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CD: GAËTANO DONIZETTI: ALFREDO IL GRANDE • Orchestra Donizetti Opera, Corrado Rovaris

27.06.2025 | Allgemein, cd

CD: GAËTANO DONIZETTI: ALFREDO IL GRANDE • Orchestra Donizetti Opera, Corrado Rovaris

WELTERSTEINSPIELUNG

Von der Entdeckung einer Übungs-Oper

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Donizettis «Alfredo il Grande», uraufgeführt am 2. Juli 1823 im Neapolitaner Teatro San Carlo, gehört zu den grossen Raritäten im Schaffen des Bergamasken. Ob es weitere zeitgenössische Aufführungen gab, ist unklar. So kann das Donizetti-Festival in Bergamo die szenischen Aufführungen von 2023 (19 und 24 November) 200 Jahre nach der Uraufführung als neuzeitliche Wiederentdeckung feiern. Aus den Aufnahmen dieser beiden Vorstellungen ist die vom Label Naxos vorgelegte Silberscheibe entstanden.

Neuzeitliche Wiederentdeckungen bringen unweigerlich die Frage nach dem Warum mit sich. Warum wurde das Werk nicht mehr gespielt? Im Falle von Donizettis «Alfredo il Grande» lässt sich diese Frage noch zuspitzen: Warum gab es nur eine oder zwei Vorstellungen, warum fand das Werk beim an stetige Neuigkeiten gewohnten Publikum der Zeit keine Gnade?

Die Handlung spielt auf Athelney Island (Insel, weil trockener Punkt im Moorgebiet der Somerset Levels, South West) im 9. Jahrhundert während der dänischen Invasion Englands. Als Bauernmädchen verkleidet, sucht Königin Amalia in Begleitung von General Eduardo verzweifelt nach ihrem Mann, König Alfredo. Um der Verhaftung durch die Invasoren zu entkommen, hat er sich auf dem Land versteckt und beim Bauern Guglielmo Unterschlupf gefunden. Der versteckt nun auch die vom dänischen General Atkins dicht verfolgten Amalia und Eduardo. So finden Amalia und Alfredo in Guglielmos bescheidener Hütte wieder zusammen, doch ihr Glück währt nicht lange, denn Atkins hat sie verfolgt. Als Engländer verkleidet, warnt er Alfredo, dass den Dänen sein Versteck bekannt sei. Von der Entdeckung überrascht, dass er dem König Unterschlupf gewährt hat, hilft Guglielmo seinen Gästen bei der Flucht durch einen Geheimgang, den sie auf allen Vieren durchqueren. Doch in der vermeintlichen Freiheit werden sie von Atkins und einigen Dänen gefangen genommen. Unterdessen hat Eduardo die englischen Truppen versammelt. Guglielmo schliesst sich ihnen mit einer Gruppe bewaffneter Hirten und Bauern an. Vom unerwarteten überrascht und deutlich in der Unterzahl, müssen die Dänen ihre Niederlage und die Befreiung Alfredos hinnehmen. Alfredo will seine Überlegenheit jedoch nicht ausnutzen und lässt Atkins und seine Männer frei, um ihnen dann auf dem Schlachtfeld entgegenzutreten. Eine beeindruckende englische Armee hat sich zur entscheidenden Schlacht versammelt.

In Guglielmos Hütte feuern Alfredo und Amalia ihn zu Heldentaten an. Die beiden Bauernmädchen Enrichetta und Margherita erwarten den hoffen auf einen Sieg und vor allem auf den darauffolgenden Frieden. Die Schlacht ist geschlagen und gewonnen, aber Alfredos Probleme sind noch nicht vorbei. Auf der Flucht der zerschlagenen Invasions-Armee treffen Atkins und seine Männer auf die von Enrichetta begleitete Amalia und nehmen sie gefangen. Tapfer weigert sich Amalia, ihrem Entführer zu folgen: sie will sich mit einem Dolch zu erstechen. Eduardo, der von Alfredo geschickt wurde, um zusammen mit Guglielmo nach seiner Frau zu suchen, kann dies gerade noch verhindern: Die Engländer stürzen sich auf die Armee der Dänen, lösen sie auf, befreien Amalia und nehmen Atkins gefangen. Alfredo und Amalia sind wiedervereint, die dänischen Invasoren zurückgeschlagen und alle jubeln dem König zu, der das Land befreit hat.

Einer der Gründe für den Misserfolg des «Alfredo» ist das Libretto von Andrea Leone Tottola (nach 1750-1831) inspiriert von Bartolomeo Merellis (1794-1871) gleichnamigem (am 26. Dezember 1819 uraufgeführten) Libretto für seinen (und Donizettis) Lehrer Giovanni Simone Mayr (1767-1845). Merellis Libretto basiert auf dem ebenfalls von Mayr vertonten Libretto zu «Eraldo ed Emma» (8. Januar 1805, Teatro alla Scala). Auch wenn Merellis Libretto für Tottola, da allein die Ausgangssituation ident ist, nur Inspiration war, bleibt die Frage, warum der Stoff nach zwei Misserfolgen (Mayrs «Alfredo il Grande» und «Eraldo ed Emma») erneut gewählt wurde. Das Libretto, das Donizetti aus Geldnot gezwungen war zu vertonen, geriet Tottola recht weitschweifig, die Figuren werden nicht psychologische charakterisiert, sondern bleiben konventionelle Masken. Hinzu kam, dass Donizetti am wichtigsten Theater Neapels und einer der wichtigsten Theater Italiens debütierte, als dieses noch ganz im Banne seiner goldenen Jahre mit dem alles überstrahlenden Gioacchino Rossini stand. Und an Rossini führt für keinen der zeitgenössischen Komponisten, und schon gar nicht für einen «Neuling», ein Weg vorbei. Entsprechend schwierig war die Situation für Donizetti: Hätte er sich zu stark an Rossini angelehnt, wäre sein Werk als Kopie abgetan worden. Ging er, wir hier, seinen eigenen Weg, hielt er dem (unsinnigen) Vergleich mit Rossini nicht stand und kassierte einen Misserfolg. Corrado Rovaris, Dirigent der vorliegenden Aufnahme, ist zuzustimmen, wenn er im Booklet das Werk als «Übungs-Oper» charakterisiert: «Aber ohne diese Schritte gäbe es den großen Donizetti nicht. Alfredo il Grande ist also Teil eines Prozesses, der zu den großen Meisterwerken geführt hat, die wir kennen und die ohne diese frühen Werke nie ans Licht gekommen wären». So, wie es den Verdi der populären Trilogie und der darauffolgenden Werke ohne die «Galeerenjahre» nicht gegeben hätte, hätte es den Donizetti der Lucia di Lammermoor und des Liebestranks ohne die Werke seiner frühen Phase nicht gegeben.

Corrado Rovaris erweist sich als idealer Fürsprech der Rarität und führt das Orchestra Donizetti Opera mit dem passendem Schmiss und Brio durch die Partitur und scheut nicht davor, die auch den rein instrumentalen Passagen innewohnende Melodienseligkeit des Belcanto voll auszukosten. So gerät das Finale des ersten Aktes, ganz der Konvention entsprechend, mit Pauken und Trompeten, zum unumstrittenen Höhepunkt.

Antonino Siragusa gibt den König Alfred mit bekannt höhensicherem, stilistisch perfekt geführtem und sofort zu erkennendem Tenor. In wenigen Momenten klingt die Stimme allerdings glanzlos und die Höhen gepresst. Gilda Fiume gibt die Königin mit leicht geschärftem Sopran, aber höhensicher und stilbewusst. Die Figur des Eduardo, General der Engländer und treuer Begleiter des Königs ist beim stilsicheren Charakterbariton von Lodovico Filippo Ravizza bestens aufgehoben. Adolfo Corrado ist als dänischer General Atkins eine Idealbesetzung. Sein wendig geführter, leicht metallischer Bass verströmt mit leicht herbem Timbre eine rollenadäquate Autorität und Angriffigkeit. Antonio Garés überrascht als Bauer Guglielmo mit einem hellen, stilsicher geführten Tenor, der zum Tenore di grazia tendiert. Valeria Girardello und Floriana Cicìo harmonieren als Enrichetta und Margherita perfekt miteinander und überzeugen mit tadellos fokussierten, stilsicheren Stimmen (Girardello mit beeindruckenden Tiefen). Andrés Agudelo ergänzt als dänischer Spion Rivers das Ensemble. Der Hungarian Radio Choir, einstudiert von Zoltán Pad, assistiert mit kompaktem Wohlklang

Frischer, junger Belcanto!

27.06.2025, Jan Krobot/Zürich

 

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