Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

CD HEINRICH MARSCHNER: HANS HEILING – Live Mitschnitt aus dem Aalto-Musiktheater Essen vom Februar 2018, OEHMS Classics

29.05.2019 | Allgemein, cd

CD HEINRICH MARSCHNER: HANS HEILING – Live Mitschnitt aus dem Aalto-Musiktheater Essen vom Februar 2018, OEHMS Classics

 

Veröffentlichung: Mitte Juni

 

Obwohl Marschner musikgeschichtlich als wichtiges musikalisches Bindeglied zwischen Carl Maria von Weber und Richard Wagner gilt, sind seine Opern bis dato weder auf der Bühne noch auf Tonträgern ein Heuler. Das gilt auch für die populärste Marschner Oper „Hans Heiling“, uraufgeführt im Mai 1833 an der königlichen Hofoper Berlin, ungewöhnlicherweise mit dem Librettisten und Sänger Eduard Devrient als Sohn der Königin der Erdgeister. 

 

Die Karriere des Handwerkssohns aus Zittau (der von Beethoven nicht als Schüler akzeptiert wurde) war geprägt von seiner Assistentenstelle bei Weber in Dresden. Irgendwie hat er – wie überlieferte Zitate zu seiner Selbsteinschätzung bezeugen – verstanden, dass er nicht das rare Genie seines Idols hatte. Auch die Vertonung der deutschböhmischen Volkssage rund um Hans Heiling, dem König der Erdgeister, der an einer ganz und gar irdischen Liebe scheitert, macht da keine erlösende Ausnahme. Dennoch bietet diese nicht zuletzt von Spontini beeinflusste Geister-, Grusel-, Rache- und Liebesoper genügend melodiösen Reichtum, eingängige Arien und flotte Ensembles, um unsere Neugier zu verdienen.  

 

“Hans Heiling“ war in den letzten Jahren u.a. in Regensburg, Cagliari und Wien (2015) zu sehen. Vor ziemlich genau 18 Jahren hat Christian Thielemann an der Deutschen Oper Berlin eine Premiere mit Wolfgang Schöne in der Titelpartie dirigiert. In Essen, wo der vorliegende Mitschnitt entstand, sorgt Dirigent Frank Beermann mit seiner glühenden Theaterpranke  für eine pralle musikalische Umsetzung des Werks, zumindest was die von den Essener Philharmonikern stimmungsvoll eingefangene frühromantische orchestrale Textur (mit Flöten, Oboen, Klarinetten, Fagotte, Hörner, Trompete, Posaunen, Pauken Streicher und Donnermaschine) anlangt. Echte Geister- und Spukmusik à la Wolfsschlucht im “Freischütz” gibt es allerdings nicht zu vermelden.

 

Die Besetzung wartet mit einer fantastischen Sopranistin, einigen braven Ensemblesängern und einer Zumutung in der Tenorpartie auf. Rebecca Teem in der Rolle der Königin der Erdgeister müht sich redlich, ihr fehlt jedoch die nötige Höhe. Da  macht Ursula Schröder-Feinen in einem längst vergriffenen Mitschnitt des Labels Gala (RAI Torino vom 20.6.1972) schon eine andere Figur. Übrigens auch Bernd Weikl, der in diesem Mitschnitt aus Turin als Idealbesetzung des geheimnisvollen Geisterwesens Hans gelten darf. In Essen war die zwischen Helden- und Kavaliersbariton schwankende Partie des Hans Heiling mit Heiko Trinsinger tauglich besetzt. Seiner trocken spröde Stimme nimmt man den verwegen mutigen die Grenze zwischen Geister- und Erdenwelt  durchschreitenden Heroe zwar nicht ab, die verschmähte Liebe und seine Rachegedanken allerdings schon. Die Arie “O lass die Treue niemals wanken”, die so manche Star-Baritone gesungen und/oder auf Platte eingespielt haben (u.a. Thomas Hampson) gelingt allerdings ausnehmend gut.

 

Die britisch kanadische Sopranistin Jessica  Muirhead als Anna ist die große vokale Wohltat dieses Mitschnitts. Sie kann als echte Entdeckung mit einer prächtigen jugendlich dramatischen seelenvollen Stimme wie die junge Cheryl  Studer gelten. Die obertonreiche, üppig runde Mittellage wird von einer herrlich silbrig leuchtenden Höhe getoppt. Den Namen wird man sich wohl merken müssen, da ist vielleicht ein ganz großer Star am Sprung. Sie ist aber leider auch nur der einzige echte sängerische Glanzpunkt der Aufnahme. Das Finale des ersten Akte sowie ihre große Arie zu Beginn des zweiten Akts “Wehe mir! Wohin, wohin ist es mit mir gekommen?” sind Höhepunkte der Aufführung. Ihre Mutter Gertrude wird von Bettina Ranch zwar beeindruckend dramatisch und doppelbödig serviert, ihr Ruhrpott-Dialekt in den gesprochenen Dialogen ist für ein internationales Publikum aber nur schwer genießbar.

 

Anna will in Sachen Liebe auf Nummer sicher gehen. Ihr ist der Geistermensch Hans samt  Zauberbuch und trotz Juwelen suspekt. Sie nimmt sich lieber einen Mann ihresgleichen, also die Jugendliebe Konrad. Der ist mit dem vollkommen abgesungenen Heldentenor Jeffrey Dowd untauglich besetzt. In exponierten Lagen klingt er einfach nur noch unruhig eng, gepresst und rauh. Die vielen Auftritte mit den schwersten Wagner-Partien haben hörbar ihren Tribut gezollt. Der Opernchor des Aalto-Theaters fällt auch nicht gerade durch homogene Stimmführung auf, die stark tremolierenden Soprane stellen das Trommelfell bisweilen auf eine harte Probe.

 

Fazit: Das exzellente Dirigat und die luxuriöse Besetzung der Anna sind die herausragenden Atouts einer sonst vokal bescheidenen, klangtechnisch jedoch guten Aufnahme. Auf eine  definitive Aufnahme geschweige denn eine Marschner-Renaissance werden wir also noch warten müssen.

 

Tipp: Wer eine sorgfältig gearbeitete, gut gesungene Studioproduktion einer Marschner Oper hören will, der greife zu “Der Vampyr” des WDR 2001 mit Regina Klepper, Franz Hawlata und dem 30-jährigen Jonas Kaufmann als Edgar Aubry. Wenn man sich nicht daran stößt, dass viele der Dialoge gestrichen sind. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

Diese Seite drucken