CD FRANZ SCHUBERT: SCHWANENGESANG – KRESIMIR STRAZANAC und DORIANA TCHAKAROVA; hänssler classic
Heller Stern am Lied-Himmel
Der 100. Geburtstag von Dietrich Fischer-Dieskau bietet einen guten Anlass, sich wieder näher mit Liedern auseinanderzusetzen. Zumal es gerade in der nunmehr auf dem Zenit stehenden Generation der lyrischen Tenor- und Baritonstimmen erstaunlich zahlreiche Künstler gibt, die vor allem das deutsche Kunstlied pflegen und so dieser Kunstform neue Impulse, ja einen vitalen Lebensschub verleihen.
Einer davon ist der kroatische Bassbariton Kresimir Strazanac. Mit gerade einmal 24 Jahren wurde er Ensemblemitglied am Opernhaus Zürich. Dieser beim ersten Hören sofort durch ein besonders ansprechendes Timbre für sich einnehmende Dunja Vejzović-Schüler ist längst schon an der internationalen Spitze angekommen, wobei aktuell Liederabende und Konzertauftritte überwiegen. So wird Strazanac am 1. Juni 2025 in der Berliner Philharmonie die Stimme des Herrn in „Das Buch mit 7 Siegeln“ von Franz Schmidt sein. Im Oktober dieses Jahres wird dieser sympathische Sänger auch wieder Oper singen und die Rolle des Frank in einer Neuinszenierung von „Die Fledermaus“ im Theater an der Wien übernehmen (Inszenierung Stefan Herheim).
Nun stellt Kresimir Strazanac nach seinem Doppelalbum mit Liedern des kroatischen Komponisten Blagoje Bersa ebenfalls bei hänssler Schuberts „Schwanengesang“, ergänzt um drei Titel nach Gedichten von Heinrich Heine der britischen Tonsetzerin Mary Frances Allitsen („Der Fichtenbaum“, „Seit die Liebste war entfernt“ und „Der Tod, das ist die kühle Nacht“) vor.
Das Besondere des Albums liegt einmal darin, dass Strazanac und Tchakarova die Reihenfolge der posthum als „Schwanengesang“ zusammen gefassten 14 späten Lieder (alle stammen aus Schuberts Todesjahr 1828) nach individuellen Kriterien anordnen. Oft werden diese Lieder blockweise nach den vertonten Dichtern (7 von Ludwig Rellstab, 6 von Heinrich Heine, ein Lied von Johann Gabriel Seidl) gesungen, wie dies etwa bei der DG-Aufnahme mit André Schuen (Klavier Daniel Heide) der Fall ist.
Strazanac beginnt mit „Die Taubenpost“, die üblicherweise am Ende des Zyklus steht und endet mit „Der Doppelgänger“. Der Sänger beschreibt die Wirkungen dieser Wahl für die Interpretation so: „Wir wollten Ihnen, unseren Zuhörern, diese Individualität, aber auch in der Interpretation und unserer persönlichen emotionalen Wahrnehmung jedes dieser Lieder so intensiv wie möglich vermitteln – Sie sollen die Emotion und Atmosphäre eines jedes Liedes so direkt erleben, wie es durch Schubert und seine Sängerkollegen seinerzeit in den bürgerlichen Salons Wiens geschah.“
Zunächst erweisen sich diese so ganz anders erdachten und erfühlten musikalisch lyrisch blühenden Liebes-Reminiszenzen bis schwarz-höhnenden und abgründig verzweifelten Höllenfahrten (was anders bedeutet der Satz ‚Die ganze Welt der Schmerzen muss ich tragen‘) als Schock für mehr oder weniger lieb gewordene (Hör-)Gewohnheiten. Nicht so sehr durch die überzeugende Wahl der Abfolge, die mir besonders in der zweiten Hälfte des Albums mit der Reihung „Ihr Bild“, „Abschied“, „Die Stadt“, „Der Atlas“ und „Der Doppelgänger“ dramaturgisch und erzählerisch schlüssig erscheint.
Was hier aufwühlt, ist, dass Strazanac und Tchakarova den kernschmelzenden Gehalt der Poesie und der darüber wie aus dem Weltall gekippten, seltsam süß schmerzenden melodischen Avatare mit Zentnern an utopischem Übermut („Die Taubenpost“, „Abschied“), bitterer Ironie („Kriegers Ahnung“) und bleischneidendem Schmerz („Ihr Bild“) – wie unter einem Elektronenmikroskop vergrößert – verdeutlichen.
So geht Strazanac „In der Ferne“ mit einer beinahe unerträglichen Wort-Klang-Intensität an die Grenzen des Möglichen, während er im Lied „Aufenthalt“ die den Elementen ausgesetzte Seele immer bohrender in die endgültige Erkenntnis der Aussichtslosigkeit schickt. Generell fällt auf, dass Strazanac mit den Mitteln der (Auf – und Ab-) Phrasierung, der agogischen Vielfalt, der Wahl von Legato und Gewichtung der Artikulation die momentane Befindlichkeit des „Helden“ wie mit vokalen Röntgenstrahlen abklopft. In der heftigen Kontrastierung der extrem schwankenden Gefühlslagen kommen zudem die lyrisch-zarten Inseln wie die hoffnungsfrohe „Liebesbotschaft“ oder „Frühlingssehnsucht“ besonders stark zur Geltung, bevor die Welt in tödliche Dunkelheit versinkt.
Mit Doriana Tchakarova hat Kresimir Strazanac eine kongeniale Pianistin gefunden, die mitschöpferisch auf dem Klavier weit über eine bloße Begleitung hinaus das innovative Konzept trägt. Mit diesem psychedelisch wirkenden „Schwanengesang“ hat sich Strazanac – die expressiven Tugenden des großen Fischer-Dieskau auf seine persönliche Weise verlebendigend – endgültig in die erste Liga der Liedsänger katapultiert.
Dr. Ingobert Waltenberger