CD „ISTRIAN RHAPSODY“ – Dejan Lazić: Konzert im istrischen Stil für Klavier & Orchester op.18, Natko Devčić: Istrische Suite; BR-Klassik
Wer wie ich als gebürtiger Kärntner noch in den 60-er Jahren zuerst das Meer in Istrien, verbunden mit einer ersten überwältigenden Campingerfahrung, erlebte, kommt an dieser magischen, größtenteils kroatischen Halbinsel in der Adria gewidmeten Musik nicht vorbei. Besonders die Weltersteinspielung des Klavierkonzerts Op. 18 von Dejan Lazić mit dem Komponisten selbst am Klavier, farbenprächtig und rhythmisch verwegen begleitet vom Münchner Rundfunkorchester unter der kundigen Leitung von Chefdirigenten Ivan Repušić, ist eine Wucht.
Dejan Lazić hat das 2011 bis 2014 entstandene fünfsätzige „Konzert im istrischen Stil“ für Klavier und Orchester 2021 als Artist in Residence des Münchner Rundfunkorchesters nochmals überarbeitet. Es überwältigt den Hörer als extrovertierter Hymnus auf istrische Melodien, Harmonien und stampfende Rhythmen, aber Lazić hat das Konzert auch mit vielen kleinteiligen Motiven gespickt, die als Hommage an wichtige Komponisten wie große prägende Pianisten verstanden werden sollen. Solche Dejan Lazić inspirierende Musiker waren J.S. Bach, Schumann, Brahms, Rachmaninov und Shostakovich. Lazić: „Obwohl diese Region zwischen Kroatien, Slowenien, Italien und Österreich – also zwischen slawischen, lateinischen und germanischen Einflusssphären liegt, sind ihre Musikkultur und -tradition durchaus eigenwillig geblieben.“
Die Hauptcharakteristika istrischer Klangwelten, wie vor allem die istrische Tonleiter, bilden den Bezugspunkt des Klavierkonzerts. Sie gehen auf pentatonische Regeln mit kleinen und großen Sekunden zurück und unterscheiden sich – verbunden mit den spezifischen asymmetrischen Rhythmen – deutlich von den anderen Musikstilen Kroatiens. Den dritten Satz des Konzerts bildet eine ausführliche cadenza ad libitum. Eine Gelegenheit, die Lazić zu nutzen weiß, um innerhalb der volkstümlichen Gangart der Musik frisch drauflos zu improvisieren. Interessant und ungewöhnlich ist nicht zuletzt die Instrumentierung des Konzerts, etwa mit den Paarungen Englischhorn und Fagott, Klarinette und Tuba im als „Canone e Rondo“ bezeichneten vierten Satz. Das Finale ist ein gewaltig virtuoser, an die Avantgarde der klassischen Moderne, etwa eines S. Prokofiev oder Bartók, anknüpfender Kehraus und krönt in schroff steinerner Erhabenheit dieses so beeindruckend lichttropfende istrische Klanggemälde.
Das zweite Hauptwerk des Albums bildet Natko Devčić‘ viersätzige „Istrische Suite“ aus dem Jahr 1948. Devčić war der bedeutendste kroatische Komponist des 20. Jahrhunderts und ein fantastischer Musikpädagoge. Sein spätromantisch grundiertes Hauptwerk, die „Istrische Suite“, basiert vornehmlich auf folkloristischen Melodien aus Istrien. Wir hören Tänze und ein Wiegenlied in einem ganz eigenen unverwechselbaren Idiom. Die Kombination mit dem Klavierkonzert von Dejan Lazić ist in Bezug auf regionale, an die europäische Moderne anknüpfende Kompositionstechniken und die breite Palette an Klangwirkungen besonders aufschlussreich.
Lazićs „Alterationen über ein istrisches Volkslied“ op. 29, eigens entstanden für die Istrische-CD, sind dem Münchner Rundfunkorchester und seinem Chefdirigenten Ivan Repušić gewidmet. Sie handeln in knapp fünf Minuten zwölf Variationen samt Coda ab und adressieren einige außermusikalisch naturwissenschaftlich-technische Assoziationen wie Horologie, thermische Phänomene der Geologie., Medizin oder Physik/Halbschwingungen. Der Komponist hat sich darin mit dem von Ivan Matetić Ronjgov aufgezeichneten Lied „Draga nam je zemlja“ auseinandergesetzt. Es gilt in Istrien als Volkshymne, übriges der einzigen, die weder in Dur noch Moll steht, sondern in einer dorisch-istrischen Tonart. Für das Album wurde es in zwei Versionen, nämlich für zwei Sopile (Doppelrohrblattinstrumente), und als Stück für Chor (Kroatischer Rundfunkchor) aufgenommen.
Dank einer der mitreißenden Musik entsprechenden, auf allen Ebenen stupenden Qualität der Interpretation höchst empfehlenswertes Album. Es darf ohne schlechtes Gewissen als anspruchsvolle Urlaubseinstimmung genossen werden. Aber Achtung: Das Album erzählt in seiner Klangoriginalität mehr von abenteuerfrohem Kayaking und Climbing als gemächlichem Herumlungern am Strand.
Dr. Ingobert Waltenberger