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CD JEAN-PHILIPPE RAMEAU: PLATÉE – Opéra-ballet bouffon in einer flott-federnden Neueinspielung mit MATHIAS VIDAL (Platée) und MARIE LYS (La Folie); Château de Versailles Spectacles

03.05.2025 | Allgemein, cd

CD JEAN-PHILIPPE RAMEAU: PLATÉE – Opéra-ballet bouffon in einer flott-federnden Neueinspielung mit MATHIAS VIDAL (Platée) und MARIE LYS (La Folie); Château de Versailles Spectacles

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Diese 1745 in der Grand Manège de Versailles uraufgeführte Oper nach einem Libretto von Adrien-Joseph Le Valois d’Orville handelt vom Liebesunglück einer eitlen Froschnymphe. Dahinter steckt nichts anders als eine bitterböse Intrige des umtriebigen Gottes Jupiter, um die glühende Eifersucht seiner Gattin Juno zu entkräften. Auf Vorschlag von Cithéron soll Jupiter der im Sumpf lebenden Platée den Hof machen und um ihre Hand anhalten. Jupiters treue Mannen (Momus, Mercure, Cithéron) preisen die „Schönheit“ der Fröschin. Indes nimmt die Geschichte ihren Lauf. Im dritten Akt findet vor der finalen Auflösung vergleichbar dem vierten Akt von „Le nozze di Figaro“ ein Verwirrspiel statt, wo die Hochzeit unter dem Vorwand, dass die wahre Liebe offenbar irgendwo aufgehalten wurde, mittels einer Vielzahl an allegorischen Ballettnummern hinausgezögert wird. Juno, natürlich von den Intriganten entsprechend vorgewarnt, taucht „unerwartet“ bei der gefakten Hochzeit auf. Als die Göttin das grünschillernde Amphib Platée im Brautkleid sieht, erkennt sie die Falle und versöhnt sich mit dem vielleicht doch vertrauenswürdigen Jupiter. Die so betrogene, allzu leichtgläubige wie von ihrer Grandiosität überzeugte Nymphe zieht sich unter Spott in den Teich zurück. Zwischendurch kommt, fein gepfeffert, der Wahnsinn (auf französisch weiblich „La Folie“) mit ins Spiel und schmettert u.a. eine der tollsten und skurrilsten Koloraturarien der Operngeschichte in den Raum.

Für mich ist Rameaus „Platée“, die ich mehrmals an der Opéra de Paris in der legendären Inszenierung von Laurent Pelly erlebt habe, eine der besten und klügsten musikalischen Komödien ever. Die Lügen und Infamien der Gesellschaft, gespiegelt durch die Schweinereien des Göttervaters samt Gefolge, sind der allgegenwärtigen Wahrheit von Betrug und Untreue inhärent. Und wer eitel und dumm genug ist, der lässt sich von den erotischen Nutznießern noch für solche unheiligen Zwecke vor den dreckigen Karren spannen.

Mag Voltaire das Werk für den „Gipfel der Unanständigkeit, der Langeweile und der Impertinenz„ und dessen Schöpfer für einen Narren gehalten haben, so mag sich der berühmte Philosoph der Aufklärung heute wohl von seiner hohen Wolke herab für seinen Irrtum genieren. Keine andere Oper Rameaus wurde seit ihrer Ausgrabung 1956 beim Festival von Aix-en-Provence bis heute mutmaßlich öfter aufgeführt als diese so köstlich unterhaltsame Farce, wo die Situationskomik der verliebten, schluchzenden, jauchzenden, wimpernschlagenden, von einem Haute Contre als Travestierolle verkörperten Platée die verrücktesten Kapriolen schlägt.

Und wie so häufig in der französischen Kultur geht es mindestens genauso viel um das Wie als um das Was. Mit welcher burlesken Raffinesse Rameau Götter fleddern und heucheln, die gesamte windige Entourage sich im Ränkespiel verheddern, Platée schmachten, hoffnungselig lächeln und wüten lässt, ist ganz großes (tragi)komisches Musiktheater. Denn wer zeigte am Ende mit der so übel mitgespielten Fröschin nicht Mitleid und keine Bewunderung für das theatermagische Qui pro Quo, das er in den Mund von La Folie legt. Denn Rameau war vom Primat der Musik über den Text überzeugt. Er soll sich sogar damit gerühmt haben, die Gazette von Holland in Töne setzen zu können.

Diese sorgfältig im April 2024 in Versailles aufgenommene Studio-Platée ist ein Musterbeispiel an musikalischer Akkuratesse, charakterlicher Einzeichnung, satirischer Klangverschrobenheit und artikulatorischer Vieldeutigkeit. Valentin Tournet entlockt dem von ihm als 21-jähriger Musiker gegründeten Vokal- und Instrumentalensembles unter der Marke „La Chapelle Harmonique“ jenen Strauß an aberwitzigem Witz, vorgetäuschten und echten Emotionen, jene klanglichen Schlagseiten eines Satyr-Maskenspiels der menschlichen Lüste und ihrer sonderbaren Emanationen, das aus der Partitur erst einen lebendigen Widerhall von bis heute nicht weniger relevanten  gesellschaftlichen Usancen erstehen lässt.

Die Besetzung mit dem Haute Contre Mathias Vidal (Platée), Marie Lys als Thalie und La Folie, Zachary Wilder als Thespis und Mercure, Alexandre Duhamel (Jupiter), Juliette Mey (Junon), David Witczak (Cithéron, Un Satyre), Cécile Achille (L’Amour, Clarine) und Cyril Costanzo (Momus) empfiehlt sich in ihrer künstlerischen Geschlossenheit und vokalen Makellosigkeit vielleicht als die beste von allen bisherigen Platée-Aufnahmen. Dringende Empfehlung!

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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