Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

CD GIOVANNI BATTISTA BONONCINI: POLIFEMO – Live Mitschnitt aus der Orangerie Potsdam  Sanssouci Juni 2019; dhm

23.08.2020 | Allgemein, cd

CD GIOVANNI BATTISTA BONONCINI: POLIFEMO – Live Mitschnitt aus der Orangerie Potsdam  Sanssouci Juni 2019; dhm

 

Eine Weltersteinspielung, wie etikettiert,  ist die einaktige Serenata „Polifemo“ von Bononcini aus Potsdam nicht wirklich. Vor 75 Jahren, also 1944, wurde die Oper in Wien mit den Solisten Herbert Alsen, Jetty Topitz-Feiler, Anton Dermota, Alfred Poell, Emmy Funk und Maria Kytka mit dem Grossen Orchester der RAVAG unter Max Schönherr aufgenommen. Die CD ist unter dem Label Walhall erschienen und noch erhältlich. Damals wurde allerdings in deutscher Sprache gesungen und ein Moderator ersetzte so manches Rezitativ. Sonst gab es wirklich nur die Arie des Glauco, vom Countertenor Jochen Kowalski auf seiner Arien-CD „Berliner Opernkomponisten“ vorzüglich gesungen. 

 

Auf dem vorliegenden, technisch exzellent aufgenommenen  Live-Mitschnitt aus der Orangerie Potsdam Sanssouci wird der um seine Liebe zur Nymphe Silla kämpfende Fischer Glauco allerdings von der Altistin Helena Rasker interpretiert. Um die Liebe und ihre giftigen Widerborstigkeiten geht es in dem vom Bologneser Multitalent Attilio Ariosti verfassten Libretto. Im Schlussensemble wird als Schmetterling, bezeichnet wer Amor folgt. „Er wird Leid finden, wenn er Freude sucht. Nach einer lieblichen Schönheit schmachtend, geht er dorthin zur Fackel, die verbrennt, wenn er Freude sucht.“ 

 

Damit ist wohl in erster Linie unser Titelheld, der Zyklop Polifemo, gemeint. Er will ausgerechnet Galatea heiraten, die aber mit Aci ein Techtelmechtel hat. Der einäugige Riese ist in dieser Oper ein patscherter Untam, der seine Menagerie seiner Angebeteten als Untertanen unterjubeln will. Die köstliche Arie „Zehn Kühe, acht Kälber, fünf Schweine, fett und schön, zweihundert Widder, vierhundert große Hammel wirst du stets um dich haben“ verfehlt ihre Wirkung nicht.  À la Osmin in Mozarts Oper „Die Entführung aus dem Serail“ ist Polifemo keine Drohung und Gewalt zu gering, um Galatea zu besitzen. Am Schluss erschlägt der Aci. Nur ein heilender Zauber der Göttin Venus erweckt Aci wieder zum Leben.

 

Im Stück, das der Texdichter selbst als Galimathias (=verworrenes, sinnloses Zeug) bezeichnet, ist allerdings die Zauberin Circe eine nicht minder gefährliche Widersacherin des Paars Glauco-Silla. Die freiheitsliebende selbstbewusste Silla will von Liebe zunächst nichts wissen. Also geht der Simpel Glauco ausgerechnet zu Circe, um ihr sein Liebesleid zu klagen. Circe liebt nämlich selbst erklärtermaßen den treulosen Fischermann. Getrieben von Eifersucht gibt sie Glauco ein Zaubermittel, das jede/n der darin badet, in ein abscheuliches Monster verwandelt. Glauco macht die rachsüchtige Zauberin aber weis, dass er damit Silla erobern kann. Auch hier ist es Venus, die der verwandelten Silla final wieder ihr früheres Aussehen zurückgibt. Am Schluss sind alle ganz schön angeschlagen vom Erlebten…

 

 

Bononcini war eigentlich am Hofe Kaiser Leopolds I tätig. 1702, als der Spanische Erbfolgekrieg den Wiener Opernbetrieb erheblich beeinträchtigte, beglückte Bononcini vorübergehend den Berliner Hof der preußischen Königin Sophie-Charlotte. Telemann berichtet, dass die Königin bei der Uraufführung von „Polifemo“ in Lietzenburg selbst am Klavier die Rezitative begleitet hat. 

 

Die Musik zu „Polifemo“ besteht aus 17 da capo Arien, 2 Duetten, einem Chor und Rezitativen. Bononcini ordnet in den Arien höchst kunstvoll bestimmte Instrumente bestimmten Charakteren zu. Streicher, Flöten, Oboe oder Generalbass, allen kommen spezifische Funktionen zu. Die Qualität und Inventionsoriginalität der Arien ist bemerkenswert. Circus Rachearie, von Bonocini selber in seiner Oper “Etearco” recycelt,  wurde von keinem geringeren als Georg Friedrich Händel für seinen Londoner Opernerstling “Rinaldo“ gestiebitzt. 

 

Die vorliegende Produktion wird musikalisch von Dorothee Oberlinger geleitet. Das  sich hauptsächlich der europäischen Kammermusik des 17. und 18. Jahrhunderts widmende Ensemble 1700 wurde von ihr 2002 in Köln gegründet. In der Operneinspielung zeigen die 15 Musiker, wie behutsam und dennoch beherzt sie mit  Musiktheater umzugehen vermögen. Die Solisten werden quasi auf Händen getragen.  

 

Die Besetzung ist ohne Fehl und Tadel. Neben der bereits erwähnten Prachtstimme der Helena Rasker (Glauco) besticht die Silla der Roberta Mameli durch glasklare, bisweilen spitze Koloraturen, mit denen sie auf der Hochschaubahn ihres emotionalen Schwindelspiels durchs Stück rast. Aci wird vom Sopranist Bruno de Sá gesungen. Ein rares Stimmfach und ein rar exquisiter Sänger. Ich wette, Sie würden ohne den Besetzungszettel befragt zu haben, nicht erkennen, dass im Duett mit Galatea ein Mann singt. Noch dazu verfügt er über ein fantastisches lyrisches Timbre. Seine Galatea wird von Roberta Invernizzi interpretiert, die im Vergleich zum frischen Lover ein wenig reif klingt. Circe wirkt bei der Russin Liliya Gaysina wirklich ganz schön gefährlich. Ihr Sopran birst vor dramatischem Feuer. João Fernandes bringt für die tragikomischen Bassrolle des Polifemo einen gut geschulten, aber doch harmlosen Buffo ins Spiel, ein Bisserl mehr stimmliche Schwärze hätte dem Rollenprofil nicht geschadet. Maria Ladurner vervollständigt als Venus am Schluss das Septett der durch die Launen der Liebe Geprüften.

 

Empfehlung!

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

Diese Seite drucken