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CD JOHANNES BRAHMS: EIN DEUTSCHES REQUIEM nach Worten der Heiligen Schrift op. 45 – Raphaël Pichon und Pygmalion mit einer ergreifenden Interpretation für die Ewigkeit; harmonia mundi

04.10.2025 | Allgemein, cd

CD JOHANNES BRAHMS: EIN DEUTSCHES REQUIEM nach Worten der Heiligen Schrift op. 45 – Raphaël Pichon und Pygmalion mit einer ergreifenden Interpretation für die Ewigkeit; harmonia mundi

„Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?“ Korintherbrief an Paulus, 1. Korinther 15, 55

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„Man darf es heute ruhig aussprechen, dass seit Bachs h-Moll-Messe und Beethovens Missa solemnis nichts geschrieben worden, was auf diesem Gebiete sich neben Brahms‘ Deutsches Requiem zu stellen vermag.“ Diese Worte des Musikkritikers Eduard Hanslick dürften für viele unter uns (erweitert um die eine oder andere persönlich geschätzte Messkomposition) nach wie vor gelten. Als ehemaliger Basschorist von Wiener Singverein und Singakademie teile ich Hanslicks Befund, erinnere ich mich doch wahnsinnig gerne an Aufführungen des Deutschen Requiems im Wiener Konzerthaus u.a. mit der von mir verehrten Edda Moser als Sopransolistin….

Für Brahms in seinen jungen Dreißigern ist ein autobiografisches Ereignis eng mit der Entstehung seines Requiems verbunden. Der Tod seiner Mutter 1865 beflügelte den Kompositionsprozess und der erst nachträglich 1868 hinzugefügte fünfte Satz mit dem unfassbar zarttranszendenten Sopransolo ‚Ihr habt nun Traurigkeit‘ ist dem Andenken seiner Mutter gewidmet. Gibt es eine ergreifendere musikalische Trauer-Trost Erfahrung? So erklang das vollständige siebensätzige Werk zum ersten Mal am 18. Februar 1869 im Leipziger Gewandhaus.

Überhaupt steht dieses Requiem auf von Brahms selbst gewählte Texte des Alten und Neuen Testamentes in der Fassung der Lutherbibel für die ‚Seligpreisung der Leidtragenden‘ und nicht für die Schrecken der Verdammnis des Jüngsten Gerichts sündiger Erdgenossen. Die Rufe zum Zornesgericht (Dies irae) á la Mozart oder Verdi bleiben bei Brahms außen vor. Die klanglichen Reflexionen bewegen sich um Klage, Trost, Vergänglichkeit und Ewigkeit. Die Posaunen schallen bei Brahms zwar auch im Satz ‚Denn wir haben hier keine bleibende Statt‘. Allerdings beschwören sie die Auferstehung und die Verwandlung mit der triumphalen, das Leben feiernden Folgerung: ‚Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist Dein Stachel? Hölle, wo ist Dein Sieg?‘

Die Musik, die Brahms im Deutschen Requiem schrieb, gehört zu den eigentümlich bewegendsten und kathartischsten der Musikgeschichte. Auf chorische Vorbilder der deutschen Renaissance und des Barocks bauend, schuf Brahms Einzigartiges, in polyphoner Pracht blühend (‚Herr, Du bist würdig zu nehmen Preis und Ehre und Kraft‘) als auch in romantischer Schlichtheit und lyrisch-poetischer melodischer Invention (‚Wie lieblich sind Deine Wohnungen‘) unmittelbar packend.   

Einer der interessantesten und aussichtsreichsten unter den Dirigenten der jüngeren Generation, Raphaël Pichon, der dieses Jahr mit einer halbszenischen Neuproduktion von Mozarts Opernfragment „Zaide“ und der Kantate „Davide penitente“ für einen, wenn nicht DEN Höhepunkt der Salzburger Festspiele gesorgt hat, legt nun nach mehrjähriger Beschäftigung und einschlägigen Konzerterfahrungen (so etwa im Dezember 2024 in der Hamburger Elbphilharmonie) eine denkwürdige Interpretation des Deutschen Requiems vor.

Mit dem historisch informiert agierenden Ensemble Pygmalion samt sowohl in den schwebenden Piani des ‚Selig sind, die da Leid tragen‘ wie der bis ins Herz zielenden, elementaren Expression der Fuge nach Worten aus der Offenbarung des Johannes (‚Herr, du bist würdig…‘) unfassbar fulminantem Chor, sorgt Pichon für eine instrumental bis zum letzten Ton ausgetüftelte, musikalisch wunderbar ausgehorchte und spirituell erfühlte Interpretation.

In der Grande salle Pierre Boulez der Philharmonie Paris aufgenommen, wählt Pichon etwa im Vergleich zu den Aufnahmen von Kempe oder Karajan durchwegs raschere Tempi und legt besonders in den Abschnitten ‚Herr, lehre doch mich‘ und ‚Denn wir haben hie keine bleibende Statt‘ eine schroff archaische Dramatik in seine, den Text tiefendeutende Lesart.

Wer solch eine von Orchester und Chor unter Anlegung der strengsten Maßstäbe im Vergleich der letzten Jahrzehnte allererste Aufnahme anbietet, muss sich auch bezüglich der Solisten den historischen Vergleich gefallen lassen. Da schneiden der kühle lyrische Sopran von Sabine Devieilhe und der kernig granulierte, wenig liedhafte Bariton von Stéphane Degout insgesamt gut ab. Aber auch nicht mehr. Mit solchen Spitzenleistungen wie Gundula Janowitz/Eberhard Wächter (Herbert von Karajan), Elisabeth Grümmer/Fischer-Dieskau (Rudolf Kempe) oder Montserrat Caballé/Sherrill Milnes (Erich Leinsdorf) können sie nicht Schritt halten.

Fazit: Pichons Aufnahme des Deutschen Requiems von Johannes Brahms genügt allerhöchsten orchestralen und chorischen Standards und ist auch aufnahmetechnisch ein Traum. Solistisch zwar kongruenter und von mir vom Timbre her als stimmiger empfunden als die Doppelung Karg/Goerne in der letzten beim Label harmonia mundi 2019 erschienenen Aufnahme (Daniel Harding), bleibt diesbezüglich ein kleiner Erdenrest. Der kann natürlich auch erwünscht sein, lässt Brahms doch mit seiner Requiemvertonung genügend Spielraum für Deutung und persönliche motivierte Aneignung.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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