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CD GIACOMO MEYERBEER „L’ÉTOILE DU NORD“ – Opéra-comique in drei Akten

29.05.2022 | Allgemein, cd

CD GIACOMO MEYERBEER „L’ÉTOILE DU NORD“ – Opéra-comique in drei Akten

Wiederveröffentlichung des Live-Mitschnitts vom Wexford Opera Festival 1996 – Elizabeth Futral, Christopher Maltman und Juan Diego Flórez brillieren unter der musikalischen Leitung von Vladimir Jurowski; Naxos

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Wir befinden uns im Dorf Wiborg in Finnland nahe der russischen Grenze im frühen 18. Jahrhundert. Der Librettist Eugène Scribe beschreibt uns hier den Tischler Peter – sie haben es erraten, es ist der Zar Peter der Große – als flötenspielenden, jähzornigen Säufer, der Catherine, liebt. Catherine hat aber keine Lust auf einen trinkenden Streithansl. Ihre Mutter hätte ihr vor ihrem Tode geweissagt, dass ihr Stern im Norden leuchte. Als sie den kranken Peter auffand, hätte sie kurz geglaubt, etwas Edles in seinen Zügen zu sehen.

Um die Ehe ihres Bruders George mit der Schankwirtstochter Presciova zu retten, verkleidet sich Catherine, die in der Zwischenzeit ukrainische Tartaren listreich abwehren konnte, selbst als Soldat. Andernfalls wäre George einberufen worden.

Im zweiten Akt befinden wir uns in einem russischen Militärlager. Catherine fragt sich, warum ihr Bruder sie noch nicht abgelöst hat? Da taucht in dem hanebüchenen Plot der Zar, diesmal als Hauptmann Michailoff, auf und berichtet, dass die schwedische Armee angreifen werde. Nach vielen Irrungen, Wirrungen, Beleidigungen und Eifersüchteleien ziehen alle in die Schlacht.

Im dritten Akt beklagt Peter in seinem Palast, dass er Catherine verloren habe. In Erinnerung an die Geliebte hat er vor dem Palast das Dorf Wiborg nachbauen lassen. Catherine taucht als Soldat Goerge auf, sie ist geistig umnachtet, aber nach Erblicken des Dorfs, koloraturgarniertem Flötenspiel und Wiedererkennen ihres Handwerkers wird sie Zarin. Alle bejubeln den Stern des Nordens. Vorhang.

Meyerbeer schrieb die Opéra-comique mit gesprochenen Dialogen „L’Étoile du Nord“ spät in seiner Karriere gleichzeitig mit der unvollendeten Grand Opéra „L’Africaine“.  Für den „Stern des Nordens“ griff Meyerbeer auf das für Berlin komponierte Singspiel „Ein Feldlager in Schlesien“ aus dem Jahr 1844 zurück, einer pseudo-historischen Fantasie über den flötenspielenden preußischen König Friedrich den Großen. Für Paris adaptierte Scribe die Geschichte, indem er das Ballett „Die Kantinenfrau“ drein mixte, den Schauplatz von Schlesien nach Finnland/Russland verlegte und aus Friedrich Zar Peter den Großen machte, der hier auch Flöten spielen kann.

„L’Étoile du Nord“ geht in ihrer komplexen Instrumentierung, dem hochromantischen Melodienschatz, den heroischen Chören und kunstvoll an Rossini erinnernden Ensembles weit über das übliche Genre einer Opéra-comique hinaus. Sie wurde daher als opéra de demi caractère bezeichnet, weil sie eine Halb-halb Mischung aus ernsten und komischen Szenen zwischen ländlicher Hochzeitsidylle und kriegerischem Militärleben aufweist. Meyerbeer nutzte das Szenario für Kavallerie- und Trommelrasseln imitierende Infanteriechören, einer Verschwörerszene gegen den Zaren, Märschen, Fanfaren, einen großen Walzer etc. Über Allem steht Meyerbeers Kunst der Konstruktion groß angelegter Ensembles, dem komplex ineinandergreifenden Gebrauch von Rhythmen, Harmonien und höchst raffinierter Orchestrierung, von der auch Berlioz höchst angetan war.

Dass die Interpretation höchst vergnüglich und temperamentvoll ausgefallen ist, verdanken wir zu gleichen Teilen dem straffen, die großen Ensembles diszipliniert bündelnden Dirigat des Vladimir Jurowski und den wahrlich atemberaubenden Gesangsleistungen einer damals blutjungen Sängerriege. Beginnend mit dem amerikanischen Koloraturwunder Elizabeth Futral in der immens herausfordernden Rolle der Catherine, der ebenso virtuos samtigen Bulgarin Darina Takova als Prascovia sowie den in Liebesdingen dazu gehörenden Herren, dem russischen Bass Vladimir Ognev als Zar Peter und dem unerschütterlichen Tiger des hohen C Juan Diego Florez als Georges, reüssieren in anderen Rollen der fantastische walisische Charaktertenor Alfred Hall als Danilowitz und der für seine grandiosen Verdi-Rollen bekannte Bariton Christopher Maltman als Gritzenko. Er trägt sein Scherflein zu einer geschlossen guten Ensembleleistung ebenso bei wie Agnete Munk Rasmussen (Natalia), Patrizia Cigna (Ekimona), Robert Lee (Ismailov), Fernand Bernardi (Reynolds) und Luis Ledesma (Yermolov).

Der irische Wexford Festival Opera Chorus und das National Symphony Orchestra of Ireland wachsen unter Jurowskis musikalischer Leitung über sich selbst hinaus. Die musikalisch vielleicht spannendste Meyerbeer-Oper ist somit in dieser vorzüglichen Wiederauflage genüsslich neu zu entdecken. Wann wagt sich endlich ein großes Label an eine Studioeinspielung? Tenöre und Sopranistinnen, die eine Meyerbeer-Renaissance auch auf Tonträgern einläuten könnten, gibt es mittlerweile wieder genügend.

Hinweis: Die Aufnahme wurde 1997 beim Label Marco Polo publiziert und war zuletzt nur als teurer Japan Import des Labels indx erhältlich. Der Vollständigkeit halber und nicht als Empfehlung ist anzumerken, dass auf dem Schwarzmarkt auch eine Aufnahme einer Vorstellung vom Camden Festival aus dem Collegiate Theatre London vom 1. März 1975 existiert.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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