CD: GIUSEPPE VERDI: LA TRAVIATA • Dresdner Philharmonie, Daniel Oren
Eine Violetta unserer Zeit
Das Label Pentatone hat es gewagt die schon umfangreiche Diskographie von Verdis Meisterwerk, um eine weitere Einspielung zu ergänzen. Resultat ist die Dokumentation einer der führenden Interpretinnen der Violetta Valery ihrer Zeit.
„Für Venedig mache ich die Kameliendame, vielleicht unter dem Titel Traviata. Ein Stoff unserer Zeit.» schrieb Giuseppe Verdi am 1. Januar 1853 an seine Freund Cesare de Sanctis. Lisette Oropesa singt, in Abwandlung des Zitats, eine Violetta unserer Zeit. Mit resolutem Impetus ist ihrem wunderbar vollen, runden Sopran die Fragilität klassischer Koloratursopranistinnen fremd; sie stirbt aber auch keinen Sekunden-Tod. Die zarten Töne kommen genauso sicher wie die lyrischen und die dramatischen Ausbrüche. Kurz und neudeutsch: Eine moderne Power-Frau als Traviata. Die Partie des Alfredo Germont kommt für René Barbera deutlich zu früh. Vordergründig singt er mit Schmelz und kräftiger Attacke, aber gerade zu Beginn des 2 Akts, in «Lunge da lei» und «De miei bollenti spiriti», wird deutlich hörbar, wie sich Barbera anstrengen muss, um diesen Eindruck zu erreichen. Unschöne Färbungen der Diktion weisen ebenfalls darauf hin. Lester Lynch vermag als Giorgio Germont nur bedingt zu überzeugen. Seine Stimme ist für die Rolle ungewöhnlich dunkel gefärbt und lässt die Wärme und gewohnte Wendigkeit vermissen. Ilseyar Khayrullova als Flora Bervoix, Menna Cazel als Annina, Francesco Pittari als Gastone, Allen Boxer als Barone Douphol, Biagio Pizzuti als Marquese d’Obigny und Alexander Köpeczy als Dottore Grenvil ergänzen das Ensemble.
Unter der erfahrenen Leitung von Daniel Oren spielt die Dresdner Philharmonie sicher, aber manchmal mit Tendenz zum Knalligen. André Kellinghaus hat den Sächsischen Staatsopernchor Dresden vorbereitet, der seinen Part routiniert und klangschön absolviert.
Eine moderne Power-Frau als Traviata.
27.05.2022, Jan Krobot/Zürich