.
Der zweite Satz kontrastiert mit seinem marschartigen Rhythmus, doch auch hier dominiert nicht rohe Kraft, sondern eine präzise rhythmische Struktur. Das Fugato „Aber des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit“ wird mit einer solchen Klarheit ausgeführt, dass jede Stimme verständlich bleibt – eine Seltenheit in größeren Choraufnahmen.
Jochen Kupfer betritt hier die Bühne mit einer Darbietung, die unter die Haut geht. Sein Bariton ist nicht einfach nur dunkel, sondern trägt eine brüchige, menschliche Qualität in sich, die angemessen zum Text passt. Das Orchester begleitet mit zurückhaltend, besonders die Holzbläser glänzen mit zarten Zwischentönen.
Dann der vierte Satz, oft als idyllisches Intermezzo missverstanden, bekommt bei Suzuki eine schmerzliche Süße. Der Chor singt mit einer schwebenden Leichtigkeit, die Streicher artikulieren jede Phrase mit delikater Sanglichkeit. Es ist, als würde ein kostbarer Moment festgehalten, bevor er vergeht.
Miku Yasukawas Auftritt ist einer der Höhepunkte der Aufnahme. Ihr Sopran ist nicht auf Effekt aus, sondern auf innere Wahrhaftigkeit. Das berühmte Solo „Ihr habt nun Traurigkeit“ klingt nicht wie eine ferne Verheißung, sondern wie ein inniger Trost von Mensch zu Mensch. Jede Silbe wirkt erlebt und gefühlt. Die Textverständlichkeit ist vorbildlich.
Die düstere Dramatik des sechsten Satzes wird bei Suzuki nicht zur apokalyptischen Schau, sondern bleibt ein Aufbäumen gegen die Vergänglichkeit. Der Chor meistert die komplexen polyphonen Passagen mit beeindruckender Agilität, und das Finale „Tod, wo ist dein Stachel?“ erklingt nicht triumphal, sondern wie eine befreiende Einsicht.
Das Requiem schließt, wie es begann: in sanfter Kontemplation. Suzuki lässt die Musik langsam verhauchen, als löse sie sich in Licht auf. Die Wiederaufnahme des Anfangsthemas wirkt wie ein Kreis, der sich schließt – nicht resignativ, sondern versöhnlich.
Verglichen mit den schweren, oft betont orchestralen Interpretationen eines Karajan oder Klemperer wirkt Suzukis Version wie eine Kammerfassung – ohne dabei an Substanz zu verlieren. Ähnlich transparent, aber weniger introvertiert, klingt etwa John Eliot Gardiners Einspielung mit dem Monteverdi Choir. Doch Suzukis Ansatz übertrifft viele Konkurrenten in der feinen Abstimmung zwischen Chor und Orchester sowie in der emotionalen Zurückhaltung, die letztlich umso berührender wirkt.
BIS hat auch hier bei dieser Einspielung eine vorzügliche Klangqualität realisiert, bei der kein Wunsch offen bleibt.
Diese Aufnahme ist kein Requiem für die Ewigkeit, sondern eines für den Augenblick – ein Werk, das nicht mit Pauken und Trompeten erschüttert, sondern mit leisen Tönen und feinen Zwischentönen besticht. Masaaki Suzuki und das Bach Collegium Japan beweisen, dass Größe nicht in Lautstärke, sondern in Hingabe liegt. Wer Brahms’ Meisterwerk einmal anders, intim und doch ungemein kraftvoll erleben möchte, sollte hier unbedingt hineinhören.
Dirk Schauß, im April 2025
Johannes Brahms
Ein deutsches Requiem Op. 45
Miku Yasukawa, Sopran
Jochen Kuofer, Bariton
Bach Collegium Japan
Masaaki Suzuki, musikalische Leitung
BIS2751