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CD FIEDELIO: BEETHOVEN-BEARBEITUNGEN für Violine & Orchester von FRANZ HUMMEL, mit ELENA DENISOVA, RUSSIAN NATIONAL ORCHESTRA, ALEXEI KORNIENKO

19.07.2021 | cd, KRITIKEN

CD FIEDELIO: Beethoven-Bearbeitungen für Violine & Orchester von Franz Hummel

Ersteinspielung  mit Elena Denisova, Russian National Orchestra, Alexei Kornienko

Sony Österreich

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Die Geigerin Elena Denisova und der Bearbeiter Franz Hummel. Foto: Nadi

Ein unverhofftes 2. Violinkonzert  „von“ Ludwig van Beethoven!

Musikalische Bearbeitungen, um Stücke in anderer Besetzung spielbar zu machen, sind groß in Mode. Sie bereichern das Repertoire vieler Musikern, die an die Grenzen der Originalliteratur für ihr jeweiliges Instrument stoßen und ihr Angebot erweitern wollen. Für die Zuhörerschaft hinwiederum ist es reizvoll, ein bekanntes Werk in ungewohnter Instrumentalfärbung zu erleben. Das kann dazu anregen, genauer hinzuhören und bietet so die Möglichkeit, in vertraut Geglaubtem Neues zu entdecken.

Die aus Russland stammende, seit über 30 Jahren in Österreich ansässige und international renommierte Geigerin Elena Denisova hat den Umstand, dass es von Beethoven nur ein einziges Violinkonzert gibt – das Konzert für Violine und Orchester in D-Dur, op. 61 -, schon immer zutiefst bedauert. Wer die energische, zielorientierte und charismatische Geigerin kennt, konnte davon ausgehen, dass es, über kurz oder lang, mit Bedauern allein nicht getan sein wird. Also ist es nur konsequent, dass nun – als Corona bedingt verspätete Uraufführung zum Beethovenjahr – bei Sony eine von der Geigerin initiierte, inspirierte und im Solopart exekutierte Einspielung eines bisher unbekannten 2. Konzerts für Violine und Orchester in B-Dur von Ludwig van Beethoven herausgekommen ist!

Die Oleg-KaganSchülerin Elena Denisova, die laut dem Fachmagazin Das Orchester „unzweifelhaft zu den aktuellen Geiger-Göttinnen und -Göttern“ zählt, schaffte es, den Komponisten Franz Hummel dazu zu bringen, eines der sechs Beethoven-Klavierkonzerte in ein Violinkonzert umzuarbeiten. Die Wahl des exzellenten Pianisten Hummel, der seit Jahrzehnten fast ausschließlich nur noch als vielaufgeführter Komponist tätig ist und somit für diese Herausforderung allerbeste Voraussetzungen mitbringt, fiel auf Beethovens Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 in B-Dur, op. 19. Das Ergebnis fällt überzeugend aus und lässt das Werk, dank seiner verschlankten, transparent gewordenen Form, in einem neuen Licht erscheinen.

Trotz der vom Bearbeiter Hummel souverän eingesetzten geigerischen Spieltechniken, von Doppelgriffen bis hin zu reizvollen spicato-Einsätzen, und trotz der meisterhaften Auffächerung vieler Akkorde mangelt es dieser Bearbeitung, im Vergleich zur Originalversion, zuweilen an vertikaler Fülle im Solopart. Dafür aber wird dessen Dialog mit dem Ensemble horizontal klarer und deutlicher nachvollziehbar. Zudem ist festzuhalten, dass die harmonische Unterfütterung in diesem weitgehend mozartisch anmutenden Frühwerk ohnehin noch nicht so komplex angelegt ist wie in Beethovens späteren Klavierkonzerten. Auch die Orchesterbesetzung ist hier kleiner gehalten. Das kantable Thema im ersten Satz erhält in Denisovas Gestaltung eine ausgeprägt lyrische Qualität. Stets hellwach und bereit zum musikalischen Dialog, verliert die fein phrasierende Denisova die großen Einheiten nie aus dem Blick. Die perlenden Klangstrukturen des 1. Satzes werden fein ausgelotet, und die kristallklare Interpretation des nachfolgenden Adagio-Satzes ist von bezwingender Schönheit. Nichts mache ihm mehr Spaß, bekennt Franz Hummel, „als für eine Violin-Virtuosin vom Range der Elena Denisova zu komponieren“. Gut möglich, dass das auch Beethoven so gesehen hätte.

Mit Gespür für die mitreißenden Dynamiken und die vielfältig abgestuften Klangnuancen bringen Denisova und ihr Bearbeiter Hummel die oft unterschätzten Qualitäten dieses Frühwerks zum Leuchten. Dazu zählen unbeschwerte Eleganz und leicht hingemalte, nicht von Vornherein hinterfragte Stimmungen, wie man sie beim reifen Beethoven nur noch selten antreffen wird. Das abschließende Rondo, reich an melodischen und tänzerischen Akzenten, bietet der quicklebendigen Denisova die Gelegenheit, ihr brillantes technisches Können auszuspielen, ohne dabei aber auf bloße Effekthascherei abzuzielen.

Eigens hervorgehoben zu werden, verdienen die kühn gefertigten Kadenzen von Franz Hummel. Sie transzendieren zuweilen die Tonsprache Beethovens und sind gerade deshalb eine Verneigung vor der revolutionären, seine Zeitgenossen oft überfordernden Komponierweise des Meisters. Das ist letztlich auch die überzeugende Antwort auf die von Hummel im Booklet gestellte Frage: „was hält Beethoven aus und warum?“

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Schon von Beethovens FIEDELIO gehört –  und was Franz Hummel damit zu tun hat?

Für ihre aktuelle Beethoven-CD hat Elena Denisova noch drei Beethoven-Arien aus Fidelio ausgewählt und dem Komponisten Franz Hummel zur Bearbeitung vorgelegt. Mit der Ermunterung: „Du machst das schon.“ Wer könnte da widerstehen?

Wie Denisova im Gespräch mit dem Rezensenten erläutert, war Fidelio die erste Oper bei ihrem Debüt als Konzertmeisterin 1990 im Orchester des Stadttheaters Klagenfurt. Außerdem habe sie von Anfang an eine Seelenverwandtschaft mit Leonore verspürt. Besonders deren Ausspruch „Ich folg‘ dem innern Triebe“ habe es ihr angetan. Und er passt tatsächlich gut zu der oft als „Botschafterin der Klangsinnlichkeit“ und der „Klangmagie““ bezeichneten Künstlerin.

Als sich Hummel an die Arbeit machte, erkannte er bald, dass sich die Bewältigung dieser Aufgabe nicht darin erschöpfen könne, die Gesangslinien in Violinstimmen umzuwandeln. Den rechten Zugang fand er erst, als er sich radikal der Orchesterpartitur zuwandte, um – von diesem imposanten Hintergrund ausgehend – die Arien völlig neu und eigenständig zu entfalten. Das Ergebnis trägt folgerichtig nicht mehr den Namen Fidelio, sondern Hummel erfand dafür die Bezeichnung Fiedelio. Darin verknüpft er die alte deutsche Bezeichnung „Fiedel“, Geige, mit dem lateinischen Adjektiv „fidelius“ was so viel wie „treu“ bedeutet. Werktreue wird in dieser Bearbeitung tatsächlich zu einem weit über die üblichen Grenzen hinaus gedehnten Begriff, was von Hummel mit dem in den Titel hineingeschmuggelten „e“ dokumentiert wird. Was hier zu finden ist, sind Paraphrasen, die sich vom Urtext emanzipieren, weit entfernen, und dennoch stets von ihm inspiriert und ihm verpflichtet bleiben. Schließlich sei darauf hingewiesen, das „fidel“ im Deutschen – wie in der Redewendung „lustig und fidel“ – auch fröhlich bedeuten kann. Hummel selbst bezeichnet seine Bearbeitung als einen „libidinösen Akt“, durchgeführt „mit der Freude eines Jugendlichen, der etwas Verbotenes tut“. Man muss die expressive Wiedergabe durch die be- und verzaubernde Geigerin Elena Denisova anhören, um eine Ahnung zu bekommen, was damit und wie das wohl gemeint sein könnte.

Das aus den Arien übernommene musikalische Material wird von Hummel kongenial geprüft und höchst kreativ weiterverarbeitet. Am Ende besteht diese Bearbeitung losgelöst vom ursprünglichen Handlungshintergrund, denn das, womit man es hier zu tun hat, ist ein veritables dreisätziges Violinkonzert inklusive Kadenzen, das von der ersten bis zur letzten Note von Beethovens Geist durchweht ist. Mit Verve und Einfühlungsvermögen und atemberaubender Virtuosität bringt Denisova diese kühne, unerhörte Bearbeitung zum Klingen und legt so mit ihrer Einspielung eine beeindruckend mustergültige Aufnahme vor, die für nachfolgende Interpreten eine große Herausforderung darstellen wird. Dazu trägt auch das von Alexei Kornienko exzellent geleitete, 1990 von Mikhail Pletnev gegründete Russian National Orchestra bei. Man spürt, dass Kornienko und seine Frau Denisova ein perfekt eingespieltes Team sind. Zu hoffen ist, dass sich dennoch viele an diese mitreißende, gelungene, „fiedele“ Bearbeitung Franz Hummels heranwagen werden. Es lohnt sich!

 

 

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